Baphomets Jünger. Julia Fromme

Baphomets Jünger - Julia Fromme


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den Hof nicht mehr zu verlassen“, polterte er los. „Erst kürzlich haben sie in Wiesa einen armen Wanderer niedergeschlagen und ausgeraubt, obwohl bei ihm wahrlich nicht viel zu holen war. Aber es sind unsichere Zeiten. Da treibt sich mancherlei Gesindel herum.“ Ulrich raufte sich verzweifelt die von grauen Strähnen durchzogenen Haare. Die Sorge um seine Frau stand ihm ins Gesicht geschrieben.

      „Sie ist ja nicht allein gegangen“, wagte Heske einzuwenden.

      „Als wäre der schmächtige Bursche ein Schutz für sie“, schnaubte Ulrich.

      „Ich werde sie holen gehen“, meinte Rudger. „Doch unterschätzt den armen Anselm nicht, Vater. Er ist zäher, als er aussieht.“

      Rudger schnappte sich seinen Mantel, den er kurz zuvor auf einen Stuhl gelegt hatte und ging zur Tür.

      „Warte!“, rief Endres. „Ich begleite dich.“ Er musste kurz frische Luft schnappen, denn beim Anblick Heskes waren ihm heiße Gedanken gekommen. Es wäre besser, wenn er für eine Weile ihre Nähe mied.

      Die Kirche von Ywen lag einige hundert Meter oberhalb des Anwesens auf einer kleinen Anhöhe. Das schlichte, hölzerne Gotteshaus war bereits vor fast einhundertfünfzig Jahren von den ersten Siedlern hier errichtet worden. Diese waren aus Franken gekommen und mit ihnen Tiderich von Ywen, ein fränkischer Ritter aus einem reichsfreien Adelsgeschlecht, das in der Nähe von Ansbach noch immer seinen Stammsitz hatte.

      Der Herrensitz von Ywen war nie zu einer festen Burg ausgebaut worden. Obwohl ihn eine hohe Mauer umschloss, gab es nur eine steinerne Halle, der ein in Fachwerk ausgeführtes Obergeschoss aufgesetzt war. Mehrere Stall- und Wirtschaftsgebäude, eine Schmiede, ein Sudhaus und ein steinernes Backhaus, in dem auch die Küche untergebracht war, umgaben kreisförmig das Haupthaus. An der südlichen und der westlichen Seite des Anwesens verlief außerhalb der Mauern ein tiefer Wassergraben. Der Zugang zum Hof führte über eine Brücke aus dicken Holzbohlen. Doch hatte sich nie jemand die Mühe gemacht, sie mit einer Vorrichtung zu versehen, um im Notfall diese nach oben ziehen zu können. Lediglich ein hohes eisenbeschlagenes Tor, in das eine kleine Tür eingelassen war, sicherte den Eingang. Ebenfalls südlich neben dem Gutshof gab es eine Mühle, der sich ein großer Teich anschloss. Dort wurden außer dem Korn der Bauern auch Knochen gemahlen, die man später zu Leim verkochte. Ein talabwärts fließendes Bächlein regulierte die Wasserstände von Graben und Teich. An der nördlichen Seite stießen schmale Felder bis fast an die Mauer des Gutes, deren Raine mit dichtem Buschwerk begrenzt waren. Noch weiter im Norden zogen sich die Reste des Urwaldes hin, der einst von Rudgers Vorfahren gerodet worden war. Ursprünglich lag das Dorf der fränkischen Siedler südöstlich des Hofes. Doch da sich die Gemeinschaft im Laufe der Jahrzehnte immer mehr vergrößert hatte, reihten sich jetzt auch links und rechts des Baches etliche Häuser das Tal hinunter.

      Rudger und Endres hatten nach wenigen Minuten die Kirche erreicht, die auf einer leichten Anhöhe stand. Hier war alles still. Ein kleines, hölzernes Pfarrhaus schmiegte sich in die Ecke des Kirchhofes, hinter einer Mauer erstreckte sich der Gottesacker, der jetzt unter einer dicken weißen Schneedecke lag, aus der hier und dort ein schiefes, steinernes Kreuz hervorlugte.

      „Mutter!“, rief Rudger mit lauter Stimme. Von einer alten Eibe, die mitten auf dem Hof vor der Kirche stand, rieselte der Schnee. Endres schrak leicht zusammen. Irgendwie war dieser Ort unheimlich.

      „Mutter!“, rief sein Freund erneut. Die Tür der Pfarrershütte öffnete sich, und eine hochgewachsene Frau mittleren Alters erschien. Fragend blickte sie sich um. Dann entdeckte sie die beiden Freunde. Sie winkte ihnen kurz zu, nur um nochmals in der Hütte zu verschwinden. Rudger und Endres schauten sich verwundert an.

      „Was will sie hier bloß?“, murmelte Rudger. „Lass uns hineingehen.“ Entschlossen ging er zur Behausung des Geistlichen. Nach kurzem Zögern folgte Endres ihm. Ohne anzuklopfen betraten sie den einzigen niedrigen Raum. Sie brauchten einen Moment, um etwas erkennen zu können. Nur ein einzelner Kienspan erleuchtete das Innere. Eine eiserne Feuerschale stand an der hinteren, dem Eingang gegenüberliegenden, Wand, und der Rauch des Feuers zog durch eine kleine Öffnung knapp unter der Decke ab. Der Qualm des nassen Holzes war jedoch so stark, dass er zwischen den groben Dachbalken dahinwaberte. Rudger musste husten.

      „Pater Wito?“, fragte er. Der überraschte Gottesmann nickte zustimmend. „Gott zum Gruße, Pater. Wie haltet Ihr das hier bloß aus mit diesem Rauch? Ihr solltet Euch einen Herd mauern lassen mit einem richtigen Schornstein.“

      „Nun mein Sohn, nichts lieber als das“, antwortete Wito ohne weitere Begrüßung. „Aber dazu fehlen mir die Mittel, bin ich hier ja wahrscheinlich auch nur vorübergehend, wie die meisten meiner Amtsbrüder.“ Er warf einen kurzen Seitenblick auf Matilda, welche schweigend neben dem Geistlichen stand. Rudger schien es, als hätten sie beide ein Geheimnis, dass sie jedoch nicht mit den anderen teilen wollten.

      „Was willst du hier?“, fragte sie ihren Sohn mit etwas barscher Stimme, ohne auf Witos Rede einzugehen.

      „Vater schickt uns“, antwortete der jungen Ritter. „Und er ist nicht gerade erfreut darüber, dass Ihr allein in der Dunkelheit den Gutshof verlassen habt, Mutter“, fügte er hinzu.

      „Ich bin ja nicht allein gegangen. Immerhin hat mich Bruder Anselm begleitet“, verteidigte sich Matilda.

      Rudger lächelte. „Genau das habe ich Vater auch gesagt. Er war jedoch der Meinung, dass unser lieber Anselm...“ Er hielt inne und zwinkerte seinem Freund zu.

      „Was soll das heißen?“, ereiferte der junge Ordensmönch sich, der bis jetzt still neben Wito gestanden hatte. „Glaubt er, dass ich nicht in der Lage bin, einer hohen Frau Beistand zu leisten, wenn es von Nöten ist?“

      „Nun, ich hätte schon auf dich aufgepasst“, hänselte Rudgers Mutter ihn. Doch das schelmische Lächeln in ihren Augen zeigte Anselm, dass sie es im Spaß meinte. Der junge Mönch mochte zwar von schmächtiger Statur sein, doch war er kein Schwächling, denn der tägliche Umgang mit häuslichem Gerät in Hof und Garten des Ordenshauses hatten seine Muskeln durchaus gestärkt. Und einen Stock wusste er trefflich zu schwingen, denn das hatte ihm Rudger beigebracht, so dass er einen Angreifer ohne weiteres in die Flucht schlagen könnte.

      „Und was willst du hier, Anselm?“, fragte Rudger ernsthaft.

      „Ich werde nicht in Ywen bleiben, Rudger“, begann der Mönch. „Warte.“ Beschwichtigend hob er die Hände, als der junge Ritter ihn mit einem fassungslosen Ausdruck auf dem Gesicht unterbrechen wollte.

      „Ich habe es mir genau überlegt. Als ich mit unserem Ordensmeister Friedrich und den anderen Ritterbrüdern dort unten im Verlies des Erzbischofs saß, hatte ich mit Gott und der Welt bereits abgeschlossen. Unsere wundersame Rettung aber gab mir meinen Glauben zurück. Und so habe ich geschworen, mein Leben als Mönch weiterzuführen, in den Reihen des Deutschen Ordens. Ich wollte Pater Wito um Vermittlung bitten, dass er für mich einen Platz im Kloster in Zschillen aushandeln kann, da er selbst von dort hierhergekommen ist.“

      Rudger blickte fragend zu Wito. Er wusste zwar, dass dieser eigentlich ein Augustinermönch war, jedoch nicht, dass er aus Zschillen kam „Ich habe Bruder Anselm das Angebot gemacht, mich für ihn zu verwenden“, sagte dieser.

      Ihre Kirche in Ywen errichteten die Siedler einst selbst. Da die Bauern nicht ohne geistlichen Beistand sein wollten, baten sie ihren Grundherrn, sich an den Bischof von Meißen zu wenden. Dieser verfügte, dass Mönche aus dem Kloster Zschillen diesen Dienst mit versahen. Aber die Pfarrer von Ywen wechselten oft. Als Zschillen in den Besitz des Deutschen Ordens überging, spendete der den Bauern einen Schrein mit der Heiligen Ursula und fortan stand ihre Kirche unter dem Schutz dieser Märtyrerin, ohne ihr jemals geweiht worden zu sein.

      „Ach. Und wann hast du beschlossen, aus Ywen wegzugehen? Oder besser, wann wolltest du es mir sagen?“, fragte Rudger und schaute Anselm herausfordernd an. Enttäuschung schwang in seiner Stimme mit. „Wir sind doch gerade erst hier angekommen.“

      „Mein Entschluss stand bereits am ersten Abend fest, als ich gesehen habe, wie viele Mäuler hier zu stopfen sind und deiner Mutter die Sorge ins Gesicht geschrieben stand, wie sie


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