Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall). Michael Wagner J.

Oliver Hell - Dämonen (Oliver Hells elfter Fall) - Michael Wagner J.


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Sie Joussa Khamsine?“

      „Der Staatsschutz sollte schon wissen, wen er auf der Straße kidnappt, oder?“, antwortete Joussa frech.

      „Lassen Sie die Spielchen, Khamsine. Stecken Sie hinter dem Anschlag vom heutigen Tag?“, fragte der Polizist mit knarrender Stimme.

      „Nein, damit habe ich nichts zu tun. Ich war auf dem Weg in die Stadt, um ein paar Besorgungen zu machen. Mit Terrorismus habe ich nichts zu tun“, behauptete Joussa. Ihm war schon klar, warum sie auf ihn kamen. Immerhin hatte er fünf Semester Chemie studiert an der Bonner Universität. Das machte ihn in deren Augen zu einem hochgefährlichen potentiellen Attentäter.

      „Das glaube ich Ihnen nicht“, stieß der Polizist hervor, „reden Sie!“

      „Was Sie glauben und was der Realität entspricht, das sind offenbar zwei Paar Schuhe. Ist das übrigens legal, Menschen von der Straße zu entführen, sie zu fesseln und zu verhören? Ich dachte eigentlich, ich würde in einem freien Land leben und nicht dort, von wo ich damals geflohen bin.“

      „Ihren Zynismus und Ihre Lügen werden wir Ihnen schon austreiben, Khamsine“, bellte der Mann.

      „Ich werde ab jetzt nur noch mit Ihren Vorgesetzten sprechen!“, sagte Joussa Khamsine und wandte seinen Blick nach links aus dem verdunkelten Fenster. Die Besprechung würde er verpassen, doch, was viel Schlimmer war, die Gruppe würde schmerzlich seine Fähigkeiten vermissen. Denn er war derjenige, der die Sprengsätze bauen konnte.

      *

       Bonn, Innenstadt

      Auf den weißen Overalls der Düsseldorfer Tatortermittler stand KTI. Einem zufällig vorbeikommenden Passanten wäre der Unterschied sicher nicht aufgefallen. Auffällig war allerdings, dass es zahlenmäßig sehr viel mehr Beamte waren als zuvor. Zwei von ihnen arbeiteten in der Boutique, zwei weitere in dem Laden gegenüber. Drei Düsseldorfer untersuchten die Asservatenbeutel, die ihnen von den Bonner Kollegen übergeben worden waren. Unter einem großen Pavillon hatten sie vier Tische aufgebaut, auf denen mehrere Asservatenkisten standen. Mitten in den Ermittlungen der Kollegen standen Dausend und Grütters herum wie Falschgeld. Links von ihnen arbeitete ein weißgekleideter Ermittler und untersuchte die Spuren, die die Sprengsätze auf dem Boden hinterlassen hatten. Wie bei einem Brand in einem Wohnhaus konnte man anhand der Explosionsspuren ermitteln, wo ein Sprengsatz gezündet wurde und in welche Richtung sich seine größte Zerstörungskraft richtete. Der Mann war Spezialist für Sprengstoffe der Sondereinsatzgruppe des LKA. Er nahm Fotos auf mit seiner Digitalkamera, die er sofort kontrollierte. Dausend beobachtete, wie er sich auf zwei verschiedene Spuren konzentrierte, einmal auf dem Straßenpflaster und ebenfalls auf den teilweise zerstörten Fliesen der Boutique. Er schulterte die Kamera und nahm eine Taschenlampe zur Hand. Damit leuchtete er langsam den Verkaufsraum ab. Der Lichtkegel erhellte die verbrannten Schaufensterpuppen, glitt über verkohlte Präsentationstische und leuchtete anschließend die Wand ab, vor der die Verkaufstheke stand. Innerhalb eines bestimmten Radius war die Zerstörung größer als außerhalb davon. Obwohl das Feuer vieles danach zerstört hatte, konnte man die Schneise, die die Detonation gerissen hatte, noch immer gut ausmachen. Der Spezialist dokumentierte dies jetzt mit der Kamera. Nach zehn Minuten war er damit fertig. Er ging hinüber zu einem Tisch und legte die Kamera dort ab, für Dausend die Gelegenheit, ihn anzusprechen.

      „Kannst du uns schon etwas sagen, Felix?“, fragte er neugierig.

      „Ja, das kann ich. Nichts Genaues, jedenfalls nicht, was den benutzten Sprengstoff angeht. Aber eins kann ich euch jedenfalls schon sagen: Es gab zwei Sprengsätze mit unterschiedlicher Ausrichtung.“

      „Wie meinst du das?“

      „Die Kollegen haben mir erzählt, dass zwei Blumenkübel rechts und links vom Eingang standen. Dort waren die Sprengsätze aller Wahrscheinlichkeit nach versteckt. Und jetzt kommt’s: Die Täter waren offensichtlich geschult, denn sie konnten die Detonationsrichtung zur Straße lenken, mindestens 10 Meter weit. Also haben sie die Ladung in die Gegenrichtung verdämmt. Ebenso sind sie bei dem zweiten Sprengsatz verfahren. Der war auf den Innenraum der Boutique gerichtet, man kann es genau ausmachen.“

      Grütters, der mittlerweile neben seinem Kollegen angekommen war, machte große Augen. „Was ist der Sinn dahinter?“

      „Es sollte ein Sprengsatz die Straße treffen, der andere den Laden“, antwortete Felix Neumeister.

      „Ja, das habe ich verstanden. Aber warum? Haben die etwas falsch gemacht? Bist du sicher?“

      Felix Neumeister verzog den Mund zu einem Lächeln. „Hast du schon einmal gesehen, dass ich mich geirrt habe?“

      „Nein, aber das würde bedeuten, dass die zweite Bombe, die auf den Laden gerichtet war, genau diesen treffen sollte.“

      Neumeister nickte mit halb geschlossenen Augen. „Sprengsatz, es heißt Sprengsatz. Wäre es eine Bombe gewesen, dann stünden wir in einem großen Krater. Das ist es, was die Spuren eindeutig ergeben. Ihr müsst herausfinden, warum es so ist. Ich liefere euch nur die Fakten, ermitteln müsst ihr zwei.“

      Er drehte sich weg und ging mit einem Tatortkoffer zurück in die Boutique.

      „Kapierst du das, Engelbert? Wenn sie doch maximale Zerstörung mit vielen Verletzten erreichen wollten, dann macht es doch keinen Sinn, einen Sprengsatz in die falsche Richtung auszurichten, oder?“

      Dausend warf genervt den Kopf hin und her und blies die Backen auf. „Weiß ich, vielleicht wurde der Kerl, der die Sprengsätze in den Kübeln platziert hat, gestört oder er hatte keine Ahnung. Ist doch alles denkbar, Thomas.“

      Grütters verzog nachdenklich den Mund. „Ja, alles ist denkbar. Dann ist aber auch denkbar, dass der Sprengsatz, der auf die Straße gerichtet war, falsch platziert wurde und die Boutique das eigentliche Ziel war. Wenn alles denkbar ist, kann ich auch das annehmen …“, stieß er hervor und steckte sich eilig eine Zigarette in den Mund. Blies kurz drauf den Rauch mit einer schnellen Bewegung am Kopf seines Kollegen vorbei, wartete auf eine Reaktion.

      „Sicher, das kann man denken. Aber macht es Sinn? Gehen wir von einem islamistisch motivierten Anschlag aus? Ja oder nein?“

      „Ja.“

      „Dann werden wir, um uns abzusichern, die Boutique und deren Mitarbeiter durchleuchten und wenn es nichts ergibt, dann konzentrieren wir uns auf die Ergebnisse der Überwachungen der Kollegen vom Verfassungsschutz. Die wissen, ob sich einer der Gefährder hier in der Gegend herumgetrieben hat oder ob etwas anderes in Zusammenhang mit der Boutique auffällig geworden ist. Klar?“

      Grütters saugte angestrengt an seiner Zigarette, Qualm drang aus seinen Nasenlöchern. „In Ordnung. So machen wir es“, sagte Grütters nach einem weiteren tiefen Zug aus dem Glimmstängel.

      *

       Bonn, Präsidium

      Matthias Seltge, von allen Mitarbeitern im Präsidium nur Matze genannt, saß vor seinem Rechner und klopfte im Stakkato mit dem Bleistift auf die Tischkante. „Ich lege mich ungern mit denen vom Staatsschutz an und erst recht nicht mit dem Verfassungsschutz“, wiederholte er seine Worte noch einmal, mit denen er zuerst seine Mitarbeit verweigert hatte. „Ihr kennt diese Typen nicht. Erinnert euch mal an Heinrich Bölls ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum‘. Machst nix und zack biste im Visier von denen. Und wenn du tatsächlich was machst, dann erst recht!“

      Matze fühlte sich unwohl in seiner Haut und er konnte sich ohrfeigen, schließlich doch klein beigegeben zu haben. Wendt und Klauk waren bei ihm aufgetaucht und hatten ihm von der Explosion berichtet und dass Oliver Hell ein Opfer dieses Anschlags geworden sei. Gut, es hatte ihn getroffen, dass einer aus dem Präsidium verletzt worden war. Aber er hatte mit Hell nicht so große Schnittmengen, dass er es als Katastrophe angesehen hatte. Aber die beiden Kollegen ließen die Köpfe hängen, nachdem er ihnen abermals bestätigt hatte, dass er nichts Illegales tun würde, was sich gegen die genannten staatlichen Stellen richten würde.

      Jetzt saß er vor seinem Schreibtisch und sein Herzschlag beschleunigte.


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