Der Hölle so nah. Michael Bardon

Der Hölle so nah - Michael Bardon


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Bohrers. An den Geruch der Praxis. An die gemeinen, pochenden Schmerzen in Ihrem Backenzahn.

      Muss ich noch weiterreden, noch mehr ins Detail gehen?

      Bestimmt nicht!

      Ich saß ergo den ganzen Vormittag auf einem imaginären Zahnarztstuhl und litt Höllenqualen. Die Zeit weigerte sich beharrlich zu verstreichen und mein Nagelbett wies bereits blutige Bissspuren auf.

      In Gedanken hatte ich den Moment, in dem Charly mein Büro betreten würde, schon Tausende Male durchgespielt. Ich würde hektische Betriebsamkeit vortäuschen, ungehalten aufschauen und nachdenklich die Augenbrauen hochziehen.

      Zeige einer Frau nie, wie sehr du sie begehrst! Wenn sie herausfindet, dass du sie liebst, wird sie bis in alle Ewigkeit mit dir spielen.

      So weit die Theorie.

      In der Praxis hüpfte ich beinahe vor Begeisterung aus dem Chefsessel, als meine Sekretärin, Frau Sommer, Charly endlich über das Telefon ankündigte. Ich eilte durch den Raum und riss die Tür zu meinem Büro bereits auf, als Charly ihren Fuß auf die erste Treppenstufe stellte.

      Sie trug einen beigefarbenen Rock, der kurz über ihrem Knie endete. Eine ärmellose Bluse im gleichen Farbton vervollständigte ihre schlichte, aber ungemein aufreizende Garderobe. Eine grünschimmernde Kette aus unzähligen kleinen Perlen schmiegte sich um ihren schlanken Hals und betonte die faltenlose Bräune ihrer zarten Haut. Der Hauch eines betörenden Parfums eilte ihr voraus und kroch, einem arglistiger Dämon ähnlich, durch die Nase in mein Gehirn.

      Sie können sich sicher denken, dass mein Herz wie wild in meiner Brust herumhüpfte, während ich mit einem dümmlichen Grinsen vom oberen Treppenabsatz auf sie hinabstarrte. Ich genoss jede Nanosekunde, genoss das verführerische Spiel ihrer hauchzarten Muskeln, genoss die Schönheit, die Wärme, die Aura ihrer Erscheinung.

      Diese Frau hatte mich gefangen. Sie hatte ihr Netz – unbewusst oder in voller Absicht – ausgeworfen und mich aus den Tiefen des Atlantiks gefischt. Mir war es egal. Ich wollte für den Rest meines Lebens in ihrem Aquarium schwimmen und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen.

      Tobias Schlierenbeck starb in dem Moment, als sich ihre sinnlichen Lippen öffneten und sie mit funkelnden Augen ein Lächeln zu mir heraufschickte. Ich mutierte zu einem männlichen Jeannie, wurde zu einem willenlosen Sklaven, zu einer Marionette in ihren schlanken Fingern. Mir war sofort klar: Für diese Frau würde ich ohne Zögern einen Mord begehen oder mich mit dem Teufel höchstpersönlich anlegen.

      Das mit dem Mord hatte ich ja bereits in Auftrag gegeben. Das Spiel mit dem Teufel durchleide ich zurzeit.

      Sie sehen also, der Kreis des Lebens hat sich geschlossen. Jedem widerfährt seine gerechte Strafe. Ich bezahle den Preis für meine Dummheit, meine Arroganz, meine Liebe, für meinen Glauben an das ewige Glück.

      Ich weiß nicht, was Sie im Leben schon alles angestellt haben. Doch seien Sie sich bewusst, dass niemand der gerechten Strafe entgeht. Das Schicksal lauert schon, wartet auf den richtigen Moment. Es ist ein hungriger Wolf, der seine Fangzähne unbedingt in Ihr Fleisch schlagen will. Nutzen Sie Ihre Chance, tun Sie gute Dinge! Dann werden Sie vielleicht verschont und können Ihr Leben als glücklicher Mensch genießen.

      Diese Erkenntnis kommt in meinem Fall leider zu spät, doch Ihnen könnte sie noch nützliche Dienste erweisen. Ich mag Sie. Ja, wirklich. Sie sind mir sehr sympathisch.

      Ich muss wohl nicht erst erwähnen, dass die Stunde, die ich mit Charly verbrachte, in einer gefühlten Sekunde vorüberging. Die Zeit raste wie ein ICE der Deutschen Bahn, durchbrach ihre Konstante und schien aus dem Gleichgewicht des Universums ausbrechen zu wollen.

      Viel zu schnell nahte der Abschied. Zurück blieben ihr atemberaubender Duft sowie eine Verabredung für den kommenden Abend.

      Die Würfel waren gefallen, ich war in das Spiel des Lebens eingetreten. An meinen Nebenbuhler, den gutgebauten Muskelprotz, verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Im eigentlichen Sinne war er bereits tot und würde mir bestimmt nie wieder in die Quere kommen.

      Einkaufsbummel und Geständnis

      Ich nippte an meinem doppelten Espresso, leckte mir die schaumige Crema von der Oberlippe und schlug den Lokalteil der FAZ mit einem theatralischen Seufzer zu.

      »Oh, Mann, Zufälle gibt’s, nee, nee, nee …«, sagte ich grinsend und wackelte betrübt mit meinem Kopf.

      »Was meinst du?«, fragte Winni, doch in seiner Stimme klang Desinteresse mit.

      Wir saßen in einem Café und genossen eine kleine Auszeit, bevor meine Shopping-Wahn-Tour in die zweite Runde starten sollte.

      »Ich meine diesen Artikel in der FAZ«, sagte ich und tippte mit meinem Zeigefinger auf die Zeitung. »Da hat sich doch so ein lebensmüder Student einen riesigen Stein um die Füße gebunden und ist damit schwimmen gegangen – im Main. Sie haben am Flussufer seine Kleidung und einen Abschiedsbrief gefunden. Er soll die Trennung von seiner Freundin einfach nicht verkraftet haben, der Arme.«

      Winni, noch immer abgelenkt von den zahlreichen weiblichen Schönheiten um uns herum, blickte kurz zu mir herüber und schielte dann, mit hochgezogenen Brauen, auf die zusammengefaltete Zeitung.

      »Er war aber nicht rein zufällig zwei Meter groß und hatte Arme wie Schwarzenegger in seinen besten Jahren, oder?«

      »Hmm, keine Ahnung. Könnte aber gut möglich sein.«

      »Himmel, Tobias, bist du wahnsinnig? Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass der Typ nur eine kleine Abreibung erhält«, zischte Winni mit aschfahlem Gesicht über den Tisch.

      »Na und? Die Abreibung ist eben ein bisschen größer ausgefallen. Ist nicht auf meinem Mist gewachsen, ehrlich. Orloff meinte, dass man bei solchen Dingen besser Nägel mit Köpfen machen sollte«, sagte ich achselzuckend.

      »Jesses. Und du hast dem wirklich zugestimmt? Hast zugelassen, dass der arme Kerl brutal ermordet wird?«

      »Klar doch. Ein Problem weniger auf der To-do-Liste«, sagte ich, schlürfte den erkalteten Rest meines Espressos aus der Tasse und lächelte versonnen.

      In Gedanken war ich bereits bei heute Abend. Ich würde Charly um exakt acht Uhr zuhause abholen. Anschließend wollten wir zu ihrem Lieblings-Italiener gehen. Kerzenschein, ein guter Rotwein, der verführerische Duft von Pasta und frischer Pizza. Ich konnte die mediterrane Atmosphäre schon deutlich spüren, konnte den Abend kaum noch erwarten.

      »Du bist doch echt krank in der Birne, Tobias. Du kannst doch nicht …«

      »Oh, nun hab dich nicht so! Muss ich dich wirklich an letztes Jahr erinnern? Ich sage nur Herzinfarkt!«

      »Das … das … das war doch etwas … also, das ist jetzt aber …«, stotterte Winni aufgebracht.

      »Herzinfarkt.«

      »Ach komm, Tobias, das ist nicht fair. Der Alte hatte ein schwaches Herz. Woher hätte ich das wissen sollen?«

      »Vielleicht aus seiner Krankenakte, die irgendwo in einem Papierstapel auf deinem Schreibtisch lag«, antwortete ich spitz.

      »Du vergleichst hier jetzt aber Käse mit Schinken. Das stinkt zum Himmel!«

      »Ach, tut es das? Ist der Alte gestorben oder nicht?«

      »Ja, ist er«, gab Winni kleinlaut zu.

      »Ah ja. Dann ist ja alles klar, oder? Du hast ihm die Schläger auf den Hals gehetzt. Wenn ich von solchen Typen Besuch bekäme, wäre ich, glaube ich jedenfalls, auch stark herzinfarktgefährdet, mein Lieber.«

      Winni wand sich – wie unter starken Krämpfen – auf seinem Stuhl. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und sein sonst so rosiges Gesicht hatte einen ungesunden grauen Farbton angenommen.

      »Schwamm drüber, mein Freund«, sagte ich großmütig. »Wo gehobelt wird, fallen nun einmal auch Späne. Manchmal muss unsereins eben auf unkonventionelle


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