Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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mächtigen, weißen Säulen, die das Vordach der Musikbibliothek trugen. Direkt gegenüber die Sandsteinarkaden des Palastes der Bürgermeisterei. Im Zentrum des Platzes konnte sie im Halbdunkel einen großen Brunnen erkennen, in dessen Mitte, auf einem Sockel, ein, aus Sandstein gehauener Spielmann mit seiner Laute stand. Seine Kleidung, besonders die langen, spitzen Schuhe, erinnerten an Till Eulenspiegel. Das Klappern von Hufen war zu hören. Ein alter, grauhaariger Mann lenkte einen einachsigen Holzwagen in eine der engen Gassen hinein, die von dem Platz abgingen. Er trug ein Hemd, das vor sehr langer Zeit einmal weiß gewesen sein musste. Der Wagen war mit Kohle beladen und wurde von einem Esel gezogen. Sinja sah einige Frauen, die, mit vollen Körben, an der Bibliothek vorbeihuschten, ohne ihr Beachtung zu schenken. Eilig suchten sie, ihre späten Einkäufe, Kohlköpfe, Brote, Kartoffeln und Rüben nach Hause zu bringen, bevor es gänzlich dunkel wurde. Herde wurden angefeuert, Schornsteine rauchten. Der Geruch von brennendem Feuerholz zog durch die Gassen. Ein Wachsoldat in schwarz-weiß-oranger Uniform, silberglänzendem Helm und Brustpanzer, war im Begriff, die Laternen zu entzünden, die den Platz umstanden. Seinen Panzer schmückte das Wappen der Stadt. Fasolanda bereitete sich vor, den Sonnentanz zu verabschieden.

      Sinja schaute nach links. An dieser Seite des Platzes stand ein weiteres großes Gebäude. Es war ganz offensichtlich wichtig, denn es hatte einen, ebenfalls aufwändig gestalteten, großen Eingangsbereich. Seine schwarzen Säulen luden allerdings nicht gerade zum Eintreten oder Verweilen ein. Im Gegenteil, sie hatten etwas Unheimliches, Monströses, Abstoßendes. Sinja dachte an eine Grabkammer. Sie schüttelte sich. Dann zwang sie sich, ihren Blick von dem finsteren Gebäude zu lösen. Noch einmal ließ sie sich den leisen, warmen Wind um die Nase wehen, der über den Platz strich. Sie verlor sich an die Abendstimmung, doch nicht für lange. Denn plötzlich nahm sie etwas Seltsames wahr.

      Aus einer der dunklen Gassen kamen drei kleine, silbrig-blau leuchtende Lichtpunkte auf den Marktplatz zu. Sie steuerten in ihre Richtung. Wäre ihr Licht nicht so kalt gewesen, hätte man sie für Glühwürmchen halten können. Sie bewegten sich unruhig hin und her, auf und ab und kamen schnell näher. Sinja versuchte angestrengt, in der zunehmenden Dunkelheit zu erkennen, was hinter den merkwürdigen Erscheinungen steckte, doch sie sah nur diese drei Lichter, sonst nichts. Waren das Augen? Eben noch war sie im Übermut die große Marmortreppe hinuntergesprungen. Jetzt ging sie, geduckt, langsam rückwärts wieder hinauf, ohne die Lichter aus den Augen zu lassen. Sie versteckte sich hinter einer der Säulen. Die Lichter kamen näher. Immer weiter schob sich Sinja um die Säule herum.

      „Hey, psst! Wo bist du?“, wisperte eine Stimme.

      „Verdammt“, flüsterte kurz darauf eine zweite Stimme, „Komm´ raus! Wir haben dich gesehen!“

      Sinja schob sich noch einen Schritt weiter um die Säule herum und stieß dabei mit dem rechten Fuß gegen einen Kieselstein, der im Weg lag. Der hüpfte klackernd die Treppe hinunter. Eines der Lichter kam blitzschnell die Treppe hinauf und leuchtete Sinja direkt ins Gesicht. Es war nicht einmal sonderlich hell, aber es reichte aus, um sie so zu blenden, dass sie nichts mehr erkennen konnte.

      „Hier bist du!“, rief die erste Stimme, „wir dachten schon, du seist auf der Flucht!“

      „Das bin ich auch….!“, sagte Sinja ängstlich, „….vor euch. Wer seid ihr?“

      „Sag mal, erkennst du uns wirklich nicht oder tust du nur so?“

      „Nein! Wer seid ihr?“

      „Na wir sind´s: Emelda, Gamanziel, Ferendiano!“ Emelda hielt ihr Licht so, dass Sinja ihr Gesicht erkennen konnte. Sie sah Emeldas rote Haare, ihre spitzen Elfenohren, ihre ernsten, tief grünen Augen.

      „Seid ihr irre? Ihr habt mich zu Tode erschreckt! Ich war so in Gedanken, dass ich eure Stimmen nicht erkannt habe. Warum treibt ihr euch hier im Dunklen auf dem Marktplatz rum?“

      „Das fragt die Richtige! Wir haben dich gesucht. Du solltest eigentlich schon längst wieder im Schloss sein!“

      „Ja! Meine Güte! Es hat etwas länger gedauert. Du weißt ja, wenn ich Bücher in die Hände bekomme….Aber ich habe interessante Dinge erfahren, die ich euch gleich erzählen muss. Und warum seid ihr noch unterwegs?“

      „Wir haben uns in der Stadt umgesehen und mal gehört, was man sich so alles erzählt in Fasolanda. Außerdem waren wir in der Stockhausengasse bei Joni Meander und haben uns diese neuen Leuchtkugeln hier besorgt. Und als wir ins Schloss zurückkamen und du nicht da warst, haben wir uns Sorgen gemacht und sind nochmal losgezogen, um dich zu suchen.“

      Emelda hielt eine der Kugeln hoch in die Luft. Sie funkelte und glitzerte wie ein Silberstück.

      „Ist das nicht spitze?“, fragte sie. „Joni hat das Modell so weiterentwickelt, dass es jetzt auch im Freien brauchbar ist. Hast du gesehen, wie die Dinger leuchten?“

      „Ja, ich hab´s gemerkt. Ihr habt mich ganz schön erschreckt mit dem Zauber!“

      „Das ist kein Zauber! Joni ist Erfinder, kein Magier.“

      „Der feine Unterschied ist meinen Nerven im Moment ziemlich egal!“, beschwerte sich Sinja.

      „Lassen wir das“, sagte Emelda, „ erzähle uns lieber, was du in der Bibliothek herausgefunden hast. Ich bin sehr gespannt!“

      „Ich weiß nicht, ob das hier der richtige Ort ist für ein solches Gespräch“, sagte Gamanziel, „Menroy hat uns vor Spionen des Unerhörten gewarnt, bevor wir das Schloss verlassen haben.“

      „Also, gehen wir zurück, suchen uns ein ruhiges Eckchen und reden?“, fragte Sinja.

      „Ja, ich denke, das ist das Beste!“, antwortete Gamanziel.

      „Gut!“, sagte Sinja, „aber bevor wir gehen, müsst ihr mir noch eins erzählen: dieses schwarze Gebäude da hinten, was ist das?“

      „Puh! Du stellst Fragen“, antwortete Emelda, „soweit ich weiß ist das was von der Regierung. Irgendein Ministerium oder so….“

      „….oder so? Das ist die Informationsbehörde“, erklärte Gamanziel. „Die Regierung in Fasolanda kriegt zwar nicht viel auf die Reihe, aber wenn es darum geht, Informationen über alles Mögliche zu sammeln – darin sind sie verdammt gut.“

      „Und das passiert in diesem Gebäude da?“

      „Ja!“

      „Nicht gerade sehr vertrauenserweckend!“, stellte Ferendiano fest.

      „Ich würde sogar sagen, ziemlich gruselig“, setzte Sinja noch einen drauf, „wenn ich mir diesen Palast angucke, läuft es mir kalt den Rücken runter. Das Ding sieht aus wie ein Sarg. Mich wundert, dass Königin Myriana so etwas in ihrem Land duldet. Sie ist doch normalerweise keine Herrscherin, die ihr Volk ausforscht oder unterdrückt. Eher im Gegenteil.“

      „Genau!“, erwiderte Gamanziel, „und weil sie so ist und andere Meinungen gelten lässt, muss sie gelegentlich auch Dinge ertragen, die ihr nicht unbedingt gefallen. Wenn ich die Geschichte richtig in Erinnerung habe, hat der Innenminister, Signore Agitato, diese Behörde vor längerer Zeit ins Leben gerufen, als Königin Merigone noch auf dem Thron saß. Ursprünglich war sie mal zum Wohle der Bürger gedacht. Die Regierung wollte wissen, wer wann wo was macht, damit sie rechtzeitig, zum Beispiel Straßen und Wege, Brunnen und andere Einrichtungen planen und bauen konnte. Sie wollte die Bürger in ihren Vorhaben unterstützen.“

      „Klingt ja eigentlich richtig gut!“, sagte Sinja. „Aber….?“

      „War es auch…ursprünglich“, erwiderte Gamanziel, „….bis jemand auf die Idee kam, alles wissen zu wollen, was die Bürger Fasolandas so tun, reden und denken. Es hätte ja jemand auf den Gedanken kommen können, einen Umsturz zu planen. Und je länger sie darüber nachdachten, desto größer wurde ihre Angst davor. Manche in der Regierung fürchteten sich sogar davor, dass es Bürger geben könnte, die anderer Meinung sind, als sie selbst.“

      „Und das ist heute immer noch so?, fragte Sinja.

      „Ich glaube“, antwortete Gamanziel, „dass sich


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