Der Hölle so nah. Michael Bardon

Der Hölle so nah - Michael Bardon


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nahm mir für solche Sentimentalitäten keine Zeit. Mein primäres Ziel hieß: Erledige diesen Muskelprotz! Mach ihn fertig, schaff ihn von der Bildfläche, radiere ihn aus ihrem Leben!

      Ich hatte größte Bedenken, dass er Charly etwas antun könnte oder dass sie seinen Avancen doch noch erliegen würde.

      Fressen oder gefressen werden. Ich hatte keine Wahl.

      Während ich nachdenklich an meinem Kaffee nippte, hörte ich die alte Holztreppe protestierend knarren. Das konnte eigentlich nur bedeuten, dass Winni, ganz gegen seine Gepflogenheiten, sich schon vor zehn Uhr in unserer Kanzlei einfand.

      »Winni, bist du das?«, rief ich halblaut in den Flur hinaus.

      Keine Antwort!

      Dann lauter: »Winni … Winni, bist du das?«

      »Ja doch. Warum schreist du denn so?«

      »Bist du aus dem Bett gefallen?«

      »Nee! Ich habe um elf Uhr ein Termin mit Orloff und will mich darauf vorbereiten. Ich muss dir ja nicht erzählen, was der Kerl mit mir anstellt, wenn ich auf seine Fragen keine Antworten weiß.«

      Dimitrie Orloff. Russischer Geschäftsmann und Kopf einer gut florierenden Organisation, auf deren Fahne das organisierte Verbrechen stand. Ein übler Schurke fast biblischen Ausmaßes, der mit klugem Kopf und stählerner Hand seine dubiosen Geschäfte führte.

      Wir betreuten seine legalen Unternehmungen und arbeiteten hart an seinem positiven Image. In Sachen Straftaten hatte er seine eigenen Anwälte. Das war einfach nicht unser Ding und passte auch nicht zu unserer Geschäftsphilosophie. Ich würde meine kostbare Zeit nie mit Mördern, Schlägern, Einbrechern oder Drogenkurieren verbringen.

      Was konnte man als Anwalt an solch einem Mandanten schon verdienen? Für so ein Taschengeld würde ich morgens noch nicht einmal aufstehen.

      »Dann wünsche ich dir viel Glück, mein Lieber. Sind die Wohnungen endlich frei?«

      »Ja, bis auf drei. Da sträuben sich die Mieter noch ein wenig. Ich habe ihnen ein hübsches Sümmchen geboten, um sie zum Auszug zu bewegen.«

      »Und?«

      »Die sind echt hartnäckig. Entweder wollen sie den Preis noch ein wenig in die Höhe treiben oder sind einfach nur blöde«, meinte Winni achselzuckend.

      Ja, die Grundstücksspekulation war ein nervenaufreibendes Geschäft. Manche Menschen verrannten sich förmlich in ihren Starrsinn. Wollten nicht akzeptieren, dass sie aus ihren günstigen Mietwohnungen ausziehen sollten.

      »Für was braucht Orloff eigentlich das Grundstück? Will er die Wohneinheiten renovieren und in Eigentumswohnungen umwandeln?«

      »Nee. Er braucht mehr Stellfläche für seine LKW. Das Geschäft mit der Spedition brummt und er benötigt mehr Platz für seine neuen Vierzigtonner.«

      »In einem Wohngebiet? Das klappt doch nie.«

      »Das ist kein Problem, Tobias. Der zuständige Mann vom Bauordnungsamt macht gerade einen Luxusurlaub in der Karibik. Du kannst ja mal raten, wer diesen Urlaub und das nötige Taschengeld bereitgestellt hat. Der Typ frisst uns praktisch aus der Hand.«

      »Respekt …«

      »Nicht schlecht, was? Hast du schon was wegen deiner neuen Flamme unternommen?«, fragte Winni im beiläufigen Tonfall.

      »Ja. Nein. Die Wahrheit ist, dass mir nicht so recht etwas einfallen will. Natürlich kann ich eine Strafanzeige wegen Stalkings stellen, aber wird das den Typ auch aufhalten?«

      »Ich kann ja nachher mal Orloff fragen. Der muss seine Schläger sowieso losschicken, um die Mieter zur Vernunft zu bringen. Die könnten den Kerl doch gleich ein bisschen durch die Mangel drehen, oder?«

      Ich überlegte fieberhaft. Eine kleine Abreibung würde dem Muskelprotz bestimmt nichts schaden. Und wenn Orloffs Männer ihm dann noch ein paar Gramm Marihuana oder Amphetamine unterjubelten und anschießend der Polizei einen kleinen Tipp gaben, wanderte der Kerl erst einmal in den Bau. Zusätzlich konnte ich dann noch mit der Anzeige wegen Stalkings einen weiteren Nagel in seinen Sarg einschlagen und meinen Nebenbuhler auf elegante Weise ins Abseits stellen.

      »Winni, du bist genial«, rief ich erfreut, leckte mir über die spröden Lippen und sagte dann: »Gib mir kurz Bescheid, wenn ihr mit der eigentlichen Sache durch seid. Ich spreche selbst mit Orloff, vielleicht kann er mein kleines Problem wirklich aus der Welt schaffen. Wozu hat man schließlich solch gute Kontakte. Wäre ja eine Schande, wenn man sie nicht nutzt, um einer verzweifelten Mandantin zu helfen.«

      »Verzweifelt, klar. Ich sage dir Bescheid, wenn wir fertig sind«, nickte Winni zustimmend. In seinem Ton schwang eine kleine Prise Hohn mit.

      Mord, Gefühle und eine Verabredung

      Auf das Gespräch mit Herrn Orloff möchte ich an dieser Stelle lieber nicht weiter eingehen. Doch ich kann Ihnen versichern: Wir trafen eine – für meine Mandantin – höchst zufriedenstellende Übereinkunft.

      Ich spüre Ihren tadelnden Blick. Ich kann Ihre Entrüstung beinahe mit den Händen greifen.

      Doch manchmal muss man dem vermeintlichen Glück einfach ein wenig auf die Sprünge helfen. Man schubst es ein bisschen an, weist ihm den Weg, den es nehmen soll.

      Sagt der Volksmund nicht auch, in der Liebe und im Spiel sei alles erlaubt? Sagen Sie jetzt bitte nicht, Sie hätten das noch nie gemacht. Ich würde Ihnen das nämlich nicht abnehmen.

      Sie machen auf mich einen recht aufgeweckten, pfiffigen Eindruck und scheinen genau zu wissen, auf was es im Leben letztendlich ankommt. Würden Sie nicht auch mit beiden Händen fest zupacken, wenn das Glück Ihnen mit breitem Grinsen auf der Straße entgegenschlendert?

      Na …? Sehen Sie. Genau so erging es mir damals auch.

      Ich packte die Gelegenheit beim Schopf und überließ es Orloffs Schlägern, den anhänglichen Muskelprotz dauerhaft aus Charlys Leben zu entfernen.

      Mehr möchte ich an dieser Stelle aber nun wirklich nicht verraten. Eigentlich habe ich schon viel zu viele Worte darüber verloren. Ich kann mich hoffentlich auf Ihre Diskretion verlassen, kann darauf vertrauen, dass das Ganze unter uns bleibt. Es wäre mir wirklich sehr unangenehm, wenn Orloff wegen dieser Sache Schwierigkeiten bekäme oder, schlimmer noch, wenn Sie von seinen Mordbuben heimgesucht würden.

      Also pssst …! Über manche Dinge breitet man besser den Mantel des Schweigens und tut so, als habe man noch nie etwas davon gehört.

      Nach diesem – na, Sie wissen schon – Gespräch zog sich der Vormittag dahin wie ein zu lange gekautes Kaugummi. Ich war nervös, voller Vorfreude und erwischte mich ständig dabei, wie ich an meinem Daumennagel zu knabbern versuchte.

      Winni war nach seiner Konferenz mit Orloff wieder aus der Kanzlei verschwunden. Er hatte wohl bewusst darauf verzichtet, unserem privaten Gespräch beizuwohnen und sich mit Dingen zu belasten, die ihn eigentlich auch nichts angingen. Dennoch hätte ich es begrüßt, wenn er mir in der schwierigen Situation des untätigen Wartens ein wenig beigestanden wäre.

      Obwohl die Zeit eine feste Konstante darstellt und die Sekunden im Gleichtakt des Universums verrinnen, nehmen wir die Zeit sehr unterschiedlich war. Manchmal läuft sie uns durch die Finger, verrinnt im Strom von Hektik und Betriebsamkeit. Und dann gibt es solche Tage, an denen sich eine Sekunde zur Ewigkeit ausdehnt.

      Ein kleines Beispiel gefällig?

      Ich sage nur Sex oder Zahnarzt …

      Stellen Sie sich doch bitte einmal vor, Sie liegen mit dem Partner Ihrer Begierde nackt im Bett. Ihr Hormonpegel ist voll am Anschlag, das Blut pulsiert in Ihren Adern, Ihr Gehirn hat das Denken auf ein Minimum reduziert. Die Minuten werden zu einem einzigen Augenblick, und ehe man sich’s versieht, grunzt der Mann zufrieden auf, und die Frau liegt – meist frustriert und noch immer hormongepeitscht – heftig nach Luft ringend neben


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