Traum oder wahres Leben. Joachim R. Steudel

Traum oder wahres Leben - Joachim R. Steudel


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fand, haus­te er mit vier an­de­ren in ei­nem schmut­zi­gen Loch und hat­te kaum das Nö­tigs­te zum Le­ben. Die Ab­leh­nung, mit der er dem Freund sei­nes Va­ters be­geg­ne­te, hät­te je­den an­de­ren ver­trie­ben, doch Al-Kis­met­bahr schi­en es nur zu rei­zen, das Un­mög­li­che zu voll­brin­gen. Mit viel Ge­duld und Fein­ge­fühl ge­lang ihm die Ver­söh­nung von Va­ter und Sohn, aber eine Rück­füh­rung Sa­fis zu Al­lah war ihm nicht ge­glückt. Viel­leicht lag es dar­an, weil Safi bald be­merk­te, dass es auch nicht Ka­rims Glau­be war, doch dar­über mach­te er sich schon lan­ge kei­ne Ge­dan­ken mehr. Er ver­ehr­te mitt­ler­wei­le sei­nen Chef und hoff­te auf eine Freund­schaft, wie sie sein Va­ter mit die­sem pfleg­te. Auch wenn die bei­den Män­ner Ge­heim­nis­se ver­ban­den, in die er lie­ber nicht ein­ge­weiht wer­den woll­te, ging von ih­nen et­was aus, was ihn ma­gisch an­zog. Dar­in lag aber zu­gleich ein Grund für sei­ne Flucht.

      Als äl­tes­ter Sohn soll­te er der nächs­te Füh­rer des Fa­mi­li­en­clans wer­den, und sein Va­ter be­ton­te zum wie­der­hol­ten Male, in wel­chem Sin­ne er das zu tun hät­te. Doch die Er­run­gen­schaf­ten der mo­der­nen Epo­che in­ter­es­sier­ten ihn mehr als die al­ten Sit­ten und Ge­bräu­che. Auch dass er dann die Ge­heim­nis­se er­ben wür­de, die das Ge­schlecht der Kis­met­bahr mit den Me­schwesch ver­band, mach­te ihm Angst. Safi wuss­te von den Alb­träu­men, die sei­nen Va­ter ein­mal im Jahr heim­such­ten und ihn schrei­en und wei­nen lie­ßen. Er hat­te ihn am Mor­gen nach ei­ner sol­chen Nacht be­ob­ach­tet und in dem zit­tern­den, ge­beug­ten Mann konn­te er den cha­ris­ma­ti­schen Stam­mes­füh­rer kaum wie­der­er­ken­nen. Als er sei­ne Mut­ter nach dem Grund frag­te, hat­te sie nur ge­sagt: Du wirst es noch früh ge­nug er­fah­ren. Die Trau­er und Hilf­lo­sig­keit in ih­rem Blick hat­te eine Furcht in ihm ge­weckt, die er nie wie­der los­wur­de. Doch dar­über hat­te er mit Ka­rim da­mals nicht ge­spro­chen. Safi hat­te alle Ge­dan­ken dar­an ver­drängt, weil er hoff­te, mit sei­ner Flucht von zu Hau­se die­sem Schick­sal zu ent­rin­nen.

      Auf die­sen ers­ten Abend am La­ger­feu­er wa­ren noch vie­le ge­folgt. Manch­mal sa­ßen sie bis zum Mor­gen­grau­en, und Al-Kis­met­bahr sprach mit ihm über den Ge­ne­ra­tio­nen­kon­flikt, den es schon im­mer gab. Er führ­te ihn in die Denk­wei­se der Äl­te­ren ein, die das Er­run­ge­ne er­hal­ten woll­ten. Lenk­te sei­ne Ge­dan­ken auf die Wege, die sein Va­ter ge­gan­gen war, und Safi er­kann­te, dass er sich viel­leicht ähn­lich ver­hal­ten wür­de. Doch Ka­rim dräng­te ihm nichts auf. Er mach­te Pau­sen, in de­nen sie lan­ge Zeit schwei­gend die Flam­men des Feu­ers be­ob­ach­te­ten. Safi konn­te sich selbst fin­den, und er fand Ge­schmack am Bier. Ir­gend­wann war dar­aus ein Ri­tu­al ge­wor­den, das Safi mit dem Fei­er­abend ver­band. Doch mehr als eine oder zwei Fla­schen am Abend trank er nicht. Zum einen wuss­te er, dass sein Chef den Vor­rat, an dem Safi teil­ha­ben durf­te, von Deutsch­land ein­flie­gen ließ, und zum an­de­ren leg­te er kei­nen Wert dar­auf, be­trun­ken zu sein.

      Bei die­sen Ge­dan­ken an­ge­kom­men, brach­te Safi die lee­re Fla­sche weg und ging zu Bett. Die nächs­ten Tage wür­den mit viel Ar­beit an­ge­füllt sein, hat­te ihm Al-Kis­met­bahr mit­ge­teilt, und er woll­te ihn un­ter­stüt­zen, so gut er konn­te.

      Am nächs­ten Tag, kurz nach Son­nen­auf­gang, fuhr Safi mit dem Auto bei Ka­rims An­we­sen vor. Er traf sei­nen Chef und Sa­rah beim Früh­stück und zog sich gleich wie­der dis­kret zu­rück. Nur we­nig spä­ter wur­de er ge­ru­fen und setz­te sich, ein we­nig ner­vös we­gen der An­we­sen­heit der Frau, mit an den Tisch.

      Al-Kis­met­bahr mus­ter­te ihn nach­denk­lich und frag­te mit ei­nem Stirn­run­zeln:

      »Du weißt, dass wir nach Sak­ka­ra fah­ren und dort auch dei­nen Va­ter tref­fen wer­den?«

      Safi war klar, dass er auf sei­ne west­li­che Klei­dung an­spiel­te, doch aus ei­nem ge­wis­sen Trotz he­r­aus hat­te er sich be­wusst so ge­klei­det.

      »Ja, der Wa­gen ist voll­ge­tankt, und auch ich bin vor­be­rei­tet auf die Fahrt.«

      An sei­nem Ton­fall er­kann­te Ka­rim, dass er ihn nur mit ei­ner An­wei­sung dazu brin­gen konn­te, sich an­ders an­zu­zie­hen, doch das lag nicht in sei­nem Sinn.

      »Gut, dann bring bit­te noch ein paar Fla­schen Was­ser in die Kühl­box, wäh­rend wir uns be­reit ma­chen.«

      »Ist schon ge­sche­hen. Ich wer­de in der Zwi­schen­zeit den Tisch ab­räu­men.«

      Sa­rah war die Span­nung zwi­schen den bei­den nicht ent­gan­gen. Ka­rim über­setz­te aber nichts und sag­te zu ihr:

      »Wir wer­den jetzt zu der Be­gräb­nis­stät­te fah­ren und uns dort mit dem Gra­bungs­team so­wie ei­ni­gen Re­gie­rungs­mit­glie­dern tref­fen. Ich habe um Auf­schub der Grab­öff­nung ge­be­ten, was das Team nicht ak­zep­tie­ren will. Es be­ruft sich auf die vor­lie­gen­de Ge­neh­mi­gung, doch ich hof­fe, dass ich alle Par­tei­en zu ei­ner Än­de­rung der Plä­ne be­we­gen kann.«

      »Ging es in eu­rem Ge­spräch dar­um?«

      Mit hoch­ge­zo­ge­nen Brau­en sah Ka­rim sie an.

      »Nein, wie kommst du dar­auf?«

      »Der Ton schi­en mir leicht ge­reizt, und ich dach­te des­halb ...«

      Mit ei­nem leich­ten Kopf­schüt­teln stieß Ka­rim die Luft durch die Nase aus.

      »Nein, das hat an­de­re Grün­de. Mein jun­ger Freund hier wird für Är­ger bei sei­nem Va­ter sor­gen, und ich hat­te ge­hofft, dass er sol­che Pro­vo­ka­tio­nen mitt­ler­wei­le un­ter­lässt«, sag­te er, ohne Safi mer­ken zu las­sen, dass es um ihn ging.

      Als Sa­rah den Kopf wen­den woll­te, be­rühr­te Ka­rim sie an der Hand und gab ihr mit den Au­gen ein Zei­chen. Das Auf­leuch­ten in ih­ren Au­gen zeig­te, dass sie ihn ver­stand.

      »Das Grab ist am Ran­de der Wüs­te, und es wird sehr warm wer­den. Zieh dir also bit­te et­was Ent­spre­chen­des an«, sag­te er, vom The­ma ab­len­kend.

      »Aber wir ha­ben ja noch nichts be­sorgt«, ant­wor­te­te sie stirn­run­zelnd.

      »Er ist auch nicht an­ders ge­klei­det, und es sind Eu­ro­pä­er in dem Team. Es wird sich kaum ei­ner dar­an sto­ßen.«

      Der Sei­ten­blick auf Safi hat­te ihr ge­zeigt, was Ka­rim stör­te, und nach­denk­lich ging sie in ihr Zim­mer.

      Al-Kis­met­bahr war­te­te, ge­klei­det, wie er am Vor­tag an­ge­kom­men war, an der Ein­gangs­tür, und als Sa­rah kam, hell­te sich sein Ge­sicht auf. Sie hat­te eine lan­ge bei­ge­far­be­ne Hose an, die sie bis kurz un­ter die Knie hoch­ge­krem­pelt hat­te. Die wei­ße Blu­se, de­ren wei­te Är­mel fast die El­len­bo­gen be­deck­ten, war bis oben zu­ge­knöpft, und einen eben­falls wei­ßen Schal, den sie sonst als Ac­ces­soire trug, hat­te sie tur­ban­ar­tig um den Kopf ge­schlun­gen.

      »Bei der Blu­se kannst du ru­hig einen Knopf öff­nen, und nimm den Schal ab. Wenn wir ir­gend­wo län­ger in der Son­ne ste­hen, kann er nütz­lich sein, da­mit du kei­nen Son­nen­stich be­kommst, doch an die­sem Ort, den auch vie­le Tou­ris­ten auf­su­chen, brauchst du dein Haar nicht zu be­de­cken«, sag­te er mit ei­nem Lä­cheln.

      Im Auto fiel Sa­rah zum ers­ten Mal auf, dass sich Safi un­wohl zu füh­len schi­en, wenn sie in sei­ne Nähe kam. Nach­denk­lich, aber dis­kret mus­ter­te sie ihn und frag­te sich, was ihn stör­te. Er schi­en ein mo­der­ner


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