Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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blätterte ein paar Seiten um, schaute sich die Taktstriche und Notenfähnchen an, stellte den Band zurück und griff nach dem nächsten: Mahler, Gustav, Das Lied von der Erde. Ein wunderschöner, brauner Ledereinband, die Schrift in Silberdruck, aber nicht, was sie suchte. Sie ließ Mahler Mahler sein, schob die Partitur an ihren Platz zurück und ließ sachte ihre Finger über die Reihen der anderen Bücher und Schriftstücke gleiten. Manche waren in Kassetten ins Regal gestellt worden, um sie zu schützen. Marschner, H.A., Tagebücher, Noten, Marx, J., Harmonielehre, Konzerte, Weltsprache Musik, Noten, Noten, Martuszewski, M., Melartin, E. Damit endete auch schon das erste Regal.

      Ein Paradies, dachte Sinja, wenn man nicht gerade eine entführte Königin zu befreien hat und ganz dringend etwas sucht, von dem man nicht einmal weiß, was es ist. Hier unten jedenfalls war nichts zu finden, was auch nur im Entferntesten an Myrianas Botschaft erinnerte. Sinja begann, zu zweifeln. Vielleicht hatte die Königin doch etwas anderes gemeint. Vielleicht hatte sie sich verrannt und die Bibliothek war der völlig falsche Weg? Doch aufgeben wollte sie noch nicht.

      Sie stieg die kleine Holztreppe hinauf, um ein Stockwerk höher weiter zu suchen. Sie fand Noten und nochmals Noten von Mendelssohn-Bartholdy, Biografien ohne Ende, Briefe. Messiaen, O., Noten, Noten, Noten. Weiter und immer weiter arbeitete sie sich durch die Reihen der Bücher hindurch. Sie fand Montemezzi. Langsam begannen die Buchrücken vor ihren Augen zu tanzen, die Buchstaben zu verschwimmen. Monteverdi, L´Orfeo, Opern,….Noten, noch mehr Noten, Biografien….und….am Ende….nichts! Nichts, was ihr etwas genützt oder sie auch nur auf einen Gedanken gebracht hätte, was mit dem seltsamen Code anzufangen war, den die Königin auf ihrem Spiegel hinterlassen hatte. Sie setzte sich auf einen der Tritte und grübelte.

      „Eigentlich hab´ ich ja nur geraten und weiß überhaupt nicht, ob das alles Sinn macht“, sagte sie zu sich selbst, „vielleicht vertue ich hier nur meine Zeit, wichtige Zeit, die wir besser nutzen sollten, um nach Königin Myriana zu suchen. MWAZFb….So ein Blödsinn! Vielleicht heißt das etwas ganz Anderes. Wie bin ich nur auf den idiotischen Gedanken gekommen, dass ich hier in der Bibliothek etwas finden könnte?“ Die Enttäuschung und ihre trüben Gedanken nahmen ihr den Schwung, mit dem sie anfänglich begonnen hatte. Sie vergrub ihr Kinn in den Händen, war frustriert. So ein Mist! Sollte sie, unverrichteter Dinge, zu den Elfen zurückkehren? Nein! Sicher nicht! Wenigstens wollte sie alle `M´- Regale durchgeschaut haben, bevor sie sich endgültig von dieser Idee verabschiedete.

      Sie gab sich einen Ruck und begann mit dem nächsten Regal. Mos. Moscheles, Ignaz war der Erste in dieser Reihe. Klavierkonzerte 1 bis 7. Nein! Nein! Das war es nicht. Ein M, aber kein W und schon gar kein A. Moszkowski, M.? M.M? Passt nicht! Mozart, Wolfgang? Zum Verzweifeln! Ein M, ein W, kein A. Der Nächste. Mozzani, Luigi und das Regal war zu Ende. Zum Haare raufen! Nächstes Regal? Stop! Sinja stutzte und ging noch einmal eine Reihe zurück. Etwas hatte ihre Aufmerksamkeit erregt. Mozart, Wolfgang? Hieß der nicht Amadeus? Wolfgang Amadeus Mozart oder umgekehrt, Mozart, Wolfgang Amadeus! Das könnte doch was sein! Sinjas Atem ging schneller.

      MWA….Mozart….Wolfgang Amadeus….Das könnte sie gemeint haben. MWA, das ist der Amadeus – Code, dachte Sinja und lachte leise in sich hinein. Wenn ich mal annehme, dass das stimmt, was bedeutet dann ZFb? Und warum hat sie alles Andere groß und nur dieses verflixte b klein geschrieben? Langsam, langsam, mahnte sie sich zur Sorgfalt. Eins nach dem Anderen. Noch einmal sah sie sich, der Reihe nach, alle Schriftstücke an, die in diesem Regal unter Mozart, Wolfgang einsortiert waren. Kammermusikwerke mit Klavier, Kammermusik ohne Klavier, Kirchenmusikwerke, Klavierkonzerte, Klaviermusikwerke, Opern, Sinfonien. Wahnsinn, dieser Mensch muss Tag und Nacht gearbeitet haben, dachte sie bewundernd. Wie kann man, in einem so kurzen Leben, so unfassbar viele Sachen komponieren? Vor allem die dicken Bücher mit den Noten und Texten der Opern hatten es ihr angetan. In alphabetischer Reihenfolge stand dort eine vollständige Sammlung aller achtzehn Opern, die Mozart in seinem Leben geschrieben hatte.

      Sinja ließ langsam ihre Finger über die Buchrücken gleiten. `Così fan tutte´, `Don Giovanni´, `Entführung aus dem Serail´. Lauter Opern, von denen sie schon einmal irgendwo gehört oder gelesen hatte. `Le nozze di Figaro´, etwas weiter hinten….und….und….und….als Letztes….Z….`Die Zauberflöte´. Die Zauberflöte? Moment! Das könnte ZF sein. Ja, natürlich, die Zauberflöte….ZF ist die Zauberflöte. „Mensch, Sinja“, sagte sie zu sich selbst und klatschte sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Das Geräusch hallte durch den Saal wie ein Peitschenknall und erregte den Unmut der Lesenden. Die fühlten sich gestört. Sinja war das einigermaßen egal. Sie war aufgeregt, fasste wieder Mut. Neue Kraft durchströmte ihren Körper. Vielleicht hatte sie gerade entdeckt, wonach sie gesucht hatte. Möglicherweise war sie der Lösung des Rätsels einen Schritt nähergekommen. Mozart, Wolfgang Amadeus, Zauberflöte. Und das b? Was sollte dann dieses kleine b?

      Die Noten, ich muss mir die Noten ansehen, dachte Sinja. Sie wollte eben das dicke Buch aus dem Regal ziehen, als sie bemerkte, dass da noch etwas Anderes war. Halb neben, halb hinter die Partitur der Zauberflöte gequetscht, klemmte eine kleine, schmuddelige Kladde mit einem zerschlissenen, braunen Ledereinband. Entweder war sie beim Aufräumen vergessen oder ungeschickt dort versteckt worden. Oder, dachte Sinja, jemand wollte, dass ich dieses Ding dort finde. Neugierig nahm sie das kleine Buch in die Hand, blies den Staub vom Umschlag und las den Titel. Handschriftlich war in das Leder hineingekratzt: `Tagebuch von Wolfgangus Amadé Mozart´. Sinja starrte mit großen Augen auf das kleine, dreckige Ding. Am liebsten hätte sie laut gejubelt, ihre Freude hinausgeschrien. Mozarts Tagebuch! Das, wahrscheinlich, einzige erhaltene Exemplar im Original. Sinja, beherrsche dich, mahnte sie sich selbst zur Ruhe. Du bist in einer Bibliothek. In diesem Moment hörte sie leise Schritte auf der Holztreppe. Wenig später stand der dürre Gehilfe vor ihr, schaute sie streng über den Rand seiner Brille an und machte ihr durch Handzeichen klar, dass die Bibliothek bald schließen würde und sie sich doch bitte beeilen möge. Gut, dachte Sinja, also erst die Noten. Sie zog das dicke Buch mit der Partitur aus dem Regal. Es hatte einen harten, mitternachtsblauen Kartonumschlag. In großen, silbernen Buchstaben war der Name des Komponisten und der Titel der Oper darauf gedruckt: Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), `Die Zauberflöte´. Oper in zwei Akten nach einem Text von Emanuel Schikaneder. Uraufführung 30. September 1791. Sinja klemmte sich das Buch unter den Arm und stieg, so schnell sie konnte, die Leiter hinunter. Sie setzte sich an einen der Lesetische und schlug die erste Seite auf. Ah! Die Ausgabe mit den englischen Übersetzungen! Dann schaute sie auf die letzte Seite. Oh Gott! Hundertfünfundsechzig Seiten Noten. Das kann dauern. Hoffentlich fällt mir bald was ein, was die Sache abkürzt.

      „Pscht!“, zischte ihr Tischnachbar. Oh, dachte Sinja. War ich zu laut oder kann der Kerl meine Gedanken hören. Sie schaute sich verstohlen um und sah, dass der Nachbar spitze Elfenohren hatte. Dass er die unausgesprochene Frage nicht beantwortete, beruhigte sie.

      Sie schaute sich das Inhaltsverzeichnis an, danach die erste Seite der Ouvertüre. Schon am allerersten Takt blieb sie hängen. Ein Es-Dur-Akkord. Drei b als Vorzeichen. Moment! Das kleine b. Da war es wieder. Ein Vorzeichen! Hatte die Königin vielleicht ein Vorzeichen gemeint, als sie dieses eine, kleine b hinter Mozart, Wolfgang Amadeus – ZauberFlöte gemalt hatte. Ein b als Vorzeichen? Das war zumindest denkbar, eine Möglichkeit. Ein b? Welche Tonart war das gleich wieder? Sie überlegte. Wie war das mit dem Quintenzirkel? Es gab da diesen Merksatz. Wie ging der? Frische – Brötchen – Essen – Alte – Damen – Gern. Also war ein b F, wie frische….Ein b, das muss F-Dur sein! Gehen wir dieser Spur einmal nach. Wo kommt in dieser Oper F-Dur vor? Sinjas Gehirn arbeitete auf Hochtouren, Presto Vivace. Zum Glück waren die Tonarten der Lieder im Inhaltsverzeichnis angegeben. Das erste Lied in F-Dur fand sich im Finale des ersten Aktes: `Nun, stolzer Jüngling, nur hierher´ war der Titel. Sarastro erklärt Pamina, warum er sie ihrer Mutter entziehen will. Monostatos schleimt sich bei Sarastro ein und versucht Tamino reinzureiten? Nein! Das ist Teil der Oper, hat aber sicher nichts mit Königin Myriana und ihrem Verschwinden zu tun. Nächstes Lied in F: `Marsch der Priester´. Macht keinen Sinn! Das nächste: `O Isis und Osiris´. Ein Lied nach dem anderen ging sie durch, schaute sich alle an, die in F-Dur geschrieben waren. Nichts! Dann, das letzte in F. Das muss es sein, sonst hab´ ich verloren!, dachte Sinja und wurde nervös. `Tamino mein, oh welch ein Glück´ singt Pamina. Oh Mist, was für ein Unglück!, dachte


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