Der Hölle so nah. Michael Bardon

Der Hölle so nah - Michael Bardon


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sagen. Doch ich muss gestehen, er war sehr nett zu mir, spendete mir Trost, sprach mir sogar Mut zu.

      Sicher hatte auch er schon einmal die leidvolle Erfahrung eines Betrogenen durchlebt. Sicher verfügte dieser gebildete Mann über den nötigen Intellekt und brachte ein gewisses Verständnis für meine schwierige Situation auf.

      Schließlich war ich ja kein Unmensch. Ich hatte meine Frau nicht aus einer abartigen, gestörten Veranlagung heraus ermordet. Das Gegenteil war der Fall. Ich hatte es nur gut gemeint und sie von ihrer schweren Last, ihrer unerhörten Schuld befreit.

      Was Sie noch nicht wissen: Ich bin eine tragende Säule dieser Stadt. Stehe mit der Bürgermeisterin auf Du und Du. Spiele mit den Richtern regelmäßig eine Partie Golf oder fahre mit dem Oberstaatsanwalt zu einer gemütlichen Weinprobe aufs Land.

      Diese Menschen würden mich bestimmt verstehen. Sie würden ihre Lippen schürzen, verständnisvoll mit dem Kopf nicken und Charly – für das, was sie mir angetan hatte – aufs Strengste verurteilen. Ich hätte beinahe mein Gesicht verloren. Wäre zum Gespött, zum Hauptgesprächsthema hinter vorgehaltener Hand geworden. In den Elite-Kreisen, in denen ich mich bewege, lästert man nicht öffentlich. Man macht es heimlich, im Verborgenen, fernab von Gut und Böse.

      Und das nach allem, was ich für diese Frau getan hatte! Ich hatte sie aus der gutbürgerlichen Schicht geholt und in den gehobenen Kreisen dieser wunderschönen Weltmetropole eingeführt.

      Meine Gedanken schweiften ab. Entfernten sich zu einem Punkt in meinem Leben, an dem meine Arbeit für mich noch oberste Priorität genossen hatte. Ich noch nicht der süßen Versuchung meiner einzigartigen, wunderschönen Charly anheimgefallen war.

      Gott, wie sehr sie mir schon jetzt fehlte! Wie sehr ich den süßen Duft ihrer zarten Haut vermisste. Wie sehr ich ihre sanft geschwungenen Lippen, ihre gletscherblauen Augen herbeisehnte.

      Das Schicksal ist ein bösartiges Monster. Es füttert dich mit den lieblichen Verlockungen des Lebens. Zeigt dir das Paradies auf Erden, lässt dich die Einmaligkeit der Liebe spüren. Und dann, wenn dir die Sonne wie ein Flutlicht aus dem Arsch scheint, türmen sich am Horizont wahre Wolkengebirge auf, bringen Sturm und Hagel mit sich, stürzen dich in ein alles beherrschendes Unglück.

      Ich sehe schon, jetzt wollen Sie auch den Rest der Geschichte hören.

      Ich durchschaue Sie. Sie wollen sich an meinem Pech berauschen, sich an meinem Unglück ergötzen. Nur zu! Lassen Sie keine Gemeinheit aus. Lachen Sie über meine Naivität, amüsieren Sie sich über meine Torheit!

      Doch um Ihnen den Spaß ein ganz klein wenig zu verleiden, möchte ich Folgendes dazu anmerken: Überlegen Sie mal! Denken Sie für ein paar Sekunden darüber nach! Was könnten Sie mir schon antun, das das Schicksal mir noch nicht angetan hat?

      Oder täusche ich mich etwa, und Sie empfinden so etwas wie Mitgefühl für mich, für meine prekäre Situation? Egal! Mich interessieren Ihre Beweggründe eigentlich nicht. Lachen Sie mich ruhig aus, beschimpfen Sie mich, bedauern Sie mich ein wenig! Das ist Ihre Sache, Ihr ganz privates Vergnügen.

      Für mich zählt nur die Tatsache, dass Sie mir zuhören, mich aus dem tristen Alltag meines Daseins erlösen. Ich freue mich einfach darüber, dass Sie für ein paar Stunden mein Wegbegleiter sein wollen.

      Wir springen jetzt gemeinsam drei Jahre in der Zeit zurück. Wir springen zurück zu dem Zeitpunkt, an dem ich meine Charly zum ersten Mal gesehen habe.

      Machen Sie sich bereit! Unsere gemeinsame Reise beginnt, sobald Sie die nächste Seite aufschlagen …

      Die Traumfrau

      In der rauchgeschwängerten Luft der Frankfurter Szenen-Kneipe überlagerten sich unzählige Gerüche. Sie konkurrierten miteinander, verbündeten sich untereinander und erschufen so ein buntes Potpourri von fremdartiger Würze.

      Der liebliche Hauch eines Frauenparfüms fusionierte mit dem herben Duft eines männlichen Aftershaves. Das süßliche Aroma der getrockneten Marihuana-Pflanze kämpfte verzweifelt gegen den ordinären Dunst der Tabakstaude. Und, als Krönung, reihten sich die Botenstoffe unzähliger alkoholischer Getränke in diesen Geruchscocktail auch noch ein.

      Ich hasste diesen degoutanten Mief. Ich verabscheute ihn zutiefst. Doch das Leben ist bekanntlich kein Ponyhof und manche Dinge kann man sich einfach nicht aussuchen.

      Die Notwendigkeit von Sehen-und-gesehen-Werden, beispielsweise.

      Wer gesellschaftlich eine Rolle spielen wollte, kam einfach nicht um einen Besuch in den angesagten Szene-Lokalen herum. Außerdem tummelten sich im Dunstkreis der sogenannten In-Kneipen immer viele junge und vor allem attraktive Frauen.

      Das gab für mich den Ausschlag, meinen Körper dieser krankmachenden Atmosphäre auszusetzen. Über den ungeheuren Lärmpegel, die krankheitserregenden Keime und zurückgelassenen Bakterien möchte ich an dieser Stelle lieber erst gar nicht nachdenken.

      Ich lebte nach dem Motto, dass nur in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohnen kann. Sport, genügend Schlaf sowie eine biologisch einwandfreie, ausgewogene Ernährung waren in meinen Augen die Eckpfeiler für ein gesundes Leben. Natürlich gönnte ich mir hin und wieder auch einen Schluck Alkohol. In Maßen genossen, kann ein 100-Punkte-Wein wie der 2009er Château Pontet Canet oder ein dreißig Jahre alter Glenfiddich-Whisky auch ein Jungbrunnen für Geist und Seele sein.

      Ich saß also an meinem Tisch, nippte an einem köstlichen dreißig Jahre alten Whisky und hielt Ausschau nach einer hübschen und willigen Gespielin.

      »Oh, Mann, schau dir mal die Brünette da vorne an!«

      Ich schaute in die angegebene Richtung, runzelte die Stirn und fragte ratlos: »Welche meinst du?«

      »Die, die rechts neben dem blonden Hungerhaken steht. Siehst du die?«

      Ich blickte zuerst zu meinem Freund Winni, dann nahm ich die Frau in Augenschein.

      »Ja, nicht schlecht. Aber auch nichts Besonderes.«

      »Nicht schlecht«, äffte mich Winni mit nasal verstellter Stimme nach.

      »Ja, nicht schlecht. Eine von vielen. Schau dich doch um! So eine findest du hier drinnen ein gutes Dutzend Mal.«

      »Hast du heute schon in den Spiegel geschaut? Nur so am Rande: Du siehst noch immer so scheiße aus wie gestern, vorgestern oder vorvorgestern.«

      Ich hasste das!

      Dr. Winfred Alois Burgmann, mein einziger Freund und engster Vertrauter, ließ mich mal wieder wissen, dass ich beileibe kein schöner Mann war. Dank diverser kahler Stellen auf meinem Haupt hatte ich mich dazu entschlossen, meine Haare gänzlich abzurasieren.

      Ich trug eine Brille – Kontaktlinsenunverträglichkeit –, und mit meinen 1,74 Metern war ich blöderweise auch kein Hüne. Wenn man es aus allen zur Verfügung stehenden Blickwinkeln betrachtete, konnte man mich am besten mit einer grauen Maus vergleichen. Ich ging in der großen Masse einfach unter. Wer mich sah, vergaß mich wenige Augenblicke später wieder, tilgte mich als unbedeutend aus seinem Kurzzeitgedächtnis.

      Winni hingegen war ein Adonis. Er war das Ebenbild eines griechischen Gottes. Ein kleines Lächeln seinerseits trieb beinahe jede Frau an den Rand einer Ekstase. Er war der Zauberer der Verführung, der Magier des One-Night-Stands, der Meister der Wollust. Und darüber hinaus seit über zwanzig Jahren mein bester, weil einziger Freund. Wir hatten gemeinsam studiert, das eine oder andere Abenteuer erlebt und waren nun Partner in unserer eigenen Kanzlei.

      Ich hatte das goldene Gehirn, er das hübsche Gesicht. Mir gehörten 65 Prozent, ihm die restlichen 35. Ich arbeitete die Verträge aus, entwarf die Schlachtpläne, schuf die Voraussetzungen für eine Firmenübernahme. Er repräsentierte unsere Kanzlei medienwirksam und zog die Menschen dank seines guten Aussehens sowie seiner Redegewandtheit auf unsere Seite.

      »Trotzdem! Die ist mir zu fad. Das ist gemeine, langweilige Hausmannskost. Ich will aber eine Delikatesse. Sie


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