Sinja und der siebenfache Sonnenkreis. Andreas Milanowski

Sinja und der siebenfache Sonnenkreis - Andreas Milanowski


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zu. Einige Staubflocken wirbelten fröhlich durch die Luft, als wollten sie sich über Sinjas Verzweiflung lustig machen. Für einen Moment starrte sie in die Weite des Lesesaales und fühlte sich genauso leer wie dieser riesige Raum.

      Doch etwas in ihr weigerte sich, gerade jetzt aufzugeben. Irgendwo in ihrem Inneren war noch ein Funke Hoffnung am Glimmen. Doch, womit sollte sie dieses kleine Licht am Leuchten halten? Sie dachte nach. Ein b? Ein b? Plötzlich kam ihr die Idee. Zu jeder Dur-Tonart, das hatten sie doch im Musikunterricht lernen müssen, gab es etwas, das sich parallele Molltonart nannte. Sie war sich damals vollkommen sicher gewesen, dies in der Kategorie `völlig überflüssiges Wissen´ abspeichern zu können. Wofür soll das denn gut sein?, war der Tenor in der Klasse gewesen. Jetzt konnte, wenn ihre Vermutung sich als richtig erwiese, die parallele Molltonart ihr eventuell dabei helfen, Licht in diese Entführungsgeschichte zu bringen. Sie sah das strenge Gesicht ihres Musiklehrers vor sich. Peinlich war das, auch wenn er niemals etwas davon erfahren würde.

      Moment! Langsam!, rief sie sich zur Ordnung und versuchte, ihre Gedanken zu Ende zu denken. Wie war das mit der Mollparallele? Verflixt nochmal! Ich muss mich erinnern. F-Moll? Blödsinn! Dass ist keine Parallele. Die war tiefer, aber wieviel? Einen, zwei, drei Halbtöne? Drei Halbtöne! Ich glaube, das war´s, dachte Sinja und jubelte innerlich. Das war es gewesen, was sie gelernt hatten. Die Mollparallele ist drei Halbtöne tiefer. Also ist das was?, fragte sie sich. F, E, Es, D? D-Moll? Vielleicht hatte die Königin mit ihrem b gar nicht F-Dur gemeint, sondern D-Moll? Also, von vorne.

      Noch einmal die Suche nach der richtigen Tonart. Erneut schlug Sinja das dicke Buch auf. Sie blätterte. Erster Akt: Nichts! Zweiter Akt: F-Dur, F-Dur, C-Dur, G-Dur, C-Dur und dann, da….endlich…da war es…D-Moll. Das einzige Lied in dieser ganzen Oper, das in D-Moll geschrieben war, war die Arie Nummer 14, `Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen´. Die Arie der Königin der Nacht. Sinjas Herz machte einen Hüpfer. Sie überflog die Textzeilen: Die Königin drückt ihrer Tochter Pamina einen Dolch in die Hand und erklärt ihr, dass sie damit Sarastro zu ermorden hat und wenn sie das nicht täte, sei sie nicht mehr ihre Tochter. Meine Tochter nimmermehr….Ist das die Geschichte? Pamina hat natürlich nicht die geringste Lust, irgendjemandem auf Geheiß ihrer Mutter ein Stück Stahl in den Bauch zu rammen….Würde mich brennend interessieren, was unsere Königin zu diesem Text zu sagen hat. Ich gehe jede Wette ein: das ist es, das Geheimnis des kleinen b. Königin Myriana wollte uns mit ihrem Code auf diese Mutter – Tochter - Geschichte hinweisen! Ich muss mit den Anderen reden! Dringend! Noch einmal ließ Sinja den schweren Kartondeckel fallen. Dieses Mal stoben keine Staubflocken auf.

      36 Zabruda und Magus

      Die Sonnen hatten ihren Tanz beendet, den dritten seit der Entführung. Es dämmerte in der Hauptstadt. Um die Mitte der Dunkelzeit würde sich der Entführer Cheety Bugga in Begleitung der Königin am alten Brunnen einfinden. Er würde die Zaubergeige, dass flammende Herz entgegennehmen und dafür die Königin in die Freiheit entlassen. Das war der Plan.

      „Will die Bruderschaft diesem Betrüger wirklich die Geige aushändigen, Zabruda?“

      „Wir haben keine andere Wahl, wenn wir Königin Myriana befreien wollen!“

      „Bedenke aber bitte, was geschehen kann, wenn dieses Instrument in die falschen Hände gerät. Welche Macht wird der Unerhörte haben, wenn er mithilfe der Zaubergeige den siebenfachen Sonnenkreis in Gang setzen kann.“

      „Ich weiß, Magus! Es würde schreckliche Folgen haben, doch das Leben der Königin ist erst einmal das Wichtigste. Wir müssen die Dinge Schritt für Schritt angehen. Zunächst befreien wir Königin Myriana, auch auf die Gefahr hin, dass Cheety dann die Geige in seinem Besitz hat. Dann werden wir ihm die Leibgarde auf den Hals hetzen und uns das Instrument zurückholen. Danach setzen wir uns mit dem Unerhörten auseinander und versuchen, die Schriftrollen mit dem Sonnenkreis zurück zu bekommen.“

      „Feiner Plan, Zabruda. Aber was, wenn er schiefgeht. Wenn zum Beispiel Cheety Lunte riecht und die Königin nicht freigibt. Oder er gibt sie frei, verschwindet mit dem ´flammenden Herz´ im Labyrinth und wir finden ihn nicht mehr rechtzeitig, bevor er die Geige an den Unerhörten verkauft. Oder wir finden ihn, aber zu spät. Du weißt, dieser Kerl ist eine Ratte und Ratten finden immer irgendwo ein Schlupfloch. Im Labyrinth wird man sehr schnell unsichtbar. Es heißt nicht umsonst `das Labyrinth´. Dein Plan enthält viele Fallen für uns. Sehr viel Wenn und Aber, wenn du mich fragst. Was, wenn auch nur eines davon schiefgeht? Willst du es verantworten, dass der Unerhörte den Sonnenkreis in Gang setzen kann und damit die vollkommene Macht über beide Welten in die Hand bekommt?“

      „Es darf eben nichts schiefgehen!“

      „Weiß eigentlich Sinja schon von deinem Plan? Schließlich ist es ihr Instrument, das ihr da so großzügig zum Tausch anbietet!“

      „Ich habe nicht die Absicht, sie in unsere Pläne einzuweihen.“

      „Warum die Geheimniskrämerei?“

      „Je weniger Leute davon wissen, desto sicherer sind wir. Wenn Sinja es weiß, dann wissen es auch die Elfen und ich bin mir bei einigen von ihnen nicht ganz sicher, ob sie ein Geheimnis wirklich für sich behalten können. Deshalb halte ich es für besser, es ihnen erst gar nicht zu erzählen.“

      „Und wie willst du dann an die Geige kommen?“

      „Ich denke, Gustav wird das für uns regeln!“

      „Und der Meister? Ist er eingeweiht?“

      „Bis jetzt nicht. Ich hatte noch keine Gelegenheit, mich mit ihm in Verbindung zu setzen.“

      „Wir sollten ihm die letzte Entscheidung überlassen.“

      „Warum sollten wir von unseren heiligen Prinzipien abweichen? Wir werden ihn informieren und dann gemeinsam über die wichtigen Dinge entscheiden, so wie unser Orden das schon immer getan hat.“

      „Aber sagtest du nicht eben gerade, du hättest die Entscheidung bereits getroffen?“

      „Für den Fall, dass wir den Meister und die anderen Brüder nicht rechtzeitig erreichen, brauchen wir einen Plan B. In diesem Fall werde ich tun, was zu tun ist.“

      „Also ist Eile geboten!“

      Wieder einmal griff der Magus in seine Manteltasche und schickte eine Fledermaus auf die Reise. Die Bruderschaft musste zusammengerufen werden, so schnell wie möglich.

      „Sag' mal, wo wir gerade über Sinja sprachen: ich habe gehört, sie säße in der Bibliothek über den Mozartnoten. Ist da was dran oder ist das ein Gerücht?“

      „Nein! Das ist kein Gerücht. Myriana hat dummerweise vor ihrem Verschwinden einen Code auf ihrem Kosmetikspiegel hinterlassen, in dem sie auf die Oper hinwies. Wir haben ihn leider nicht rechtzeitig entdeckt, als wir das Zimmer durchsuchten, sonst hätten wir ihn beseitigt. Ich weiß nicht, was sie damit bezweckte. Sinja fand ihn natürlich sofort. Sie wusste damit zunächst nichts anzufangen, hatte aber die richtige Idee und bat mich, die Bibliothek besuchen zu dürfen.“

      „…und du wolltest das nicht verhindern?“

      „Ich sah keine Möglichkeit, es abzulehnen, ohne ihr Misstrauen zu erregen. Wir brauchen sie noch!“

      „Natürlich! Meinst du, sie wird dahinterkommen?“

      „Hinter was? Die Bedeutung von Arie Nr. 14 oder die der ganzen Oper?“

      „Beides!“

      „Nun, im Moment beruht alles, was sie tut, auf Spekulation, aber das Mädchen ist klug! Sie wird zwei und zwei zusammenzählen und sowohl das eine wie das andere bald herausfinden, da bin ich mir sicher. Die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis sie die ganze Dimension der Geschichte begreift und wie viel Zeit uns bleibt, um zu tun, was wir tun müssen!“

      Zabruda zog die rechte Augenbraue nach oben. Die beiden Männer verabschiedeten sich wortlos. Der Magus setzte seinen Spitzhut auf sein graues, langes Haar und verschwand mit wehendem Mantel aus dem Schloss, so wie er kurz zuvor gekommen war.


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