Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall). Michael Wagner J.

Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall) - Michael Wagner J.


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Kaukasus. Auf ihn würde niemand kommen. Dennoch machte er sich Gedanken.

      „Was sagt ihr, wann war die Explosion?“, murmelte er vor sich hin.

      „Gegen halb zwölf in etwa“, antwortete Klauk und holte sich einen Sessel herbei. Er kickte ein paar Pizzaverpackungen beiseite, um sich einen Weg an den Schreibtisch zu bahnen. „Du könntest mal langsam einen Container bestellen für deinen Müll, den du hier hortest“, maulte er Seltge an.

      „Ist ja nicht dein Arbeitsplatz, Sebi!“

      Mit ein paar Klicks hatte Matze den Timecode auf 11:30 Uhr eingestellt. Es gab keine Kamera, die direkt den Ort des Geschehens einsehen konnte. Eine Kamera deckte den Platz vor dem Brunnen ab, eine weitere war am Ende der Straße angebracht, doch ihr Sichtbereich lag in Richtung Bottlerplatz. Matze ließ die Aufzeichnung langsam vorwärtslaufen. Eine Weile sahen sie nur viele Menschen und eine asiatische Touristengruppe, die Fotos machte.

      „Da, da sind Hell und Franziska“, sagte Wendt und musste schlucken. Er hätte nie gedacht, dass er einmal seinen Chef als Observationsobjekt auf einem Bildschirm betrachten würde. Hell und Franziska trennten sich und der Kommissar näherte sich dem Brunnen. Sie verschwand in einem Kosmetikgeschäft.

      „Typisch, so wäre es bei mir und Julia auch. Ich habe je kein Faible für Kosmetik und so ‘n Zeug“, sagte er, um sich ein wenig abzulenken. Ein paar Minuten lang passierte nichts, dann kam Franziska wieder auf Hell zu und man konnte sehen, wie die beiden in Richtung der Gasse davongingen.

      „Hättet ihr keinen anderen Weg nehmen können?“, sagte Klauk mit belegter Stimme. Wendt seufzte. Hell und Franziska verschwanden ganz aus dem Blickfeld des Objektivs. Plötzlich tauchte eine riesige Staubwolke auf, Steine und Metallteile flogen wie Geschosse umher, Menschen flohen in Panik aus der Straße. Gespenstisch. Ohne Ton. Die graue Wolke legte sich wie ein Deckel auf das Geschehen. Wie ein Lebewesen kroch das tödliche Grau weiter. Der Staub machte eine genauere Betrachtung unmöglich. Atemlos betrachteten die drei den Bildschirm. Der Platz vor dem Brunnen war menschenleer. Wo sich noch Sekunden vorher fast einhundert Personen aufgehalten hatten, herrschte gespenstische Leere.

      „Der da hat‘s aber nicht eilig“, sagte Klauk und deutete auf eine Gestalt, die sich aus der Wolke löste, und sich nach rechts in die Acherstraße hinter dem Brunnen fortbewegte.

      „Kriegst du den schärfer rein?“, fragte Wendt aufgeregt. „Keine Chance, das ist eine starre Kamera, kein Zoom.“

      „Und digital? Kannst du das kopieren?“

      „Ja, kann ich. Aber ich kann euch jetzt schon sagen, dass sich da nur eine graue Pixelsuppe zeigt. Die Stadt gibt ‘ne Menge Geld für Sicherheit aus, aber diese Kameras sind noch von vor dem Gipskrieg“, bestätigte er ernüchtert.

      „Jedenfalls haben wir einen Typen, der seelenruhig wegspaziert, während alle anderen in voller Panik davonrennen. Ist das unser Attentäter?“, fragte Klauk und nahm aufgeregt seine Brille von der Nase, steckte den rechten Bügel in den Mund und sah abwechselnd zu Wendt und Seltge hinüber.

      „Möglich, Sebi. Aber sicher ist es nicht. Manche Menschen reagieren seltsam, wenn sie in solch eine Situation geraten.“

      „Hör mal, da geht eine Bombe hoch und der spaziert weiter, als würde er über einen Flohmarkt schlendern? Das kannste mir nicht verkaufen. Das ist unser Attentäter! Verdammter Mist! Wieso haben wir nur so ein Scheiß-Bild? Gibt es am Ende dieser Straße noch eine Kamera?“

      Seltge rieb sich das Kinn. „Nein, leider nicht!“

      *

       Bonn, Venusbergkliniken

      Diesen Geruch kannte er sehr gut. Dennoch sollte er ihn für den Rest seines Lebens in der Nase haben. Es roch nach Desinfektionsmittel und frischem Verbandsmaterial. Im Hintergrund vernahm er ein gleichmäßiges Piepen. Langsam öffnete Oliver Hell seine Augen. Sofort spürte er einen Druck an seinem rechten Handgelenk.

      „Da sind Sie ja wieder, Herr Kommissar“, hörte er eine fremde Stimme sagen. Wie in Zeitlupe stellten seine Sehnerven eine Gestalt neben ihm scharf. Ein blonder Engel.

      Du bist jetzt im Himmel, dachte er. Doch wusste man im Himmel, dass er Polizist war? Eher nicht. Die Polizei war irdisches Machwerk, deren Tun man im Himmel nicht benötigte. Da war er sicher.

      „Wo bin ich?“, stieß Hell beinahe winselnd hervor. Räusperte sich und ein stechender Schmerz fuhr durch seine Brust.

      „Sie sind noch auf der Intensivstation und Sie müssen vorsichtig sein, die frisch vernähte Wunde könnte sonst wieder aufreißen.“

      Ihr zarter Griff ließ sein Handgelenk wieder los. Hell versuchte, sich zu entspannen, doch der Würgereiz in seinem Hals blieb. Es fühlte sich an, als befände sich ein Fremdkörper in seiner Speiseröhre.

      „Was ist mit meiner Lebensgefährtin, Franziska Leck?“, war seine zweite Frage. Seine Stimme klang dünn und zweifelnd.

      „Sie lebt“, antwortete der blonde Engel.

      „Wissen Sie mehr?“

      „Nein, Sie müssen sich jetzt auf sich konzentrieren, Kommissar Hell. Man verabreicht Ihnen mit der Infusion ein Schmerz-, und ein Schlafmittel.“ Erst jetzt bemerkte er den Infusionsständer links von seinem Bett und die Infusionsnadel in seinem linken Arm.

      Hell wollte eine weitere Frage stellen, doch dann bemerkte er, dass er schon wieder auf dem Weg in die Bewusstlosigkeit war. Er spürte noch, wie die Fingerkuppen seiner rechten Hand die Bettdecke berührten. Dann glitt er zurück.

      *

       Bonn, Präsidium

      Jetzt war Wendt nicht viel schlauer als zuvor. Die Informationen, die Christoph Hell ihm am Telefon übermittelt hatte, waren sehr dürftig. Aber er machte ihm sehr deutlich, dass er selbst nicht viel mehr wusste. Hell und Doktor Leck waren am Leben, es ging ihnen den Umständen entsprechend gut. Christoph war jetzt auf dem Weg in das Haus seines Vaters, denn dort wartete Bond seit Stunden auf die Rückkehr seines Herrchens. Vergebens. Er würde den Hund für die kommende Woche bei sich aufnehmen. Dafür musste er allerdings bei seinem Vorgesetzten Urlaub einreichen, er hoffte, den auch adhoc genehmigt zu bekommen. Dienstpläne waren oft sehr unflexibel und reagierten nicht wohlwollend auf familiäre Katastrophen. Christoph Hell versprach Wendt, sich wieder zu melden, sobald er etwas Neues erfahren würde.

      *

       Bonn, Präsidium

      Auf dem Weg ins Büro des K11 ging Oberstaatsanwältin Brigitta Hansen in Gedanken die spärlichen Informationen durch, die ihr der Mann vom Bonner Verfassungsschutz am Telefon gegeben hatte. Sie hatte sich gewundert, dass sich die Dienststelle mit ihr in Verbindung setzte, lag die Ermittlungsarbeit in diesem Fall doch auf den Schultern der Düsseldorfer. Dennoch hatte er auf einem Informationsaustausch bestanden. In Kürze würden zwei Kollegen auftauchen. Als sie den langen Gang entlangschritt, war die wohlbekannte Stimme von Kriminaloberkommissar Jan-Phillip Wendt bereits zu hören. Die andere Stimme, die ebenfalls laut zu hören war, kannte sie dagegen nicht. Sie schienen sich zu streiten. Die Glastür zum großen hellen Besprechungsraum stand sperrangelweit offen. Tatsächlich standen dort zwei Männer, die sie nicht kannte, auf der dem Fenster zugewandten Seite des großen Tischs, mit dem Rücken zu ihr stand Wendt. Rosin, Meinhold und Klauk saßen mit betretenen Gesichtern an ihren Schreibtischen und schwiegen.

      „Die alleinige Ermittlungsarbeit in diesem Fall liegt bei den Herren Dausend und Grütters. Es kümmert uns nicht, dass Ihr Chef bei diesem Anschlag verletzt wurde. Das ist für diese Ermittlung nicht von Belang“, rief einer der Männer grimmig. Wendt atmete tief durch. Hansen sah, dass diese Worte ihm überhaupt nicht schmeckten. Sie fing seinen Blick ein und betrat das Büro des K11.

      „Guten Abend, meine Herren. Darf ich den Grund für dieses hitzige Gespräch erfahren?“ Sofort herrschte Schweigen. Keiner sagte mehr etwas. „Meine Herren? Plötzlich stumm geworden?“ Sie sah die zwei Fremden an, dann zu Wendt hinüber.


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