Anaconny. Lewis Cowley
Hubert fütterte gerade die Schlange mit einer Milchflasche, als er sagte:
„Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Jemand muss sie doch vermissen, sonst wäre sie doch nicht bei mir.“
„Vielleicht ist sie nicht verlorengegangen, sondern weggeworfen worden.“ vermutete Kurt. „Oder ihr Verlust wurde gar nicht bemerkt.“
„Wie kommst du denn darauf?“ fragte Hubert. „Lydia hat mit einen Zettel geschrieben, wo alles draufsteht, was sie über Anakondas weiß. Die können doch bis zu 40 Junge zur Welt bringen. Da kann schon eins verloren gehen.“
„Du hast doch gestern gesagt, dass sie unter einem Stein lag.“ erinnerte ihn der Reporter. „Vielleicht nicht zufällig, damit sie ihrem Besitzer nicht folgen kann.“
„Ich hoffe, du hast recht.“ gab Hubert zu. „Dann wäre sie nicht bei mir gelandet und hätte kein sicheres Heim. Aber sieh doch mal, wie der Kleinen die Milch schmeckt.“
Kaum hatte er das gesagt, löste Conny ihr Maul von der Flasche. Dann gab sie einen dicken Rülpser von sich.
„Der hat´s geschmeckt.“ stellte Kurt lachend fest, als sich Conny zusammenrollte und bewegungslos liegenblieb.
„Sie ist satt.“ erklärte Hubert.
„Hubsi.“ versuchte Kurt seinen Freund aufzuklären. „Gewöhne dich lieber an den Gedanken, dass du Conny doch nicht behalten kannst.“
„Aber sie ist doch so hilflos.“ gab Hubert zurück. „Und sie hat wahrscheinlich auch keine Eltern. Außerdem ist sie ganz schön gewachsen.“
„Und sie wächst weiter, bis sie 10 Meter oder noch länger ist.“ befürchtete der Reporter.
„Also, wenn das alles ist, was dir Angst macht.“ gab Hubert spöttisch zurück.
„Und wenn sie dich frisst?“ fragte Kurt.
„Conny wird mich niemals fressen.“ gab der Unternehmer zurück. Dabei schaute er das Schlangenbaby an.
„Niemals.“ sagte er leise.
Drei weitere Wochen waren vergangen, als Hubert eines Morgens erwachte. Er hatte ein Zischen gehört, das nur von Conny kommen konnte. Als er sie in der Badewanne entdeckte, erschrak er: Conny war voller Schleim und neben ihr lag ein lederähnliches, längliches Teil. Sofort sauste Hubert zum Telefon und rief Lydia an. Ihr Handy tutete mehrmals, als sie endlich abhob.
„Dr. Heffner, grüß Gott.“ meldete sie sich.
„Lydia ich bin´s, Hubert.“ rief er. „Mit Conny stimmt etwas nicht. Sie ist voller Schleim und rührt sich nicht. Aber sie zischt dauernd. Und neben ihr liegt so ein Lederteil.“
„Keine Angst.“ lachte Dr. Heffner. „Sie hat sich nur gehäutet.“
„Ge… was?“ fragte der Unternehmer verdutzt. „Gehäutet? Warum hast du mir das nicht gesagt?“
„Ich dachte, du wüsstest das.“ lachte die Ärztin. „Pass´ auf: Eine Schlangenhaut wächst nicht, wie die eines Menschen. Deshalb bekommen wir Falten, wenn wir ein gewisses Alter erreichen. Schlangenhaut dagegen sieht immer glatt aus. Selbst, wenn Conny in unserem Sinne eine alte Frau wird, sieht sie immer noch sehr jung und hübsch aus. Das Geheimnis für die ewige äußerliche Jugend ist das Häuten, das meines Wissens nur Schlangen besitzen. Sobald die Haut zu eng wird, wirft sie diese ab und bildet eine neue. Das kann ein paar Tage dauern. In der Zeit darfst du sie nicht anfassen, bis die neue Hautdecke voll entwickelt ist. Deswegen bewegt sie sich auch nicht, weil jede Bewegung für sie Schmerzen bedeutet. Daher auch das Zischen. Sie hat Schmerzen und versucht, jede Bewegung zu vermeiden. Doch das wird wieder vergehen. Wo ist sie jetzt?“
„Sie liegt in meiner Badewanne.“ sagte Hubert.
„Dann darfst du so lange nicht rein, bis sich ihre neue Haut entwickelt hat.“ erklärte Lydia. „In der Zeit frisst sie auch nicht. Lass Wasser rein, das wird ihre Schmerzen lindern.“
Sofort hastete Hubert ist Bad und ließ Wasser ein.
„Das Wasser muss eine Temperatur zwischen 35 und 40 Grad haben.“ erklärte Lydia.
„Weiß ich.“ gab Hubert zurück. „Und wie lange, sagtest du, dauert das? Ein paar Tage?“
„Ja.“ widerholte Lydia. „Aber das dürfte dich nicht sonderlich stören, schließlich hast du noch eine Dusche nebenan.“
„Das ist nicht relevant.“ sagte Hubert, und die Erleichterung war ihm ins Gesicht geschrieben. „Aber gibt es noch etwas, das ich wissen sollte?“
„Einiges.“ antwortete sie. „Am besten, du kommst bei mir vorbei. Ich schreibe alles zusammen, was du noch über sie wissen musst.“
„Du scheinst dich mit Schlangen gut auszukennen.“ bemerkte Hubert. „Obwohl ich annehme, dass so etwas noch nicht bei dir war.“
„Also, eine Anakonda hatte ich bisher noch nicht zum Patienten.“ bestätigte Lydia. „Aber ich habe mich einmal darüber informiert. Vielleicht hilft dir das.“
„Danke, Lydia.“ sagte Hubert leise. „Ce´ la vie.“
Dann legte er auf.
„So einfach ist das.“ murmelte er.
Inzwischen war seine Badewanne voll, doch Conny blieb regungslos liegen.
Wieder eine Woche später war Hubert im Bad. Conny schwamm in seiner Wanne, in die ständig etwas Wasser lief. Sie hatte gerade am Tag zuvor mehrere rohe Schnitzel verschlungen und war jetzt satt.
Nun beobachtete sie Hubert, wie er sich gerade die Zähne putzte. Neugierig schaute sie ihn an, bis der Unternehmer es bemerkte. Als er sah, wie sie ihn mit neugierigen Augen beobachtete, lächelte er, um dann fortzufahren.
Bald darauf war er fertig und setzte sich vor seiner Schlange.
„Wir machen das, damit wir nicht Karies oder so etwas kriegen.“ versuchte er, seine Aktion zu erklären. „Wir Menschen haben sehr empfindliche Zähne und die müssen täglich sauber sein, damit sie auch so bleiben, wie sie bleiben sollen.“
Conny blickte ihn verwundert an, als er fortfuhr:
„Wir brauchen das zur Hygiene.“
Conny sah ihn still an und legte sich wieder in die Wanne, während Hubert aus dem Bad ging.
KAPITEL 4: ZÄHNCHEN PUTZEN.
Die Wochen vergingen. Conny war mächtig gewachsen. Fast zwei Meter lang war sie geworden. Hubert fuhr mit ihr zu Dr. Heffner. Die vierte Untersuchung stand bevor, denn Conny war nun einmal nicht heimisch in Deutschland und musste deshalb regelmäßig untersucht werden. Inzwischen hatten sich viele Menschen an Conny gewöhnt und teilweise spielte sie auch mit den anwesenden Kindern. Wer sie sah, glaubte wirklich, sie wäre ein perfekter Babysitter.
Vor zwei Wochen hatte Hubert einen Mitbewerber bei sich eingestellt, der fast die gleichen Arbeiten anbot und deshalb auch sein Studio mitbenutzen durfte. So konnte sich Hubert mehr um seine Schlange kümmern, obwohl er bemerkte, dass sie immer selbständiger wurde.
In der Praxis angekommen wartete Hubert, bis er an der Reihe war. Ein Mann mit seiner Tochter war gerade bei ihr Die Katze hatte Staupe bekommen und wurde jetzt mit eine Spritze versorgt.
„Das war´s.“ erklärte Lydia. „Die Staupe wird sich schnell auflösen und deine Katze wird wieder gesund.“
„Danke.“ sagte das Mädchen leise, das etwa neun Jahre alt sein mochte.
„Schon gut, Kind.“ gab die Ärztin zurück. „Wenn du jetzt rausgehst, darfst du nicht erschrecken. Ich habe jetzt eine ungewöhnliche Patientin.“
Langsam ging das Kind mit ihrer Katze durch die Tür und erblickte sofort, wer noch wartete.
„Das