RAYAN - Die Serie (Teil 1 - 4). Indira Jackson
einmal packte Carina heiße Wut. Ohne nachzudenken, trat sie ihm mit voller Kraft zwischen die Beine und knurrte ihn an: „Du verdammtes, arrogantes Arschloch.“
Rayan krümmte sich gepeinigt. Dieser Ausbruch kam völlig unerwartet, denn er hatte wieder einmal nicht mit der Wucht von Carinas Emotionen gerechnet.
Aufgrund der Schmerzen geriet er nun seinerseits in Rage.
Er packte die am Boden liegende mit einer Hand am Hals und würgte sie brutal, sodass sie tatsächlich keine Luft mehr bekam.
„Wag das noch einmal und du wirst es bereuen“, zischte er sie an.
Dann gab er sie frei und ohne sich nochmal umzusehen, ließ er sie hustend und nach Atem ringend auf dem Gras neben dem Teich zurück.
Er erklomm die Stufen hinauf zum Felsrücken und machte sich bald darauf an den Abstieg zurück hinunter ins Tal.
Carina war zu sehr geschockt, als dass sie hätte sagen können, was genau gerade passiert war.
Auf der einen Seite hatte sie einige Sekunden wirklich um ihr Leben gefürchtet, als er sie so plötzlich gepackt hatte. Andererseits hatte seine heftige Reaktion auf ihren Tritt sie verunsichert. Was fiel ihm eigentlich ein?
Sie blieb eine ganze Weile liegen und bewegte sich nicht. Ihr Hals schmerzte und ihre Gedanken rasten. Erst nach und nach wurde sie ruhiger, sodass sie in Ruhe über das Erlebte nachdenken konnte: Im Nachhinein betrachtet schalt sie sich als hysterisch, denn der Sprung war wirklich nur ein Scherz von ihm gewesen. Woher sollte er schließlich wissen, dass sie so ein Hasenfuß war? Sie, die bisher immer von sich behauptet hatte, vor nichts Angst zu haben.
Deshalb einen stolzen Mann wie ihm in seine besten Teile zu treten und so empfindlich wehzutun, war keine gute Idee gewesen. Andererseits hatte sie es nicht überlegt getan, sondern einfach ohne nachzudenken aus Instinkt gehandelt.
Wie würde er reagieren, wenn sie ihm nun über den Weg lief?
Würde er immer noch verärgert sein?
Sie beschloss, dass es besser war, sein Gemüt abkühlen zu lassen und blieb noch eine ganze Weile am Teich. Sie erfreute sich an dem schönen Fleck, genoss die Stille um sich herum und bewunderte das satte Grün der Natur. Erst etwa zwei Stunden später machte sie sich auf den Rückweg hinunter ins Tal und anschließend zurück in den Garten.
Rayans Wut auf Carina war verraucht, als er wieder im Tal war. Auch die Schmerzen in seinem Unterleib waren abgeklungen.
Er war nun wütend auf sich selbst. Es hatte ein Spaß sein sollen. Aber er hätte ihr besser zuhören müssen. Sie hatte ihm vorher noch gesagt, dass sie Angst hatte. Offenbar war sie dann einfach in Panik geraten.
Genau genommen war er sogar ein wenig stolz auf sie, dass sie so spontan und wild reagiert hatte. Das war es, was er an ihr so anziehend fand: Ihre Unberechenbarkeit und die Mühelosigkeit, mit der es ihr gelang, ihn immer wieder zu überraschen.
Aber er hatte sie erschreckt, brutal gewürgt und bedroht. Nicht gerade eine gute Ausgangslage, um ihre Beziehung auf eine bessere Basis zu stellen.
Was als netter, entspannter Ausflug geplant gewesen war, war als Desaster geendet und hatte alles nur noch schlimmer gemacht.
2001 - Oase von Zarifa - Eine ungewohnte Situation
Rayan und Hanif verließen gemeinsam Sedats Hütte. Sie sprachen zunächst kein Wort, weil keiner von beiden wusste, was er sagen sollte. Jeder hing stattdessen seinen Gedanken nach.
Hanif brach als Erster das Schweigen: „Dann hole ich mal meine Sachen.“ Er hielt kurz inne: „Das heißt, wenn das für Euch in Ordnung ist … Herr?“ Er hatte Mühe das letzte Wort über die Lippen zu bringen. Sein Gesicht verzog sich, als hätte er auf eine Zitrone gebissen.
„Geh nur“, antwortete Rayan. Er hatte mehrere Bemerkungen gleichzeitig im Kopf. Von einem wirschen „Bemüh dich nicht“, bis hin zu einem sarkastischen „Verschluck dich nicht an dem Wort“. Aber dann erinnerte er sich selbst daran, dass es für Hanif nicht leicht war. Er an dessen Stelle hätte auch ein Problem mit der ganzen Situation. Sie mussten sich eben erst noch an diese neue Lage gewöhnen.
Als Rayan damals von Zarifa geflohen und in Rabea Akbar angekommen war, waren ihm die ersten Tage ebenfalls sehr schwer gefallen. Hier im Tal hatten sich die Diener vor ihm verneigt, dort war er der einfache Wüstenführer, der sich vor den amerikanischen Soldaten zu verneigen hatte. Das hatte seinem Stolz zu schaffen gemacht.
Überhaupt schienen er und Hanif einiges gemeinsam zu haben …
Da sie sich die letzten Tage bewusst aus dem Weg gegangen waren, hatte Hanif sein Lager so weit weg von Rayan wie möglich aufgeschlagen. Das ging nun natürlich nicht mehr. Also kam er wenig später und breitete seine Sachen einige Meter von seinem neuen Herrn entfernt aus.
Ruhi, der ebenfalls in der Nähe sein Lager aufgeschlagen hatte, kam herüber und kommentierte den Umzug erfreut: „Ach, ihr beiden habt euch endlich ausgesprochen. Wie schön.“
Rayan antwortete neutral: „Ja genau.“ Hanif murmelte leise „Oder so ähnlich …“, was Ruhi zu einem Heben seiner buschigen Brauen bewog. Er blickte von einem zu anderen, hob die Schultern und fragte nicht mehr weiter nach. Wichtig war, dass die beiden inzwischen miteinander sprachen, was ein gutes Zeichen war. Details hatten ihn nicht zu interessieren.
Rayan gingen so viele Dinge durch den Kopf, dass er unbedingt erst einmal in Ruhe nachdenken wollte und wie immer zog es ihn dann in die Einsamkeit der Wüste. „Ich werde einen Ausritt machen. Allein.“
Hanif stand auf: „Ich werde Euer Pferd holen.“ Und wenige Minuten später zog er Rayans Pferd am Zügel hinter sich heran.
Ruhi quittierte dies mit einem erneuten Heben der Brauen, er hatte auf einmal einen Verdacht. Aber er beschloss, dass es besser war, den Mund zu halten und nichts zu sagen.
Als Rayan seitlich an das Pferd herantrat, hielt Hanif es am Zügel fest. Überrascht stellte Rayan fest, dass Hanifs Gesicht erneut eine ungesund blasse Färbung angenommen hatte. Sein Blick flackerte, als er Rayans Blick direkt suchte. In seinen Augen stand eine stumme Bitte. In diesem Moment verstand Rayan und er schüttelte leicht den Kopf: „Lass mal, das kann ich alleine.“
Es gab den Brauch mancher Wüstenvölker, dass die Krieger ihren Herren den Aufstieg aufs Pferd erleichterten, indem sie sich als menschliche Treppe neben dem Pferd in den Sand warfen. Der Fürst stieg dann auf ihren Rücken und bequem weiter auf den Pferderücken. Yuemnue hatte dies von allen seinen Untertanen abverlangt und es wurde selbst von den Besten unter seinen Kriegern als eine große Ehre angesehen. Vor niemandem würden sich diese stolzen Männer je verneigen, außer ihrem Scheich.
Für Hanif wäre dies jedoch in diesem Moment zu viel gewesen. Er hätte es nicht als Ehre, sondern als Demütigung angesehen. Und auch für Rayan kam das auf keinen Fall infrage. Er war schon immer alleine auf jedes Pferd gekommen und brauchte keine Hilfe. Schließlich war er kein alter Mann wie Yuemnue.
Außerdem hätten in diesem Moment sofort alle anderen Männer im Lager gewusst, wie es um die beiden stand und welchen Eid Hanif geleistet hatte.
Rayan schwang sich aufs Pferd und ritt los. Er blieb lange fort und kehrte erst weit nach Einbruch der Dunkelheit zurück.
Hanif lag auf seinen Decken und schlief bereits tief, oder zumindest gab er dies vor.
2014 - Tal von Zarifa - Blick in die Vergangenheit
Als Rayan am Haus ankam, ging er direkt hinein und hinauf in sein Büro. An seinem Schreibtisch brütete er eine ganze Weile vor sich hin, was er in Bezug auf Carina unternehmen sollte.
Irgendwie schien bei ihm im Hinblick auf Frauen, die ihn wirklich interessierten, immer alles schief zu gehen. Er dachte an Clara und ihren gewaltsamen Tod vor inzwischen über zwanzig Jahren in Rabea Akbar. Damals hatte er Glück gehabt, dass er