RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
Tür. Wieder wurde diese sofort geöffnet. Ein Mann mittleren Alters in weißen, arabischen Gewändern öffnete die Tür. Carina hätte Rayans Leibwächter beinahe nicht erkannt, doch dann fiel es ihr wieder ein, dass sie ihn so oft vor dem Zelt des Scheichs gesehen hatte.
Jassim schaute sie zuerst fragend an, doch dann weiteten sich seine Augen, als er sie ebenfalls erkannte und sagte etwas auf Arabisch, das sie nicht verstand.
Frech machte ihm Carina mit wohl in jedem Land verstandenen Gesten klar, dass sie kein Geld hatte, um den Taxifahrer zu bezahlen und mit finsterer Miene ging der Mann los und bezahlte an ihrer Stelle.
Der Fahrer winkte ihr noch fröhlich zu – was hatte er heute Abend alles seinen Freunden zu erzählen!
Dann gestikulierte Jassim ihr, noch immer alles andere als freundlich, sie solle hereinkommen und ihm folgen.
Sie gingen durch einen Park, in dem wunderschöne, hohe Bäume Schatten spendeten, auf einen Torbogen aus weißem Stein zu.
Nach wenigen Metern durch den Torbogen hindurch, kamen sie in einen Innenhof, der einen der typischen, mit farbigen Mosaikfliesen ausgestatteten Brunnen in der Mitte hatte.
In alle vier Richtungen gingen Gänge und Räume ab.
Die ganze Aktion hatte nicht lange gedauert und so mussten sie direkt hinter dem jungen Mann aus dem Krankenhaus sein.
Dieser hatte gerade an eine Tür geklopft und eine große, sehr schlanke, arabische Frau öffnete. Sie mochte Ende zwanzig sein, hatte ein schönes, ebenmäßiges Gesicht und trug ihr langes schwarzes Haar offen. Sie war barfuß und mit einem Kimono bekleidet.
Der junge Mann fragte sie in Arabisch, und diesmal verstand Carina, dank Hatems Unterricht, was er sagte: „Ich muss bitte unbedingt mit unserem Herrn sprechen, die Frau! Sie, … sie ist weg!“, stammelte er.
Ihm war anzumerken, dass die Situation ihm unglaublich peinlich war.
Die Frau öffnete die Tür ein wenig weiter und hinter ihr erschien der Scheich in der Tür. Sein Oberkörper war nackt, aber damit noch nicht genug, denn er hatte lediglich ein Tuch um die Hüften gewickelt.
In diesem Moment traten Carina und ihr Begleiter aus dem Schatten auf der anderen Seite des Innenhofs. Jassim sagte: „Hier ist Besuch.“
Alle drei, die Frau, der junge Mann und der Scheich blickten gleichzeitig Carina an. Jeder mit einer anderen Miene. Der Junge wusste nicht, ob er erleichtert oder entsetzt sein sollte, die Frau schaute feindselig und der Scheich hob ironisch lächelnd die Brauen.
Dann sagte Jassim zu dem Jungen: „Scheint so, als sei sie dir gefolgt“ und der junge Mann sah aus, als wolle er im Boden versinken.
Dafür hatte Carina allerdings keinen Blick. Sie bemerkte es nicht einmal und starrte stattdessen nur den Scheich an.
2001 - Zarifa - Treffen nach vielen Jahren
„Ich hatte gehofft, dich hier anzutreffen“, Rayan versteifte sich, als er die Stimme hinter sich hörte. Er hatte am Grab seiner Mutter gekniet, um sich ein letztes Mal von diesem Ort zu verabschieden. Er hatte nicht vor, jemals zurückzukommen.
Langsam erhob er sich, seine Finger glitten zu seinem Messer am Gürtel.
„Du benötigst keine Waffe – ich bin ein alter Mann und unbewaffnet.“ Obwohl Rayan die Stimme Jahre nicht gehört hatte, hatte er sie beim ersten Wort erkannt.
Er versuchte, sich zu entspannen und auf die ihm bevorstehende Situation vorzubereiten. Er fluchte innerlich: „Ich hätte nicht kommen sollen."
Aber er war auf Bitten seiner Großmutter zurückgekehrt, da Großvater Youssef sehr krank war. Als er ankam, erkannte er schnell, dass der alte Mann im Sterben lag. Er hatte seine Großmutter in den letzten Stunden ihres Mannes begleitet und ihr geholfen, Youssef neben seiner Tochter Miriam zu begraben.
Nun stand plötzlich sein Vater drei Meter hinter ihm und es kostete ihn all seine Beherrschung, ruhig zu bleiben. Man begegnete schließlich nicht jeden Tag dem Mann, von dem man umgebracht worden war. Er atmete tief ein und drehte sich langsam um.
„Du bist also tatsächlich von den Toten auferstanden … deine Großmutter ist eine sehr clevere Frau. All die Jahre hat sie mich getäuscht. Ich war mehrfach hier an deinem Grab.“ Scheich Sedat Suekran wies mit einer wirschen Bewegung auf den Grabstein neben ihnen.
„Und trotzdem wirkst du nicht überrascht“, stellte Rayan fest.
„Ich habe zu Allah gebetet, er möge uns in dieser kritischen Lage beistehen – nachts habe ich dann von dir geträumt, du warst noch ganz klein. Erst habe ich es nicht verstanden. Als ich aber heute von Daoud die Geschichte von einem Fremden mit blauen Augen gehört habe, habe ich die Wahrheit geahnt und dich gesucht.“
Entgegen den Warnungen seiner Großmutter hatte Rayan es nicht lassen können, sich näher an das große Tal von Zarifa heranzuschleichen. Sie hatte ihm erzählt, dass sein Bruder Daoud, den er seit seinem 13. Lebensjahr nicht mehr gesehen hatte, um diese Uhrzeit meist die Kinder am Teich beaufsichtigte. Er wusste, dass er aufgrund seiner Ausbildung völlig lautlos auftreten konnte und schätzte das Risiko äußerst gering ein. Er würde wohl mit einer Gruppe Kinder fertig werden.
Wie hätte er auch ahnen sollen, dass ausgerechnet heute eines der kleineren Kinder einen Unfall haben sollte. Ein kleines Mädchen, das seiner Schätzung nach nicht älter als fünf Jahre alt war, war ausgerutscht, hatte sich den Kopf angeschlagen und war anschließend leblos im Wasser versunken.
Daoud war völlig außer sich und mit der Situation restlos überfordert. Er musste inzwischen 21 Jahre alt sein, doch aufgrund seiner Behinderung war er auf dem geistigen Niveau eines 12- Jährigen.
Aus diesem Grund war Rayan kurzerhand aus seiner Deckung aufgetaucht und hatte das Mädchen aus dem Wasser gezogen. Sie atmete bereits nicht mehr, sodass er Wiederbelegungsmaßnahmen einleitete. Nach einigen Minuten Mund-zu-Mund-Beatmung und Herzmassage schlug das Mädchen hustend und spukend die Augen auf.
Er sendete eines der Kinder, die ihn alle mit offenem Mund ansahen, nach Zarifa, um Hilfe zu holen. Dann machte er sich schleunigst davon, bevor ihm noch mehr Leute über den Weg liefen. Daoud rief noch hinter ihm her, doch er antwortete ihm nur, er solle sich um die Kleine kümmern und ließ ihn dann stehen.
Sedat fuhr im Brustton der Überzeugung fort: „Du bist unsere Rettung, du bist hier, um unser Volk zu retten.“
„Unser Volk?!“ Rayans Stimme war schneidend. „Ich habe kein Volk, schon lange nicht mehr. Das ist damals gestorben und liegt hier begraben.“
„Aber glaubst du nicht an Schicksal? Dass wir uns jetzt hier wiedertreffen, wo die Bedrohung so groß ist?“
„Meine Arbeit erlaubt es mir nicht an Schicksal zu glauben“, Rayans Tonfall war noch immer kalt. Das dunkle Blau seiner Augen war fast schwarz geworden. Wer ihn kannte, wusste dass jetzt Vorsicht geboten war. Schon mancher hatte es bedauert, sich in diesem Moment nicht zurückgezogen zu haben, viele konnten es nicht einmal mehr bereuen.
„Wir brauchen dich! Du musst uns helfen!“
Vor lauter Wut konnte Rayan erst nicht sprechen. Wieder atmete er tief durch. Gepresst brachte er hervor: „Du wagst es wirklich, ausgerechnet von mir Hilfe zu fordern?“
„Ich bin dein Vater!!“
„Deine Dreistigkeit! Du warst es, der darauf bestanden hat, keinen Sohn mehr zu haben. Und dann wäre da noch die Kleinigkeit, dass du mich nicht nur zweimal zum Tode verurteilt hast, sondern auch noch zugelassen hast, dass deine Handlanger mich fast zu Tode gepeitscht haben. Willst du die Zeugnisse davon sehen, die mich mein ganzes Leben lang begleiten?!“
„Aber du bist nicht tot - hör zu“, fuhr sein Vater fort. „Wenn du nicht an Schicksal und nicht an unser Volk glaubst, dann glaubst du vielleicht an Unrecht. Was sie mit uns vorhaben, ist Völkermord!“, seine Stimme war heißer geworden, sein Tonfall dringender.
„Ich