RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
Sauber geschrubbt, rasiert und in tollen Klamotten! Hat sogar hier geschlafen. Erst wollten wir das nicht zulassen, aber, naja, bei Privatpatienten machen wir da schon einmal eine Ausnahme. Ist vorhin, kurz bevor Sie aufgewacht sind, erst weggegangen. Ein echtes Schnittchen haben Sie da!“
Carina, die gerade über das Wort „Privatpatient“ nachgrübelte, blieb beim letzten Satz der Mund offen. Hatem? Ein „Schnittchen“? Bei „ihrem Freund“ hatte sie sofort an Hatem gedacht, denn andere Freunde hatte sie wohl kaum hier.
„So nun müssen Sie wieder schlafen.“
Da fiel Carina noch etwas ein: „Wie lange bin ich denn eigentlich hier?“ – „Fast fünf Tage.“
Und grinsend sang die Schwester im Hinausgehen mit völlig falscher Singstimme, aber bedeutungsvollem Blick: „Deine wundervollen blauen Augen …“
Blaue Augen? Der Scheich??! Er war fünf Tage an ihrem Bett gesessen? Das konnte nicht sein. Nein, hier musste definitiv eine Verwechslung vorliegen.
2014 - Krankenhaus von Alessia - Ein neuer Plan muss her
In den folgenden drei Tagen kam Hatem mehrfach zu Besuch. Die Reiter waren inzwischen schon längst in Alessia eingetroffen.
Er gestand ihr die ganze Geschichte und musste sich einige Vorwürfe von Carina anhören. „Ich habe gedacht, du bist mein Freund! Wie konntest du mich im Dunkeln tappen lassen?“
Aber sie war auch einigermaßen versöhnt, dass er ihr ihre Sachen alle unversehrt brachte. Ihre Ausweise, ihre Kamera! Und auch ihr Handy.
Hatem war in einem Hotel nicht weit vom Krankenhaus untergebracht, wo die Reiter hin verschwunden waren, wusste er nicht. Allerdings säße vor ihrem Zimmer ein Wachposten, „zu ihrer Sicherheit.“
Carina hob fragend die Augenbrauen, doch Hatem zuckte die Achseln. Er wusste auch nichts weiter.
Da sie zum ersten Mal wieder in zivilisierterer Gegend war, hatte sie auch Empfang und rief gleich ihren Chef in München an. Nur um festzustellen, dass der schon Bescheid wusste. Er freute sich darüber, mit ihr persönlich reden zu können, doch hatte „einer ihrer neuen Freunde vor Ort“ ihn stets über ihren Zustand auf dem Laufenden gehalten. Ja er spräche ein sehr gutes Deutsch. Woher er die Nummer habe? Doch sicher von ihr? - „Wohl eher von meinem Handy“, dachte Carina ironisch.
Sie plauderten noch kurz, dann war Carina zu erschöpft und musste sich wieder ausruhen.
Am vierten Tag nach ihrem Erwachen teilte Hatem Carina mit, dass er heute Abend einen Flug zurück nach Dubai hätte und sie leider verlassen müsse.
Carina war traurig, dass ihr Freund ging, doch konnte sie verstehen, dass er sich nach so langer Zeit endlich wieder um seinen Laden kümmern müsse. Sie versprach, ihn auf dem Rückweg auf jeden Fall zu besuchen. Wann immer das sein würde.
Als er aus dem Zimmer war, fühlte sie sich alleine. Nun hatte sie niemanden mehr und war wieder auf sich gestellt.
In den vier Tagen, seitdem sie wach war, hatte sich der Scheich nicht ein einziges Mal blicken lassen. Von wegen an ihrem Bett geschlafen! Sie war sich sicher, dass dies ein Irrtum der Krankenschwester sein musste und sie wohl doch Hatem gemeint hatte.
Als ihr Chef sie bei ihrem Telefonat gefragt hatte, ob sie nun zurückkommen würde, sobald sie wieder aus dem Krankenhaus dürfte, antwortete sie ausweichend und er drängte sie nicht.
Tja, nun war sie zwar in einer anderen Stadt, aber wie es aussah, hatte sich die Spur schon wieder verloren. Zugegeben hatte sie einige wichtige Erkenntnisse und eigentlich schon viel Material für ihr Buch, aber irgendwie spürte sie, dass da noch mehr war.
Und als sie überlegte, wie sie die Spur wieder aufnehmen konnte, fiel ihr ein, dass Hatem etwas von einem Wachposten gesagt hatte …
1991 - Armeekrankenhaus Kaserne Rabea Akbar - Teamgeist
Durch ein Licht, das ihn hartnäckig blendete, erwachte Yasin/Rayan.
Einen Moment war er verwirrt, dann erkannte er den Arzt, der seine Stirn genäht hatte, welcher wohl gerade seine Augenreflexe hatte testen wollen.
„Sieh an, wer uns hier die Ehre gibt?“, meinte er lächelnd und dann ernster. „Was an ‚Sie müssen sich schonen und nicht am aktiven Training teilnehmen‘ haben Sie nicht verstanden?! – Wissen Sie eigentlich, wie leichtsinnig Sie sind? Sie können froh sein, dass Sie so treue Kameraden haben, sonst würden Sie jetzt immer noch da draußen vor sich hin braten. Sie wären nicht der Erste, dem diese verdammte Wüste das Lebenslicht ausbläst!“
„Wie spät ist es?“
„Zehn Uhr morgens – Sie haben die ganze Nacht durchgeschlafen. Kein Wunder! Wie viele von den Pillen hatten Sie eigentlich geschluckt?“ Aber er schien keine wirkliche Antwort zu erwarten und so schwieg Yasin.
Der Doktor erneuerte Yasins Verband um die Rippen und das Pflaster auf seiner Stirn. Sein Handgelenk war frisch verbunden und sein Arm an einen Tropf angeschlossen. „Flüssigkeitszufuhr“, meinte der Arzt auf seinen fragenden Blick hin.
Nachdem er seinen sonstigen Zustand untersucht hatte und zufrieden war, befahl er Yasin sich wieder hinzulegen und diesmal duldete er keine Widerrede.
Aber dem war auch nicht nach großen Diskussionen zumute, er war noch immer viel zu erschöpft. Kaum dass er wieder lag, schlief er auch schon wieder ein.
Als er gegen Abend erwachte, hörte er Stimmen nahe seinem Bett.
Er schlug die Augen auf und verzog das Gesicht, als er „den Schrank“ und Cho neben sich stehen sah.
Einen Moment lang überlegte er tatsächlich, ob er die Augen einfach wieder schließen und sich weiter schlafend stellen sollte, doch Cho hatte bereits bemerkt, dass er wach war. Er stieß Joe mit dem Ellenbogen an und deutete auf Yasin.
Joe trat an das Bett heran und trötete fröhlich: „Sieh an, Dornröschen ist erwacht! Hey Kumpel, wir haben deinen sturen Arsch gerettet – was sagst du dazu?“
Yasin sagte erstmal gar nichts mehr, denn er starrte ihn nur mit offenem Munde an.
Wie kam es zu dieser Stimmungswandlung? Er verstand die Welt nicht mehr.
Cho stieß ihn erneut mit dem Ellenbogen an „nun lass ihn doch erstmal zu sich kommen, du überforderst ihn ja.“
Und wieder trötete Joe fröhlich: „Ok, ok. Ich weiß ja, dass er nicht der Hellste ist, gell, Junge? Rennt halb tot in die Wüste hinaus und dröhnt sich auch noch mit Schmerzmittel zu – sehr clever! Du, es gibt schnellere Arten sich selbst das Licht auszublasen!“
Gegen seinen Willen musste Yasin grinsen. Ihm gefiel die robuste Art des Mannes.
So wurde aus anfänglicher Abneigung ein kameradschaftliches Verhältnis, das noch Jahre später Bestand hatte.
Die beiden kamen in den Tagen, in denen Yasin im Bett bleiben musste, öfter einfach hereingeschneit um „ihm die Zeit zu vertreiben.“
Sie erzählten ihm, dass Cho es war, der nach dem Wüstentrip zurück im Camp bemerkte, dass Yasin noch immer nicht angekommen war. Also brachen sie auf, um die Strecke rückwärts abzugehen und ihn zu suchen.
Nachdem sie ihn gefunden hatten, lud Joe ihn sich auf den Rücken und trug ihn ins Camp. Und wiederum war es Cho, der die Geistesgegenwart hatte, auch noch Yasins Gewehr zu suchen, welches der einige Hundert Meter weiter hinten hatte fallen lassen.
Es gab das eiserne Gesetz, dass man nie und unter keinen Umständen sein Gewehr verlieren durfte und Yasin hätte womöglich der Ausschluss gedroht. So brachten die beiden Yasin und Gewehr gemeinschaftlich ins Lager zurück.
Beide waren sich später einig, dass sie noch nie jemanden so verbissen und hartnäckig hatten kämpfen sehen und erzählten auch den neugierigen anderen Camp-Genossen, dass ihr Kamerad