Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall). Michael Wagner J.
Hilfe wäre zu spät gekommen.“
Christoph Hell riss die Augen auf. „Fremdkörper? Was für ein Fremdkörper?“, stammelte er. Der Arzt wischte sich mit der flachen Hand über die Stirn. „Ein Teil eines Fahrradlenkers, gottseidank nur ein verhältnismäßig kleiner Splitter aus Carbon. Er drang zwischen Speiseröhre und Herzkammer in die Brust ein. Die Lunge wurde aber nur geringfügig perforiert. Das können wir im Moment sagen, vielleicht gibt es noch weitere Verletzungen, die erst später augenscheinlich werden.“
Christoph riss die Augen auf. Er versuchte, sich die Größe des Fragments des Fahrradlenkers vorzustellen, doch dazu reichte seine Phantasie nicht aus. Was hielt der Arzt für klein genug, um keinen Schaden anzurichten? Er verscheuchte die Bilder.
„Und was ist mit Franziska? Sie ist seine Lebensgefährtin, wie geht es ihr?“
„Sind Sie verwandt?“
„Nein, natürlich nicht. Sagen Sie schon!“
Der Arzt zog die Augenbrauen zusammen. „Sie hat multiple geringfügige und eine größere Verletzung durch herumfliegende Glasscherben erlitten, keine der Verletzungen ist lebensbedrohlich, aber die Menge ist immens. Die Kollegen operieren noch immer“, antwortete er nachdenklich. „Das klingt doch nicht so schlimm“, antwortete Christoph Hell. Der Arzt atmete einmal durch.
„Haben Sie schon einmal Opfer eines Nagelbombenattentates gesehen?“, fragte er vorsichtig. Hells Sohn schluckte. Tatsächlich hatte er solche Tatort- und Opferfotos in der Ausbildung zu Gesicht bekommen. Je nachdem wo das Opfer getroffen wurde, hatte es verheerende Ausmaße, wie Schrapnelle drangen die Nägel in den Körper ein. „Dann hat sie ebenfalls Glück gehabt?“
„Kann ich unterstreichen, das hat sie.“
Christoph Hell schluckte erneut. „Wann kann ich sie sehen?“
„Ihr Vater wird noch zwei Tage auf der Intensivstation bleiben müssen. Sie können am späten Abend zu ihm.“
„Und Franziska?“
„Fragen Sie dann einfach auf der Station nach ihr.“
Christoph Hell atmete tief durch. Das Positive war: Beide hatten überlebt. Dabei war ihm jetzt schon klar, dass die Nachwehen heftig sein würden. Er bemerkte nicht, wie sich der Arzt leise von ihm verabschiedete und sich ebenso leise entfernte.
*
Bonn, Innenstadt
Für Engelbert Dausend und Thomas Grütters, zwei Beamte der Abteilung 2 – Staatsschutz – des Landeskriminalamts in Düsseldorf, lag die Vermutung sehr nah, dass es sich bei der Explosion um einen islamistisch motivierten Anschlag handelte. Daher waren sie vor Ort. Ihre Abteilung wurde bei islamistischem Terrorismus eingeschaltet. Daher fragten sie sich, was die beiden Kollegen von der Bonner Kriminalpolizei an diesem Schauplatz zu suchen hatten. Kompetenzgerangel tat keiner Ermittlung gut. Dausend trat auf die beiden Männer zu, während sein Kollege im Hintergrund blieb und die Tatortermittler kritisch betrachtete.
„Hallo, meine Herren, mein Name ist Hauptkommissar Engelbert Dausend vom LKA in Düsseldorf, Abteilung 2 Staatsschutz. Wir sind damit beauftragt, diesen Tatort zu untersuchen. Darf ich fragen, was Sie hier tun?“
„Hallo Kollegen, ich bin Jan-Phillip Wendt vom K11 in Bonn, mein Kollege Sebastian Klauk“, stellte Wendt sich und seinen Kollegen vor. Er reichte Dausend die Hand, der Düsseldorfer schlug nach einem kurzen Zögern ein. Der kräftige Mann hatte einen dazu passenden Händedruck. Nicht ganz so hochgewachsen wie Wendt und Klauk musste er zu den beiden hinaufsehen. Sein blondes Haar zeigte schon eine deutliche Tendenz zur Glatzenbildung und sein Dreitagebart wirkte eher ungepflegt als cool.
„Damit eins direkt klar ist: Das LKA leitet die Ermittlungen. Das sollte man Ihnen aber schon mitgeteilt haben“, entgegnete Dausend kühl. Wendt blieb trotz der unfreundlichen Ansprache höflich. „Wir ermitteln nicht. Wir schauen uns nur den Ort des Anschlags an.“
„Für Terrortourismus ist das hier aber nicht der richtige Ort“, mischte sich jetzt Thomas Grütters in das Gespräch ein. Er trat neben seinen Kollegen. Im Gegensatz zu Dausend war er schlank und sah aus wie ein Kettenraucher, blass und mit eingefallenen Wangen. Sein Blick hing schwer wie Blei auf den Gesichtern der beiden Bonner Kriminalbeamten. Klauk fragte sich, ob die Beschäftigung mit Terror einen dazu brachte, jeden Menschen mit Argwohn zu betrachten.
Wendt hob eine Augenbraue. „Terrortourismus? Haben Sie oft damit zu tun? Die Faszination des Grauens. Nein, der sind wir nicht erlegen. Unsere Beweggründe sind anderer Natur. Dazu müssen Sie wissen, dass unser Vorgesetzter, Kriminalhauptkommissar Oliver Hell, und seine Lebensgefährtin Dr. Franziska Leck bei der Explosion verletzt wurden. Für uns ist es Ehrensache, dass wir unsere Kollegen von der KTU bei ihren Ermittlungen unterstützen“, erklärte Wendt auf diese Nachfrage.
Die beiden Düsseldorfer sahen sich an. Dausend war es, der schließlich etwas sagte. „Das tut mir leid. Wie geht es Ihrem Kollegen?“
„Wissen wir noch nicht, beide sind noch im OP. Das ist unser letzter Kenntnisstand.“
„Wenn wir erste Erkenntnisse haben, werden wir Ihnen Bescheid geben“, meinte Grütters. Wendt hatte das Gefühl, er wolle sie so schnell wie möglich abwimmeln. „Ist es für Sie schon sicher, dass es sich hier um einen Terroranschlag handelt?“, fragte Klauk nach.
„Wonach sieht es denn für Sie aus, Kollegen?“, entgegnete Grütters scharf und kam einen Schritt auf Klauk zu. Er breitete die Arme aus und ließ die Kinnlade fallen. „Kindergeburtstag?“
„Sicher nicht, wir haben vier Tote und vierzehn zum Teil Schwerverletzte. Da ist kein Platz für Sarkasmus, lieber Kollege“, antwortete Klauk jetzt scharf. Grütters funkelte ihn böse an. Dausend schob seinen rachitischen Kollegen zur Seite und raunte ihm etwas zu. Dann wandte er sich an Wendt und Klauk.
„Unsere Kollegen vom Kriminaltechnischen Institut werden in einer halben Stunde hier sein und die Untersuchungen übernehmen. Die Bonner Kollegen übergeben ihnen dann alle bisher gesicherten Spuren. Vielen Dank und guten Tag, meine Herren.“
„Sicher, wir werden nichts tun, um Ihre Ermittlungen zu behindern. Sollte sich allerdings herausstellen, dass es sich um keinen Terroranschlag handelt, wer leitet dann die weiteren Ermittlungen? Ich meine, so wichtige Ermittler wie Sie beide haben doch dann sicher andere Dinge zu tun, oder?“, fragte Klauk, der noch immer nicht mit dem unverschämten Verhalten des Düsseldorfers fertig zu sein schien. Grütters drängte sich jetzt wieder an Dausend vorbei und hob drohend den Zeigefinger.
„Es stimmt offensichtlich, dass Bonn mittlerweile tiefste Provinz geworden ist, nachdem die meisten Ministerien nach Berlin abgewandert sind. Mann, Ihre Naivität möchte ich haben. Nur für einen Tag, dann würde ich sicher noch glauben, dass der Terror die Provinz bei seinen Anschlägen ausklammert. Willkommen in der Realität, Sie Amateur!“
Klauk stieß wütend die Luft aus, Wendt sah sich genötigt, seinen Freund auszubremsen, denn sein Blick sprühte bereits Feuer. „Sebi, komm, lass ihn in Frieden“, sagte er beschwichtigend und an Dausend gewandt fragte er: „Was ist, wenn mein Kollegen recht hat und kein Terrorangriff vorliegt?“
Grütters schüttelte vehement mit dem Kopf, drehte sich herum und entfernte sich ein paar Meter, zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und steckte sich eine an. Gierig saugte er an dem Glimmstängel, warf den Kopf in den Nacken und pustete den Rauch aus.
„Die Frage stellt sich mir nicht. Aber sollte es sich herausstellen, dass Ihr Kollege die bessere Nase hat, dann dürfen Sie gerne ermitteln. Bis dahin halten Sie sich heraus! Kapiert?“
Wendt setzte ein falsches Grinsen auf. „Selbstverständlich.“
Ohne sich von Constanze Nimmermann und den anderen Kollegen von der Bonner KTU zu verabschieden, gingen Wendt und Klauk in Richtung Münsterplatz davon, ihnen folgten die Blicke der beiden LKA-Beamten.
„Was war das denn für ein aufgeblasener Affe? Meint, weil er ein bisschen Terroraufklärung betreibt, ist er gleich