RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
kniete er vor Rayan nieder, Tränen in den Augen.
„Du musst mir glauben, dass ich mich geändert habe. Ich knie vor dir nieder, um dir zu zeigen, dass ich es ernst meine. Ich war stolz! Stolz und dumm! Das weiß ich jetzt. Und ich würde heute alles tun, um die Zeit damals rückgängig zu machen – das musst du mir glauben!! Ich bitte dich in aller Form um Vergebung für das was ich dir angetan habe. Bitte lass unser Volk nicht unter meinen Fehlern der Vergangenheit leiden.“
Rayan drehte sich weg, um sich seine Erschütterung nicht anmerken zu lassen. Dass sein eigener Vater, der einst so stolze Sedat, einmal vor ihm knien und ihn auf diese Weise um Verzeihung bitten würde, war ihm nicht einmal im Traum eingefallen. „Ich gehe jetzt.“
„Bitte überleg es dir – bleib doch noch eine Nacht hier bei deiner Großmutter. Außer mir wird keiner etwas erfahren. Komm wenigstens mit, um dir anzuhören, wie ernst die Lage ist.“
Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Du könntest das große Tal von Zarifa wiedersehen, die Heimat unseres Volkes – deine Heimat! – und deinen Bruder kennenlernen. Er ist zu einem wunderbaren jungen Mann geworden. Auf seine Weise.“
Er ließ seine Worte einige Sekunden lang einwirken. „Wenn du dann immer noch gehen willst, wird dich niemand aufhalten. Wie du weißt, habe ich auch Geld, dann betrachte es als Job.“
Rayan war weitergegangen. Er wollte nicht, dass sein Vater sah, wie innerlich zerrissen er war. Dies war wirklich nicht mehr der Tyrann, den er in seinem Gedächtnis eingebrannt hatte. Er war schon fast am Weg hinunter angekommen, als er hörte, dass sich sein Vater wieder erhoben hatte und sich zum Gehen umwandte: „Ich werde morgen früh mit einem zweiten Pferd auf dich am Teich warten. Bei Sonnenaufgang. Vielleicht überlegst du es dir doch noch.“
Rayan trat auf den Weg. „Jetzt oder nie, ich muss mich beeilen, wenn ich rechtzeitig in der Oase sein will, um die Karawane noch zu erreichen“, dachte er und machte einen Schritt den Berg hinunter.
2014 - Alessia - Das Wiedersehen
Carina hatte sich die Szene, in der sie IHN wiedersehen würde, etwa hundert Mal in ihrem Krankenbett ausgemalt. Zeit dazu hatte sie in den letzten Tagen ja reichlich gehabt.
Aber kein einziges Mal war diese Fantasie so peinlich gewesen!
Auf der einen Seite blieb ihr der Mund fast offen stehen, denn es war das erste Mal, dass sie ihn ohne Oberteil sah. Fast gegen ihren Willen bewunderte sie seinen muskulösen Oberkörper. Auch die Oberarme waren trainiert und wohl proportioniert. Mit Faszination sah sie, dass er auf der Brust eine Tätowierung mit dem Emblem von Zarifa hatte, das genauso wie ihre Kette aussah.
Auf der anderen Seite wäre sie am liebsten im Boden versunken, denn es war nur zu deutlich, wobei sie die beiden gerade gestört hatte. Einen Moment lang rang sie nach Worten, doch ihr Problem löste sich von selbst, indem der Scheich seine Männer anwies, sie „ins Wohnzimmer“ zu bringen. Er selbst werde gleich nachkommen. Dann machte die Frau die Tür zu.
Jassim führte sie in ein Zimmer links von ihnen, schräg gegenüber von dem Torbogen, durch den sie gekommen waren. Überrascht stellte sie fest, dass es dort einen richtigen Holztisch gab, wie sie ihn von zuhause kannte und dazu passende Stühle.
Carina setzte sich hin, sie war froh, dass sie ihren Bauch endlich entlasten konnte.
Der Leibwächter stellte sich neben der Tür mit verschränkten Armen hin.
Sie grinste ihn frech an – was meinte der Kerl? Dass sie hier die Einrichtung klauen würde?
Dann ging die Türe auf und die Frau kam herein. Carina verging das Grinsen.
Im flüssigen, mühelosen Englisch sagte sie: „Ich bin Leila und dieses Haus gehört mir.“ Es klang, als wollte sie damit gleich klarstellen, wer hier das Sagen hatte.
„Ich werde Ihnen etwas zu trinken holen.“ Dann verschwand sie in einem Nebenraum. Sie brachte Carina ein Glas Wasser und verschwand wieder ohne ein weiteres Wort.
In diesem Moment trat Rayan ins Zimmer und erneut musste Carina zu ihrer Schande gestehen, dass sie beeindruckt war. Er trug eine schwarze, weite Hose, wie sie hier häufig zu sehen war. Oben herum trug er ein weißes, ärmelloses Hemd, das seine muskulösen Oberarme hervorragend zu Geltung brachte und farblich im Kontrast zum tiefen Braun seiner Haut stand.
Darüber hatte er eine kurze Weste an, aus blauem Satin, welches exakt die Farbe seiner Augen widerspiegelte.
Er warf dem Wächter einen kurzen Blick zu, woraufhin dieser durch die Tür verschwand, durch die sie gekommen waren. Dann setzte er sich ihr gegenüber hin.
Einen Moment lang sagten beide nichts. Carina, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte, Rayan, weil er genau das spürte und sie zappeln lassen wollte.
Dann sagte er mit höhnischem Lächeln: „Und? Nun sind sie hier. Zufrieden mit dem, was sie gefunden haben?“
Carina entschied sich, überhaupt nicht auf diese Frage - da ohnehin rhetorisch - einzugehen. Sie fragte leise: „Warum sind Sie mich nicht im Krankenhaus besuchen gekommen?“
Und er konterte mit hochgezogenen Brauen: „Warum hätte ich das tun sollen?“
Carina ärgerte sich, konnte er nicht einmal ehrlich und direkt antworten? Bissig sagte sie: „Aus Höflichkeit?“ Woraufhin er wieder die Augenbrauen hob: „SIE werfen MIR Unhöflichkeit vor? Wer dringt denn in wessen Haus ein, ohne jemals eingeladen worden zu sein?“
Carina wusste erneut nicht, was sie entgegnen sollte, denn wenn sie ehrlich war, hatte er nicht ganz unrecht. Sie war tatsächlich einfach so hier eingedrungen. Doch das würde sie nie zugeben und darum fragte sie mehr aus Verteidigung heraus ganz keck: „So einen schlauen Plan hätten sie mir nicht zugetraut, was?“
Doch die Reaktion fiel anders aus, als sie gehofft hatte.
Wütend fauchte er sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme an: „Unheimlich clever, ja. Ich bin echt beeindruckt! – Davon, dass sie noch immer NICHTS begriffen haben!! Ich dachte, wenigstens ein paar unserer Regeln hätten Sie in den Tagen aus Wahi hierher verstanden. Aber Sie denken ja immer nur an sich, nicht wahr? Was Sie anderen mit Ihrer ungestümen Art antun, das ist Ihnen gleich, oder?“
Und ohne weiter abzuwarten, stand er auf, ging zur Tür und gab dem vor der Tür wartenden Wächter eine Anweisung. Dann schloss er die Tür wieder und rief nach Leila.
Die kam wenige Sekunden später und der Scheich sagte zu ihr: „Nimm sie mit hinaus, sie soll aber zusehen. Aber sorg‘ dafür, dass sie den Mund hält, ja?“
Carina verstand kein Wort mehr und folgte daher erst einmal Leila ahnungslos in den Nebenraum und von dort wieder in einen angrenzenden Raum, der direkt neben dem Wohnzimmer lag.
Offenbar handelte es sich dabei um einen der typischen „Haremsräume“ d. h. der Ort an dem in früheren Zeiten (oder heute auch noch, schoss es Carina durch den Kopf) die Frauen durch ein Gitter in der Wand das Geschehen im Hauptraum verfolgen durften, ohne selbst dabei zu sein.
Interessiert blickte Carina durch das Gitter hindurch, sie hatte es vorher von der anderen Seite her nicht gesehen. Aber das war ja die Kunst dieser Art von Konstruktionen.
In diesem Moment packte sie Leila mit erstaunlicher Kraft von hinten. Sie drückte ihr die linke Hand auf den Mund und hielt ihn somit zu und mit der rechten hielt sie ihr ein Messer an den Hals. „Keine Angst, eine reine Vorsichtsmaßnahme!“, zischte sie ihr ins Ohr. „Damit du auch ja deine vorlaute Klappe hältst und dich nicht einmischst.“ Und dann fuhr sie fort „Und damit wir uns richtig verstehen, nur weil ER dich mag, bedeutet das nicht, dass ich dich schonen werde – im Gegenteil, das macht dich mir umso unsympathischer! Wenn du auch nur einen Mucks machst, schneide ich dir zwar nicht die Kehle durch, aber die Stimmbänder. Dann hat Rayan auch mehr Spaß an dir, wenn du dein freches Maul zukünftig halten musst. Also bitte, tu mir den Gefallen und gib mir einen Grund, ja?!“
Carina war überwältigt.