Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx

Jenseits von Oberhessen - Carola van Daxx


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Hotelgast!“ – „Unn der Friseurbesuch im Salon Alice, nedd zu vergesse, gell?“

      „Mier kenne dess alles schon vom letzte Jahr!“, fügte die eine der beiden noch ordnungshalber hinzu. „Unn vom vorletzten Jahr aach…“, sagte die andere daraufhin. Aha, nun wusste Lina, es würde doch ein Wellness-Aufenthalt im weitesten Sinne werden. Und alles ohne Zusatzbelastungen ihrer Urlaubskasse. Prima!

      Das gebuchte Gemach war auch mehr eine orientalische Suite als ein herkömmliches Doppelzimmer zur Einzelnutzung: total großzügig angelegt, superschöne Terrasse mit Blick auf Palmen und Meeresrauschen inklusive - ein bisschen wie Tausend und eine Nacht für nicht ganz Verarmte, sehr geschmackvoll eingerichtet in einem Stilmix aus modern und arabisch-traditionell, auch ein Kingsize-Bett sah sehr verlockend aus und eine ebenso große Marmorbadewanne mit eingebauter Sprudeltechnik – was nichts anderes bedeutete als Whirlpool in Privatausführung. Auf dem Tisch standen frische Blumen mit einem Willkommens-Schildchen, eine Flasche Alicenquelle-Mineralwasser zur Begrüßung und sogar ein Alicen-Betthupferl lag liebevoll auf dem Nachttisch drapiert. Hey, so ein Glück! Das alles sagte ihr wiederum, dass ihre Entscheidung, ein seriöses Reisebüro zu konsultieren, nicht die falscheste gewesen sein konnte. Und jetzt noch der Knüller mit dem Ultra-All-In, das war ja echt der Oberhammer!

      Da auch das abendliche Buffet keine Wünsche mehr übrig lassen sollte, war der erste Tag so gut wie gerettet. Natürlich konnte sie sich nicht der permanenten Gesellschaft von Geli und Inge erwehren, die sie sozusagen schon im Flieger mit aller Gewalt adoptiert hatten und sich dann gleich zu ihr gesellten, kaum dass sie sich einen schönen Ecktisch im Speisesaal gesichert hatte. Aber irgendwie und irgendwann würde sie schon eine Möglichkeit finden, ein bisschen für sich zu sein. Es war ja erst der erste Tag, geschlagene sechs sollten dem noch folgen. Und so verkehrt konnte es ja auch nicht sein, ein bisschen Heimatkontakt im fernen Afrika zu pflegen – außerdem kannten die beiden sich mit allem, einfach allem aus. Sie hätten direkt als Gästebetreuer dort angestellt werden können, denn es gab nichts, was sie nicht wussten und anscheinend auch niemanden, den sie nicht persönlich kannten.

      Hatten sie sich wohl noch eine Zeit lang in Zurückhaltung geübt, kam an der Absacker-Bar die obligatorische Frage: „Und, Du so? Solo, Single oder frisch geschieden? Oder haste Dein Göddergadde nur vorsichtshalber mal dehaam gelasse?“ Püh! Das hatte Lina befürchtet, gleich nach dem üppigen Nachtisch wollten die Hessenladies ihr also ans Eingemachte gehen. Die Antwort kam spontan aus ihr herausgesprudelt: „Momentan bin ich eher als Solistin unterwegs, zumindest hier im Urlaub.“ Im selben Moment bereute Lina jedoch, überhaupt ein Statement zu ihrem Beziehungsstatus abgegeben zu haben… Denn postwendend kam: „Ei, mei Mädsche, hier is noch kaa lang allei‘ gebliebe…“ Und Inge, die altersmäßig ihre Mutter sein konnte, gab noch dazu: „Mier habbe jedenfalls schon immer alle irschendwie unnergebracht, gelle?“ Dann nickten sich die beiden verheißungsvoll zu und Geli blinzelte noch vielsagend. Ui, ui.

      Der Erdboden hätte sich nicht weiter auftun können, um direkt in ihm zu versinken. Fand Lina. Und überlegte, wie sie aus der Nummer wieder rauskommen könnte. Aber zu spät. Denn die Hobbykupplerinnen hatten ihr erstes Opfer schon im Visier. „Guckema da, der da ist doch zuggersüß, der wär‘ doch was für Dich, oder?“ Die ergraute Eminenz war wirklich fest entschlossen, irgendein Liebesabenteuer für die Club-Anfängerin zu arrangieren. Was war das hier eigentlich für ein Club – also in Wirklichkeit? Hatte sie vielleicht irgendetwas falsch verstanden? War das mit dem All-Inclusive mit irgendeinem Liebeshaken verbunden?

      Aus dem Augenwinkel sah Lina nur eine verführerische, gut gebaute Männersilhouette. Ein wahrhaftiger Hüne von hinten, fiel ihr stichwortartig ein – und unter dem mordsmäßigen Arm hielt er irgendein kleines Instrument, eine Art Gitarre oder eine Geige? Irgendwie kam ihr der Typ verdammt bekannt vor…

      „Hallooooo, junger Mann, es ist noch Platz an der Theke!!!“, rief Inge enthusiastisch. Oh Gott, da ist ja noch schöner wie schön. Wo war sie nur hingeraten, fragte sich Lina.

      Hilfe, jetzt drehte sich der Hüne auch tatsächlich herum und blickte frontal in ihre Richtung. Wie peinlich. Ob er das wirklich gehört hatte? Leise waren sie ja nicht gerade gewesen, die Hessenladies. Okee, sie hatten auch schon ihren vierten oder fünften Feigenlikör intus. Und ihr Lachen war mit jedem Likörchen immer lauter geworden, kein Wunder. Konnte Urlaub wirklich so anstrengend sein? Sie wollte doch eigentlich nur chillen und ein bisschen Abenteuer. Ein bisschen! Jetzt kam sie sich schon am ersten Abend vor wie Alice am Wunderstrand… Alles sehr, sehr wunderlich.

      Doch der gutaussehende Mann steuerte geradewegs auf die Feigenlikör-Truppe zu, die an der zugigen Bar in Strandnähe als letzte Gäste noch ausharrten, während alle anderen wohl schon Richtung Disco gepilgert waren. Lina war sich langsam aber sicher wirklich absolut sicher: Der Gang, die dunklen, langen Haare, das strahlende Lächeln. Und die kleine Gitarre unterm Arm. Je näher er kam, desto klarer wurde die Erkenntnis: Das musste doch dieser Tilmann sein, der Ukulelenspieler aus Neuseeland, der auf ihrer Café-Eröffnung Weihnachtslieder zum Besten gegeben hatte. Mensch, was war die Welt doch so klein. Am weiten Djerbastrand traf sie nun ausgerechnet auf diesen Musikus, den sie aus Bad Salzhausen kannte. Dessen „Chefin“ sie mal kurzfristig war… Ob er sie denn noch erkennen würde, fragte sie sich.

      „Guten Abend, die Damen! So spät noch an der Strandbar, bei dem Wind? Respekt!!!“, warf der Strahlemann in die Runde. Charming! Very charming. Und das rollende „R“ – wie Maffay und der südafrikanische Howie in Personalunion.

      „Ja, wir sind da tapfer. Wir wärmen uns von innen…“, verkündete Inge in vornehmsten Hochdeutsch ohne jeglichen Dialekteinschlag. Lina traute ihren Ohren kaum. So waren sie, die Hessen. Keine Spur von Selbstbewusstsein, sobald Ihresgleichen nicht mehr in Sichtweite war. Einem waschechten Bayern würde sowas nie passieren, die Bayern standen zu ihrem Bayerisch. In jeder Lage. Recht so!

      „Ich bin der Tilmann, Ladies, und würde sagen: Wir trinken einen Knaddel-Daddel zum Aufwärmen? Tunesischer Dattelschnaps vom Allerfeinsten, kennt Ihr den schon? Ich geb‘ auch einen aus.“ Er grinste strahlemannmäßig. Ja, die Spendierhosen sitzen locker, wenn man im Ultra-All-Inclusive-Modus unterwegs ist, schoss es Lina in den Sinn. Da konnten selbst klamme Straßenmusiker auf einmal außerordentlich großzügig sein… Dann folgte auch schon ein großes HALLO, als der Strahlemann seine Ex-Chefin wiedererkannte. „Das gibt’s ja nicht, wir kennen uns doch!“

       Ja, Sachen gibt’s, die gibt’s ja gar nicht.

      Und kurze Zeit später erklungen Weihnachtslieder aus aller Welt. Das Repertoire hatte Tilmann aus dem Effeff parat, Lina konnte sich an die meisten Titel noch gut erinnern. Und da Weihnachten im Prinzip gerade erst vorbei war, konnten Jingle Bells am feinen Sandstrand doch nicht schaden. Mit zunehmendem Knaddel-Daddel-Konsum wurde es den Damen auch von innen immer wärmer – und so sangen sie kräftig und aus voller geölter Kehle mit.

      „Jetzt noch ne Runde in die Disco?“, wollte der Musikus später wissen, als der Barmann langsam aber sicher mit Gläserpolieren fertig war und so schaute, als könnte er auch er ne Runde vertragen: und zwar ne Runde Feierabend...

      „Na klar!“, prustete Lina aus, „Deshalb bin ja hergekommen. Man muss doch einmal im Jahr so richtig die Sau rauslassen, oder?“ Das war zwar nur ein Spruch, aber die willkommene Vorlage für die beiden Hessenladies, gleich einzuschlagen.

      „Mier komme uff jeden Fall aach mit!“ – Aha, dachte Lina, der Verlust des Hochdeutschen war unter Alkoholkonsum wieder nah. Jetzt wurde wieder Hessisch gebabbelt.

      In der Club-Disco war die Hölle los. Selbst bei Volltrunkenheit war die Chance, umzufallen, nahe Null. Gedränge in erster Linie an der Bar, wo natürlich auch alles unter das Ultra-All-In-Gesetz fiel. Aber auch die Tanzfläche mit Leuchtboden und Discokugel platzte aus allen Nähten. Tilmann zerrte Lina, die schon gefühlte Ewigkeiten nicht mehr getanzt hatte, sogleich zum Schwofen. Und da nach diversen Dattelgetränken von Zurückhaltung sowieso keine Rede mehr sein konnte, rockten die beiden durch die Nacht.

      „Mensch, meine Ex-Chefin kann tatsächlich noch viel mehr als Schwarzwälder Kirschtorte!“, brüllte Tilmann mitten hinein


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