Der Hölle so nah. Michael Bardon

Der Hölle so nah - Michael Bardon


Скачать книгу
meinst bestimmt so eine wie die da«, sagte er und verzog seine Kussmund-Lippen zu einem wissenden Lächeln.

      Mein Blick folgte seinem muskulösen Unterarm, den er lässig in Richtung der Eingangstür streckte. Mein Herzschlag setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus. Dann galoppierte es wieder los, pumpte Adrenalin, Endorphine und Glückshormone durch meine Venen.

      Jaja, ich weiß genau, was Sie jetzt denken! Zu meiner Ehrenrettung möchte ich jedoch erwähnen, dass ich noch nie, ich betone: noch nie mit meinem Hermann gedacht habe. Ich bin ein knallharter Realist. Denke mit mathematischer Präzision und verfügte über die Gabe, meine Gefühle jederzeit und an jedem Ort vollständig auszublenden.

      Doch dem Zauber dieses Augenblickes konnte ich mich einfach nicht entziehen. Ich erlag ihm wie eine Motte, die mit weit ausgebreiteten Flügeln dem tödlichen Tausend-Watt-Strahler entgegenflog.

      Wie soll ich Ihnen nur beschreiben, welch einzigartiges Bild meine Sehnerven in mein Gehirn projizierten? Wie nur kann ich Ihnen – mit meinem ungeübten, poesiebefreiten Wortschatz – die sinnliche, atemberaubende Ausstrahlung meiner Charly veranschaulichen?

      Was ich dort in der Tür sah, verschlug mir einfach den Atem, trieb meinen Puls in schwindelerregende Höhe, verjagte jegliche Logik aus meinen umhertollenden Gedanken.

      Doch das – so glaube ich jedenfalls – habe ich bereits vor ein paar Sekunden in ähnlicher Form schon einmal erwähnt, oder?

      Egal! Ich saß also in diesem bequemen, aus Büffelleder gefertigten Clubsessel und starrte voller Faszination auf die Kehrseite einer Frau. Ihr blondes Haar war seitlich kurz geschoren, während das restliche, gut 15 Zentimeter lange Deckhaar nach allen Seiten wild abstand. Sie trug ein weißes, fast rückenfreies Neckholder-Top, das einen Hauch über dem Ansatz ihrer schwarzen Designer-Jeans endete. Eine kleine Gucci-Handtasche baumelte lässig von ihrer sonnengebräunten Schulter und ihre Füße steckten in bequem aussehenden Leinenschuhen mit einer flachen Sohle.

      Nichts Besonderes, mögen Sie jetzt denken. Eine Frau in Jeans, mit Leinenschuhen, Gucci-Handtasche und rückenfreiem Top. So was findest du im Sommer an jeder Straßenecke.

      ‹Weit gefehlt›, kann ich da nur sagen! Es war das Gesamtbild ihrer Erscheinung, das mich unwiderruflich in ihren Bann zog. Ihre sonnengebräunte Haut, ihre stolze, aufrechte Haltung, ihr schlanker Hals, ihre wohlgeformten Hüften und der schönste Popo, den Sie sich vorstellen können.

      Diese Frau war, obwohl ich sie noch nicht von vorn gesehen hatte, das perfekte Ebenbild meiner Träume. Ich wusste intuitiv, dass mich, wenn sie sich umwandte, ein schönes Gesicht, knackige Brüsten und ein flacher Bauch erfreuen würden.

      »Winni … Winni!«

      »Ja, Kumpel?«

      »Das, das, das … ist meine Traumfrau«, stammelte ich entgeistert und fühlte ein wildes Pochen in meinen Lenden.

      »Häh? Du hast die Alte ja noch nicht einmal von vorn gesehen. Vielleicht ist sie so hässlich wie die Nacht. Oder hat ´ne fette Warze im Gesicht, schlechte Zähne oder Hängetitten.«

      »Hat sie nicht!«

      »Woher willst du das wissen? Bist du jetzt auch unter die Hellseher gegangen?«

      »Quatsch, Winni. Ich weiß es einfach. Schau sie dir doch an. Hast du schon einmal so eine hübsche Frau gesehen? Ich meine, schau dir doch nur einmal ihre Haut an. So braun, so zart, so einmalig sanft.«

      »Und das siehst du alles auf zehn Metern Entfernung. Mann, Tobias, wann hattest du denn deinen letzten Fick? Ist schon ´ne Weile her, oder?«

      »Du weißt genau, dass ich die letzten Wochen wie ein Verrückter geschuftet habe. Meinst du, die Arbeit im Büro erledigt sich von allein? Auf dich kann ich ja nicht zählen!«

      »He, du hast deinen Job und ich meinen. Komm mir also nicht so! Sex ist keine Sache der Zeit. Du kannst es überall und zur jederzeit treiben. Siehst du die Blonde da drüben? Mit der habe ich es gestern hier im Klo getrieben.«

      »Echt jetzt?«

      »Wenn ich’s dir sage! Die hat so laut gestöhnt, dass die Typen an der Bar einen Ständer bekommen haben.«

      »Herrje, Winni, das ist ja ekelhaft! Denkst du vielleicht auch hin und wieder an den guten Ruf unserer Kanzlei?«

      »Na, du bist gut. Ich leihe mir nur für ´ne halbe Stunde die Frau eines anderen Mannes aus. Du hingegen nimmst ihm die Firma, schaufelst sein Grab und ziehst ihm noch das Geld für seine Beerdigung aus der Tasche. Jetzt erzähl mir noch einmal was von Moral und Anstand.«

      »Das ist doch nicht miteinander vergleichbar.«

      »Ist es wohl.«

      »Nein! Du vergleichst Äpfel mit Birnen. Das eine ist mein Job. Unsere Kunden bezahlen dafür viel Geld. Geld, von dem du auch ganz gut leben kannst. Da ist moralisch nichts Verwerfliches dabei.«

      »Nichts Verwerfliches? Mann, wir klauen Tausenden von kleinen Arbeitern den Job. Mich belastet das schon. Darum lenke ich mich mit Sex ab. Solltest du auch mal probieren!«

      »Mich interessieren diese Untermenschen aber nicht. In unserem«, ich krümmte beide Zeigefinger, »Sozialstaat verhungert niemand. Wer am Ende der Nahrungskette steht, muss eben fressen, was er vorgesetzt bekommt.«

      »Manchmal bist du ein richtiges Arschloch. Weißt du das?«

      Ich zuckte gelangweilt mit den Schultern. Winnis soziale Ader ging mir gewaltig auf die Nerven. Ich stammte aus einer Arbeiterfamilie. Vater Maurer, Mutter Putzfrau. Mir brauchte niemand etwas zu erzählen. Ich hatte mich nach oben gekämpft. Hatte während des Studiums wie ein Wilder geschuftet und einen Nebenjob nach dem anderen gehabt.

      Winni hingegen wurde von seinem Opa ausgehalten. Der alte Tattergreis hatte ein Vermögen mit Immobilien und Grundstückspekulationen verdient, liebte seinen Enkel abgöttisch und gewährte ihm ein großzügiges monatliches Salär.

      »Hilf mir bitte! Hol sie an unseren Tisch! Ich muss sie unbedingt kennenlernen«, sagte ich und konnte die Augen nicht von ihr lassen.

      »Hast du ´nen Knall. Schau dir den Typen an, bei dem sie steht. Der macht aus mir Hackfleisch«, protestierte Winni, schüttelte energisch den Kopf und presste die Lippen trotzig aufeinander.

      »Na, und? Wir sind Rechtsanwälte. Wenn er dir wehtut, verklagen wir ihn.«

      »Toll.«

      »Es ist wirklich wichtig für mich. Bitte, Winni … geh zu ihr, lass deinen Charme spielen! Lad sie auf ein Gläschen Champus ein!«

      Seufzend stemmte sich mein Freund aus dem Büffelleder-Clubsessel, warf einen prüfenden Blick in die spiegelnde Glasplatte des Tisches und schnaufte verächtlich: »Dafür schuldest du mir was.«

      »Klar!«

      »Das wird nicht billig. Und wenn mich der Typ anrührt …«

      »… dann verklag ich ihn. Ich mach ihn fertig, nehme ihm alles, was er hat, und sorge dafür, dass er ins Gefängnis wandert«, versprach ich vollmundig.

      In diesem Augenblick geschah es. Meine Charly – damals wusste ich natürlich noch nicht ihren Namen – drehte sich herum, blickte sich suchend um, lächelte kurz und kam in unsere Richtung gelaufen.

      Eine Frau am Nachbartisch hob grüßend ihre Hand, winkte meiner Angebeteten mit fuchtelten Finger hektisch zu.

      »Setz dich!«

      »Was?«

      »Du sollst dich wieder hinsetzten.«

      Winni, der noch immer fasziniert in sein eigenes Spiegelbild starrte, glotzte mich verständnislos an, ließ sich dann aber bereitwillig in seinen Sessel zurückplumpsen.

      Mein Blick haftete an der engelsgleichen Erscheinung, die mit wogenden Hüften auf unseren Nachbartisch zusteuerte. Ihr fein geschnittenes Gesicht, das vollkommen symmetrisch war, verzog sich zu einem atemberaubenden Lächeln.

      Keine


Скачать книгу