Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx
Essen auf dem Tisch zu stehen hatte. Und zwar dampfend und mit viel Liebe zubereitet.
Genau das war es, was Jan auch so mochte an den bodenständigen Oberhessen. Sie machten nicht viel Aufhebens um ihre Sache, aber Geggesse‘ wird immer um zwölf …
*
Viel Aufheben wollte auch Lina nicht um die „Sache“ machen. Dass Tilmann irgendwann morgens mit den Worten „Ich muss los, mein Ukulele-Kurs – die warten bestimmt schon!“ aus ihrem Zimmer gestürmt war, wollte sie schon gar nicht mehr wahrhaben. Am liebsten hätte sie den Tag und die vorherige Nacht auch aus ihrem Leben gestrichen. Dattelschnaps bis zum Abwinken, ein blöder Trinkspruch nach dem anderen (Nach der Ebbe kommt die Flut!), das wilde Abtanzen von Rock’n’Roll, Twist bis zum Katastrophen-POGO (!!!), hätte sie sich doch besser sparen können. Gleich am ersten Abend so ein Absturz! Obwohl, die Fragmente, an die sie sich noch erinnern konnte, waren eigentlich ganz angenehm. So in der Retrospektive. Nur, was genau passiert war, in jenem Kingsize-Bett, in dem sie nun mit dicken Kopf und Kater lag, daran konnte Lina sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Tatsache war, Tilmann Mollebusch, ihr Ex-Angestellter Kaffeehausmusikant, war früh morgens wie Kimble auf der Flucht entfleucht. Noch ein Mann, der Kurse gab. Panik stieg in ihr hoch. Wie sollte sie sich jetzt ihm gegenüber verhalten? Sie konnte ja wohl schlecht mal offiziell nachfragen: „Ach, übrigens, ich hätte da mal gerne was gewusst…“ Nee, das war ein Ding der Unmöglichkeit.
Sie entschied sich für die „Höhere-Töchter-Variante“: So tun, als ob nichts passiert sei – und hoffen, dass wirklich nichts passiert war. Woher diese Weisheit stammte, war ihr gerade entfallen, aber egal.
Eines war ihr jedenfalls klar wie Kloßbrühe: Sie würde in diesem Urlaub keinen einzigen Knaddel-Daddel-Schnaps mehr anrühren. Und wenn der noch so umsonst war! Diesen Entschluss konnte sie selbst mit schmerzendem Haupt noch fassen. Ab sofort war Wellness pur angesagt. Kein Alkohol, keine gefährlichen Tänze unter der Discokugel. Stattdessen ausgewogene Ernährung, lange Strandspaziergänge und Massagen, die die gequälte Seele streicheln würden. Gepaart mit der Hoffnung, dass Tilmann möglichst ausgelastet durch seine Kurse war und es zu keinerlei Handgreiflichkeiten mit ihm mehr kommen würde.
Was für ein Stress im Urlaub! Was hatte sie sich da nur eingebrockt. Kaum, dass die klimakterischen Weiber mal losgelassen sind – weg aus dem heimischen Dunstkreis… Schon ging die Chose schief, dachte Lina. Und schämte sich ein wenig.
Jetzt war es wohl wieder mal endgültig aus – zwischen ihr und dem DOLCE VITA. Sie hatte wohl einfach kein Talent dafür, katastrophenabstinent zu feiern. Und keine Übung. Immer, wenn ihr irgendwas Spaß machte, kam nix Gescheites dabei raus. Zumindest hatte sie danach immer mehr auf der Waage als vorher. Kleine Sünden mit sofortiger Wirkung. Jetzt war Schluss mit lustig. Egal was war und wie schön es gewesen sein musste: Einmal ist keinmal. Und was eventuelles Fremdgehen anbelangte, hatte sie sicher bei Jan noch einen gut. Sicher!
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