Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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verewigt und schauten den Betrachter, je nach Temperament, grimmig, gütig, frivol, streng oder miesepetrig an, manche stolz oder verächtlich. Einige sahen auch einfach nur furchtbar dumm aus. Zabruda Menroy stellte, äußerst akkurat, einen nach dem anderen mit Namen, Titel, Herkunft, Regierungszeit, beziehungsweise seinem jeweils ausgeübten Amt vor. Alle, die auf den Gemälden an der Wand zu sehen waren, wurden ausnahmslos erwähnt. Nicht einen Einzigen ließ er aus und hatte zuweilen spannende Geschichten zu erzählen, auch wenn die blaublütigen Damen und Herren teilweise schon etwas angestaubt wirkten. Maleficia Adoney, zum Beispiel, war zu sehen, die dreibrüstige Gräfin von Klein-Septimien, die eines Tages Drillinge gebar. Von diesem Moment an betrachtete sie ihre dritte Brust nicht mehr als Schande, sondern als überaus großherzige Schenkung der Natur. Sie hatte in der Folge den griechischen Gott der Fruchtbarkeit und des Rausches, Dionysos, zu ihrem persönlichen Heilsbringer auserkoren und brachte ihm nun an jedem dreiunddreißigsten Sonnentanz ein Opfer in Form von Trauben und Wein dar. Da sie, was den Genuss des Weines anging, außer an den Gott, in mindestens gleichem Masse an sich selbst dachte, hatte sie bald den Spitznamen `das dreibusige Weinfass´ erhalten. Ihr gegenüber hing ein Portrait des gestrengen Anger Mores, eines Urgroßonkels von Königin Myriana. Schon der Blick, mit dem er den Betrachter des Bildes durch sein Monokel musterte, ließ Sinja das Blut in den Adern gefrieren. Unwillkürlich musste sie über alle ihre Sünden nachdenken. Anger, ursprünglich Priester der vier Elemente, hatte seinerzeit, aus Unzufriedenheit über die lockere Moral der fasolandischen Jugend, eine eigene Kirche gegründet. Diese hatte sich zur Aufgabe gemacht, der Jugend des Landes Unzucht und Arbeitsscheu, wie er es nannte, notfalls mit Gewalt auszutreiben. Leider hatte Anger es in seinem Bekehrungseifer mit den Mores so sehr übertrieben, dass er eines schönen Sonnentanzes beim ersten Strahl der aufgehenden Sonnen am Brunnen vor dem Tore von seinen eigenen Jüngern zu Tode gesteinigt und unter dem dort stehenden Lindenbaum verscharrt worden war.

      „Ein grauenvolles Ende für einen so tapferen Mann“, kommentierte Menroy seine eigene Erzählung und musste sich ein wenig schütteln bei dem Gedanken an die scheußlichen Umstände des Dahinscheidens des guten Anger. Melosine Mondragon war zu sehen, eine Großcousine dritten Grades der südlichen Linie von Königin Myrianas Mutter, die ihren Ehemann, den Baron zu Quintenburg und Kleinterz, aus Eifersucht vergiftet hatte und danach im Ententeich unter ungeklärten Umständen Selbstmord beging. Casine Manderley hing neben Blender Bentheim, Galinda Bensdat neben Banday Forderstett, der Herzog von Atonalien neben der Comtessa da prima Secunda. Geschichten über Geschichten, mal blutrünstig, mal verschroben, exzentrisch und traurig, heldenhaft und irrsinnig, ganz normale und ganz verrückte Begebenheiten ganz normaler und völlig verrückter Vorfahren des Königshauses. Bilder aller Ahnen waren zu sehen, ihre Abenteuer zu hören. Ein Bild jedoch fehlte - und eine Geschichte und das machte Sinja stutzig:

      „Darf ich sie mal was fragen, Mister Menroy?“

      „Aber selbstverständlich, Fräulein Sinja. Mit welcher Auskunft kann ich dienen?“

      „In dieser Ahnengalerie fehlt ja eigentlich nichts und niemand. Selbst irgendwelche merkwürdigen entfernten Großtanten und Schwippschwager dritten und vierten Grades hängen hier. Alle, die Großmütter von Königin Myriana, ihre Großväter, die Tanten und Großtanten, Cousins und Cousinen haben hier Platz. Nur einer fehlt: ihr Vater? Die Königinmutter Merigone ist da, aber der Vater fehlt. Warum?“

      Sinja sah aus dem Augenwinkel, wie Zabruda Menroy bei ihrer Frage für einen kurzen Moment erstarrte. Dann fasste er sich wieder und antwortete kühl:

      „Königin Myrianas Vater wurde offiziell für tot erklärt. Wenn von Seiten der Damen diesbezüglich weitere Auskünfte gewünscht werden, dann bitte ich doch, sich an die Königin selbst zu wenden, falls sie ihre Entführung unbeschadet überstehen sollte. Ich bin leider nicht befugt, über diese Angelegenheit irgendwelche Auskünfte oder Stellungnahmen abzugeben.“

      Damit war die Führung durch den Ahnenflur abrupt beendet.

      „Wenn die Damen mir dann bitte folgen wollen.“ Zabruda Menroys Ton hatte sich binnen weniger Augenblicke von freundlich-zuvorkommend auf sachlich-distanziert geändert.

      Oh, oh!, dachte Sinja, in welches Wespennest hab´ ich denn da gerade reingestochert? Na ja, vielleicht wird Myriana mir irgendwann die Geschichte erzählen, wenn wir dazu kommen. Dann sagte sie laut: „Mister Menroy, es tut mir leid, wenn ich ihre Gefühle verletzt habe. Das war nicht meine Absicht und ist sicher aus Unwissenheit geschehen. Ich hatte keine Ahnung, dass das eine so schwierige Frage für sie ist. Ich habe mich einfach nur gewundert, dass sein Bild nicht dort hängt!“

      „Es ist gut, Kind!“, sagte Menroy traurig, „es ist gut. Natürlich kannst du nichts dafür. Woher sollst du es wissen. Du bist erst zum zweiten Mal in Fasolanda und beim ersten Mal hattet ihr einen Krieg zu gewinnen und sicher etwas anderes zu tun, als uralte, längst vergessene Familiengeschichten aufzuwärmen, wenn ich mich recht erinnere.“

      „Ja, das ist wahr!“, antwortete Sinja, „ich möchte sie jetzt auch nicht weiter damit behelligen. Vielleicht findet Königin Myriana die Zeit, es mir zu erklären, wenn das alles hier vorbei ist. Ich möchte jetzt das Ankleidezimmer sehen.“

      Menroy ließ es auf sich beruhen. Sinja und Emelda folgten ihm noch einige Schritte durch einen weiteren, langen Gang, der hinter einer Tür in einem Vorraum endete. Von diesem aus führten Treppen links und rechts ins erste Stockwerk. Geradeaus, durch eine verglaste Tür kamen sie in einen Hof. Linker Hand waren Stallungen zu sehen. Es musste sich um Pferdeställe handeln. Zaumzeug hing an der Wand. Eine zweispännige Kutsche stand ausgeschirrt auf dem Hof. Ein gemauerter Torbogen überspannte das Hoftor rechts der Ställe. Es stand offen und so konnte Sinja einen Blick auf die dahinterliegenden Felder und Wiesen werfen, sowie eine Reihe hoher, spitzer, zedernartiger Bäume, die einen Weg säumten, der vom Schloss weg, in Richtung eines kleinen Waldstückes führte. Auf der anderen Seite des Hofes lag ein, in Sonnengelb getünchtes Gebäude. Ein heller Kiesweg führte dort hin. Das Dach des Hauses war mit grauem Schiefer gedeckt. Eine weite Treppe mit einem geschwungenen Steingeländer lief auf zwei weiß gestrichene, offenstehende Flügeltüren zu. Links und rechts des Eingangs waren, auf kleinen Sockeln stehend, zwei Delfine zu sehen. Menroy führte Sinja und Emelda die zehn Stufen hinauf.

      „Das Ankleidezimmer ihrer Majestät liegt im ersten Stock auf der Rückseite des Hauses“, erklärte Menroy. „Es stehen einige Bäume dort, unmittelbar vor dem Zimmerfenster. Wir vermuten, dass der Entführer über diesen Weg eingedrungen ist.“

      „Aber sie werden doch die Königin nicht über die Bäume nach unten gebracht haben?“, wollte Sinja wissen.

      „Das sicher nicht! Wir vermuten, dass sie zu zweit waren und sie schlicht abgeseilt haben. Sie haben sie vermutlich gefesselt und mit einem Seil durch das Fenster hinuntergelassen.“

      „Unglaublich!“, staunte Emelda, „da gehört schon einiges an Frechheit dazu, so eine Aktion am helllichten Sonnentanz durchzuführen. Denen muss doch klar gewesen sein, dass sie jederzeit entdeckt werden können. Also mir wäre das, ehrlich gesagt, zu gefährlich, wenn ich eine solche Unternehmung planen würde.“

      „Ja, da ist was dran, Emmi!“, sagte Sinja, „entweder waren die Entführer furchtbar dumm und dreist oder sie waren sich ihrer Sache so sicher, dass sie Vorsicht für vollkommen überflüssig gehalten haben. Vielleicht läuft hier aber auch eine ganz andere Sache, von der wir nur noch nichts wissen.“

      „Was meinst du?“, fragte Emelda.

      „Das weiß ich selbst noch nicht genau“, antwortete Sinja, „…eine Ahnung, mehr nicht. Einerseits hört es sich an, als sei alles völlig klar, aber gleichzeitig will man´s nicht glauben, weil man es für unmöglich hält. Aber, schauen wir uns das Zimmer erstmal an. Vielleicht bringt uns das ja einen Schritt weiter.“

      Eine ausladende Treppe höher - Sinja hatte diesmal darauf verzichtet, die Stufen zu zählen - betraten sie, am Ende eines kleinen Flures auf der rechten Seite, das Ankleidezimmer der Königin. Die Dielen des hellen Holzbodens knarrten leise, als Sinja ehrfürchtig einen Schritt in den geheimnisvollen Raum wagte. Die Wände waren weiß gestrichen. Ein cremefarbener runder Teppich mit goldumrandeten Rosenmotiven schmückte den Fußboden.


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