Höllentrip. Manuela Martini

Höllentrip - Manuela Martini


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weißer, nackter Schafe, entdeckte Shane Barry, der mit einem Farbeimer in der einen und einem Pinsel in der anderen Hand, jedem geschorenen Schaf einen blutroten Strich auf den Rücken malte. Von fern drang noch der Lärm der Rasierer und Ventilatoren heran. Shane ging an einer anderen Schafherde vorbei, die, noch voller Wolle, darauf wartete, in den Schuppen hinaufgetrieben zu werden und rief nach Barry. Der drehte sich überrascht um.

      „Sie haben wohl `en Narren an mir gefressen, was?“, rief er Shane zu.

      Der Hund, der kläffend um die Schafe herumsprang, schnupperte an Shanes Beinen.

      „Sieht ganz so aus, Barry“.

      Barry fuhr fort, rote Striche auf die nackten Schafrücken zu pinseln. Shane sah ihm noch einen Moment zu, dann sagte er:

      „Also, Barry, wie war das mit Romaine? Warum haben Sie gelogen?“

      Barry malte unablässig weiter, während der Hund bellte, nach einzelnen Schafen schnappte, die sich dann hastig und ängstlich an die anderen drückten, manchmal sogar mit einem Satz mitten in der Menge Zuflucht suchten. Schließlich steckte Barry den Pinsel in den Farbeimer und schob die schweißgetränkte Baseballkappe aus der Stirn. Er mied Shanes Blick.

      „Ich frage mich, Barry, ob Sie einen Grund hatten, uns das Treffen mit Romaine im Supermarkt zu verschweigen. Oder haben Sie es ganz einfach vergessen? Wie ging es weiter, nachdem Sie Romaine am Samstag getroffen haben?“

      Barry schluckte und sagte schließlich:

      „Wir haben uns noch mal auf dem Parkplatz getroffen.“

      „Und?“

      „Was und?“

      „Barry, beantworten Sie einfach meine Frage! Ich will wissen, was zwischen Ihnen und Romaine an diesem Samstag war! Vielleicht konnten Sie es nicht ertragen, Barry, dass sie nichts mehr von Ihnen wissen wollte. Vielleicht sind Sie mit ihr irgendwohin gefahren. Und vielleicht hat sie sich gewehrt und dann haben Sie ihr irgendwas auf den Kopf geschlagen. Aus Wut.“

      Barry wurde rot. Abrupt stellte er den Eimer ab. Rote Farbe spritzte über seinen Schuh und auf die Erde.

      Dann gab er zurück:

      „Kommen Sie wieder, wenn Sie Beweise dafür haben, Detective! Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe!“ Shane warf ihm noch einen Blick zu, dann drehte er sich um. Er ging außen am Schuppen vorbei und schwang sich über den Bretterzaun. An seinem Wagen lehnte eine Gestalt.

      Kapitel 19

      „Sie sind der Detective, oder?“

      Sie war wohl Mitte Dreißig, trug Jeans und ein ärmelloses kariertes Hemd, das so eng war, dass es jeden Moment über ihren Brüsten aufzuplatzen drohte. Sie hätte eine Countrymusic-Sängerin sein können, mit ihrem schulterlangen, gelockten Haar, dem aus der Mode gekommenen blauen Lidschatten und den grellroten Lippen.

      „Sie ermitteln doch wegen dieser Toten.“ Sie musterte ihn ungeniert. „Ich würde mich an Ihrer Stelle mal nach Mike Carney erkundigen.“ Ihre Stimme klang voll. Mit der Sängerin lag er gar nicht so schlecht.

      „Mike Carney?“

      „Er ist nicht ganz dicht, wenn Sie wissen, was ich meine.“ Sie lehnte noch immer an seinem Wagen, die zigarettenfreie Hand lässig in die Hosentasche gehakt.

      „Nein, weiß ich nicht“, gab er zurück.

      „Er ist sexbesessen. Greift sich dauernd an seinen Schwanz. Steht in `ner Ecke und holt sich einen runter. Haben Sie’s jetzt verstanden?“

      „Wie heißen Sie eigentlich?“, fragte er.

      „Cher.“ Sie formte dabei die Lippen wie zu einem Kuss. Was zum Teufel wollte sie von ihm?

      „Cher. Wie die Sängerin?“, fragte er.

      „Richtig.“ Sie lächelte verführerisch. „Also“, sie stieß sich vom Wagen ab, an dem sie lehnte, „ich habe Ihnen einen Tipp gegeben. Sie können damit machen, was Sie wollen.“

      Mit diesen Worten, schnippte sie die Zigarette auf den Boden, trat sie aus, ging an ihm vorbei und stieg die Treppe zum Schuppen hinauf. Und Shane starrte auf ihren Hintern in der hautengen Jeans.

      „Cher!“, rief er ihr hinterher, „ und wo finde ich diesen Carney?“

      Sie drehte sich noch einmal um.

      „Hier. Er ist Schafscherer.“

      Wieder dieses Lächeln, dann ging sie mit wiegenden Hüften die Treppe hinauf. Fliegen hatten sich auf den Schweißflecken seines Hemdes niedergelassen. Er gab es auf, sie zu verscheuchen und folgte Cher.

      „Wen?“ Der Junge mit dem Besen schrie gegen den Lärm an.

      „Mike Carney!“, schrie Shane. Jetzt hatte der Junge verstanden und zeigte auf einen mittelgroßen, etwas untersetzten Mann um die fünfzig, der mit schnellen, geübten Bewegungen das Fell eines Schafes schor, sodass es in einem Stück abfiel wie eine zu dicke, lästige Haut. Carneys Gesicht konnte Shane nicht erkennen, da er gebückt dastand, aber sein sandfarbenes, stark gelocktes Haar fiel ihm auf. Es hätte das einer Frau sein können.

      Endlich blickte Carney auf, und der Junge signalisierte ihm, dass er herkommen solle. Widerwillig ließ Carney den Rasierer los, richtete sich aus dem Haltegurt auf und schlurfte zu Shane herüber. Auf seiner Stirn leuchteten zwei dicke, entzündete Pickel. Sein linkes Auge rutschte nach außen. Mike Carney strahlte Rohheit, Gewaltbereitschaft – und Sturheit aus.

      „Kenn’ ich nicht“, sagte Carney sofort, als Shane ihm das Foto Romaines zeigte. Carneys Stimme klang überraschend hell und dünn. Er wiegte seinen Kopf unablässig, mal zur einen, mal zur anderen Seite, mal nach vorn, mal nach hinten. Shane machte eine Geste zu dem etwas ruhigeren Raum hin, in dem die Wolle in Ballen gepresst und verpackt wurde. Carney ging hastig voraus.

      „Wie haben Sie das vorletzte Wochenende verbracht?“, fragte Shane als sie neben den Wollballen angekommen waren.

      Carney dachte angestrengt nach. Er schob die Unterlippe vor und sagte: „Hab’ hier gearbeitet. Abends bin ich unterwegs gewesen.“

      „Wo?“

      „Weiß nicht mehr.“

      „Denken Sie nach. Gibt es Zeugen?“

      Doch Carney starrte ihn mit offenem Mund an.

      „Hab’ keine.“

      „Wir brauchen die Reifenabdrücke von Ihrem Wagen.“

      Carney zuckte nur die Schultern.

      „Roter Holden, steht unten, Mann, ich muss weitermachen!“

      Er drehte sich um, hastete mit eingezogenem Kopf zu seinem Platz zurück und zerrte das nächste Schaf aus dem Verschlag heraus. Carney hatte den Bock an den Hörnern gepackt, schleifte ihn auf dem Rücken an den Arbeitsplatz, klemmte ihn sich zwischen die Schenkel und begann das Fell mit dem von oben herabhängenden elektrischen Rasierer zu scheren. Geschickt kurvte er um die Ohren, setzte nur ein paar Mal am Kopf an, dann an den Beinen. In wenigen Minuten war aus einem wolligen Schaf ein weißhäutiges Wesen auf dürren Beinchen geworden. Er gab ihm einen Tritt und holte sich das nächste. Vor ein paar Jahren, erinnerte sich Shane, zahlte man dem Scherer pro Schaf einen Dollar. In dem Tempo würde Carney ungefähr zweihundert Stück am Tag schaffen.

      Der Führer der Schafscherertruppe, der Untersetzte mit der Glatze, sah in seinem Buch nach und sagte ihm, dass Mike Carney an jenem Samstag genau einhundertzweiundzwanzig Schafe geschoren hatte. Am Tag davor hatte Carney zweihundertsechs geschafft...

      Nachdenklich kehrte Shane zu seinem Wagen zurück, hinter dem, wie ihm jetzt auffiel, ein zerbeulter roter Holden parkte. Durch das heruntergelassene Fenster warf er einen Blick in den Innenraum. Ein paar zusammengeknüllte Papiere und Pappbecher im Fußraum und auf dem Armaturenbrett - und Schaffellbezüge auf allen Sitzen.

      Die


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