Jenseits von Oberhessen. Carola van Daxx

Jenseits von Oberhessen - Carola van Daxx


Скачать книгу
wir nichts dazu gelernt? Blieb alles so, wie es immer schon war? War das am Ende genetisch festgelegt und alle Müh‘ vergebens? Oder hatte sich die Natur all das nur ausgedacht, um die Art zu erhalten? Ein bisschen Liebe? Und kein bisschen Frieden zwischen den Geschlechtern? Zumindest nicht, solange noch kein Nachwuchs in Sicht war. Danach sah die Sache doch ganz anders aus. Die Frauen waren beschäftigt mit der Aufzucht der Brut, die Männer hatten ihr Soll vorerst erfüllt und konnten sich wieder anderen Dingen zuwenden (ein Objekt der Begierde suchen, um das nächste Soll zu erfüllen…).

      Man könnte es auch wieder mit der Großwildjagd vergleichen.

      Naja, wenigstens war diese Karen Blixen Baronin geworden und hatte einen ordentlichen Titel, wenn es schon mit der Liebe nicht so recht klappen wollte. Lina jedoch war nicht einmal „Frau Johannsen“ geworden. Und würde es vermutlich niemals werden. Dabei hatte sie in ihren kühnsten Träumen noch gedacht, heiße Fleischwurst mit Kakao wäre nicht das einzige, was Jan ihr zur Wiederversöhnung versprochen hätte. Aber Fehlanzeige. Das Einzige, was Jan ihr wirklich in Aussicht gestellt hatte, war heiße Luft in Formvollendung. Nichts als heiße Luft.

      Auch Papa und Mama Siebenborn waren nicht sonderlich begeistert gewesen, dass auf die Versöhnung (und insbesondere nachdem der „Fischkopp“ auf einmal zu Reichtum und Berühmtheit gelangt war) nicht schon bald der obligatorische Heiratsantrag gefolgt war. Und das, nachdem Lina diesen armen Maler jahrelang durchgefüttert hatte…

      Im mittelalterlichen Büdingen war niemand darüber „amused“. Dabei hatte Papa Siebenborn sogar noch öfter ausdrücklich „Jan“ zu seinem vermeintlichen Schwiegersohn in spe gesagt. Laut und deutlich, damit klar war, dass er ihn endlich als Beinahe-Familienmitglied akzeptiert hatte. Vorher war er nämlich nur der „Fischkopp“ für ihn gewesen, der Hamburger Künstler, der immer klamm war und sich von seinem Töchterchen aushalten ließ. Aber nachdem im ersten und auch im zweiten Frühjahr nach der besagten Versöhnung kein Antrag erfolgt war, kehrte auch Papa Siebenborn wieder zu seiner alten Gewohnheit zurück. Und hatte Jan Johannsen aus Hamburg-Eppendorf wieder zum Fischkopp werden lassen. Seitdem war das Fischbeil wieder ausgegraben…

      Mama Siebenborn hatte nichts dazu gesagt. Es vornehm ignoriert, dass ihr Mann wieder den alten Spitznamen ausgegraben hatte. Aber allein die Tatsache, dass sie nicht darüber meckerte, zeigte, dass auch sie enttäuscht war vom Lebensabschnittsgefährten ihrer einzigen Tochter. Anscheinend war der Traum von Enkelkindern für Margot Siebenborn somit endgültig ausgeträumt. Und sowas musste ja auch erst einmal verarbeitet werden…

       *

      In Schotten lag Jan tatsächlich gemütlich auf seinem neuen Sofa. Er hatte die arbeitsfreie Zeit zwischen den Jahren genossen. Herumgelümmelt, mit Asta geschmust, am Stausee spazieren gewesen. Eigentlich hatten sie den Silvesterabend zusammen verbringen wollen. Fast hätte er schon seine Sachen gepackt. Und Astas Sachen auch. Aber dann wurde nichts draus, der Wettervorhersage sei Dank. Ihm war sowieso mehr nach Schlaf in seinem neuen Zuhause. Naja, so ganz neu war es nun nicht mehr. Aber ziemlich neu. Er hatte es fast vollständig neu renoviert bezogen, rechtzeitig vor Weihnachten – das er mit Lina gebührend gefeiert hatte. Und irgendwie war das auch genug für seinen Bedarf an Zweisamkeit gewesen. Die letzten beiden Jahre hatten sie viel erlebt, waren fast ständig zusammen. Er hatte alles, was er sich immer gewünscht hatte: seine Herzdame Lina und die treue Hündin Asta, nicht zu vergessen Tonja, seine Freundin von gegenüber – und als Sahnehäubchen immer gut gefüllte Auftragsbücher.

      Die Wartezeiten für Gemälde gingen inzwischen ins kommende Jahr. Aber den Kunden war das egal. Wahrscheinlich erhofften sie sich immense Wertsteigerungen. Wenn auch nicht für sie, dann vielleicht für ihre Kinder, oder Kindes-Kinder. Oder deren Nachfahren. Egal, Hauptsache Rendite!

      Und sein Buch lief ebenso bombig. Zudem hatte er die attraktivsten Malschülerinnen aller Zeiten in seinen Kursen. Die Herzen der Pinselschwingerinnen flogen ihm nur so zu! Was konnte ein Mann mehr vom Leben erwarten? Ihm fiel nichts ein. Außer ein bisschen Freiheit. Aber die hatte ihm die Blitzeisankündigung vom Spätnachmittag heute beschert.

      Thanks, Petrus! Und diesmal meinte er nicht den berühmten Wein…

      Jan Johannsen fühlte sich sauwohl in Schotten. Das Städtchen am Fuße des Vulkans hatte es ihm von Anfang an angetan. Und auch das Abendessen mit Tonja wollte er nie mehr missen. Sie kochte noch immer seine Lieblingsgerichte: Vogelsberger Blutwurst, gebacken, mit Bratkartoffeln und Apfelbrei, gelben Bohnensalat mit Salzkartoffeln und Rührei, Frikadellen mit grünen Bohnen und Kartoffelbrei, Puffer mit Apfelbrei, knusprige Bratkartoffeln mit Spiegelei und samstags heiße Fleischwurst. Mit heißem Kakao dazu. Das war zum schönen Ritual geworden. Genau wie zu der Zeit, als er bei ihr im Dachjuchhee als Untermieter gewohnt hatte. Damals, als er bei Lina rausgeflogen war. Und zwar im hohen Bogen. Sie hatte ihm ein Verhältnis mit Tonja unterstellt. Nur weil er sie, die eigentlich seine Heilpraktikerin war – nicht mehr und nicht weniger - ein paar Mal nackt gemalt hatte. Und das auch nur aus seiner Phantasie heraus. Nichts war dran gewesen an ihren Beschuldigungen.

      Aber noch heute, wo er mit Lina wieder vereint war, wenn auch nicht räumlich, kam manchmal ein schales Gefühl in ihm auf, wenn er darüber nachdachte: Betrug, Fremdgehen, Lügen. Das hatte sie ihm vorgeworfen. Er fand noch immer, dass das eine Frechheit sondergleichen war. Er, der Sensible! Für ihn war Fremdgehen ein absolutes No-Go. Das hätte sie doch wissen müssen. So ganz war er noch immer nicht darüber hinweggekommen. Ein komisches Gefühl blieb – und ging nicht fort.

      Vielleicht war das der eigentliche Grund, weshalb er lieber mit Asta auf seinem neuen Sofa bleiben wollte?

      Sie war schon ein bisschen eingeschnappt gewesen, vorhin, als er ihr gesagt hatte, dass er lieber auf seinem Berg bleiben wollte. Aber es war ihm egal. Noch immer war er superhappy über all das, was ihm im letzten Jahr passiert war. Und sein Häuschen, dieses schnuckelige Fachwerkstück, das wollte er jeden Tag, jede Stunde, jede Minute genießen. Es war sein erstes Zuhause, was ihm und nur ihm gehörte. Und in Asta, der zutraulichen Mischlingshündin, die Opa Abbel ebenso hinterlassen hatte wie sein kleines Häuschen, hatte er eine Gefährtin gefunden, die nahezu immer genau zu den Sachen Lust hatte, die er vorschlug. Widerworte gab es da weniger. Ein klarer Vorteil in der Mensch-Hund-Beziehung.

      Vielleicht ging er nachher noch auf einen Neujahrstrunk zu Tonja herüber. Lina wäre stinksauer, wenn sie das wüsste. Trotz aller Harmonie, so ganz koscher war die Beziehung der beiden Damen um Jan noch immer nicht. Eigentlich kein Wunder. Aber offiziell war man sich natürlich supergrün…

      In dem Moment klingelte es an der Tür. Asta bellte freudig. Sie hatte den Besuch am Schritt erkannt. Es war Tonja mit einer Flasche Sekt. Aha, verfrühtes Anstoßen, dachte Jan. Na denn.

       *

      In Bad Salzhausen klingelte es auch, aber am Telefon. Es war Mama Siebenborn, die die Stimme ihrer Lina noch einmal im alten Jahr hören wollte: „Du bist doch nicht etwa alleine an Silvester? Wo ist denn Jan schon wieder? Ist er am Ende wieder krank?“ Das war das reinste Öl ins Feuer, was ohnehin schon brannte! Ja, da biss die Maus keinen Faden ab: Fast immer, wenn sie anrief, hieß es: Jan ist nicht da. Er braucht seine Ruhe. Hat viel zu tun. Muss malen, hat Stress, dem geht es gerade nicht so gut. Et cetera pp.

      Aber Margot Siebenborn war nicht blond. Nein, sie war grauhaarig und somit schon ein paar Tage länger auf der Welt. Lange genug zumindest, um zu merken, dass hier der Fischkopp ganz schön zu stinken anfing, und zwar am Kopp…

      Also, ganz im Ernst: Schön ist was anderes.

      Der Sonne hinterher

      Nach dem verkorksten Silvester befand Lina, dass sie dringend mal „vor die Haustüre“ musste. Ihr Café hatte praktischerweise drei Wochen Betriebsferien – und sie war ebenfalls urlaubsreif. Abstand gewinnen, den Kopf klar kriegen, das wäre wohl angesagt. Nein, sie musste es zähneknirschend zugeben: Es war nicht die beste aller Ideen gewesen, am Silvesterabend mehrfach in desolatem Zustand (um das Wort „sternhagelvoll“ in dem Zusammenhang zu vermeiden!) bei Jan anzurufen,


Скачать книгу