Wir kamen mit der Mayflower. S.C. Bauer
Blick zu und ich schäme mich, wegen meiner mangelnden Selbstbeherrschung. Auf wackeligen Beinen dränge ich mich an meiner Mutter vorbei, durch die Masse der Leute, die stöhnend und würgend zusammengekauert daliegen. Endlich erreiche ich die Strickleiter, die auf das Oberdeck führt und klettere kraftlos daran hoch. Oben weht mir eine frische Brise um die Nase und Gischt spritzt mir ins Gesicht. Ich fühle mich schlagartig besser und sauge die feuchte Luft erleichtert ein.
Am Oberdeck wimmelt es vor Matrosen, die verzweifelt versuchen, die Segel einzuholen während der Wind das Schiff gnadenlos peitscht und die Wellen mit ohrenbetäubendem Getöse gegen die Planken krachen. Niemand achtet auf mich.
Ich gönne mir einen Moment und lehne mich mit geschlossenen Augen an die Wandvertäfelung neben der Luke. Als ich die Augen wieder öffne, steht plötzlich Miles Standish vor mir. Seine dunklen Locken sind feucht und wild zerzaust, sein Gesicht ist gerötet. Er sieht aus, wie der Zauberer Prospero aus meinen Jungmädchenträumen, die ich hatte, nachdem ich Shakespeares Stück, »Der Sturm«, gelesen habe.
Er mustert mich mit besorgtem Blick. »Geht es euch nicht gut, Miss Mullins.«
Ich fühle mich zu elend, um geistreich zu antworten, und schüttle nur unglücklich den Kopf. Seine Augen sind voller Mitleid. Liebevoll legt er mir einen Arm um die Hüfte und stützt mich, als er mich sanft zu einem der Aufbauten führt, wo wir vor der spritzenden Gischt geschützt sind. Ich lasse mich auf einem hölzernen Vorsprung nieder und er nimmt an meiner Seite Platz. Noch immer liegt sein Arm um meine Hüfte und er zieht mich beschützend an sich, weil ich vor Kälte und Erschöpfung zittere. Einen kurzen Moment schäme ich mich, denn er muss den Geruch des Erbrochenen wahrnehmen, das auf meinem Kleid gelandet ist. Wenn es so ist, so lässt er sich nichts anmerken.
Ich empfinde die Wärme seines Körpers so tröstlich, seine Umarmung so wohltuend, dass ich meine Scham vergesse und mit einem Seufzer meinen Kopf einfach an seine Schulter lege. Er wiegt mich leicht in seinen Armen und ich fühle mich sicher und geborgen, wie nie zuvor in meinem Leben. Es ist als wären wir ganz alleine auf der Welt, nur wir beide und die Nacht und der Wind und das Tosen der Wellen. Seine Nähe besänftigt sogar die quälende Übelkeit in meinem Magen und ich fühle, wie ich wieder Kraft und Mut schöpfe.
Mit meiner neu erwachten Energie fällt mir wieder der Grund ein, warum ich auf das Oberdeck gekommen bin. Ich löse mich aus seiner Umarmung und er lässt mich sofort los. »Captain Standish, könnt ihr mir sagen, wo ich Dr. Heale finde? William Butten geht es sehr schlecht und er braucht ihn.« Er hört mir aufmerksam zu und hilft mir aufzustehen. »Natürlich. Ich werde ihn holen Miss Mullins. Aber ihr müsst wieder nach unten gehen. Es ist hier zu gefährlich für euch in dem Sturm.« Er wirkt hilfsbereit und besorgt und ich bin ihm dankbar, für seine Fürsorge.
Er führt mich über die glitschigen, feuchten Planken sicher zurück zu der Luke, die zum Zwischendeck führt und wartet bis ich unten angelangt bin. Dann eilt er fort und holt Dr. Heale. Übelkeit und Brechreiz ergreifen sofort wieder von mir Besitz, als mir der Gestank und die abgestandene, modrige Luft entgegenschlagen. Ich kämpfe um meine Selbstbeherrschung und schaffe es, zu Susannah an Buttens Lager zu gelangen, ohne mich erneut zu übergeben. Sie sieht mich fragend an. »Der Doktor wird gleich hier sein«, versichere ich ihr. Sie sieht furchtbar erschöpft aus. Unter ihren Augen liegen dunkle Schatten und immer wieder führt sie einen Stofflumpen an ihre zitternden Lippen um die Spucke, die ihr hochkommt wegzuwischen.
»Wann hast du das letzte Mal etwas gegessen?«, frage ich sie.
Susannah schüttelt den Kopf. »Ich kriege nichts runter. Alleine bei der Vorstellung dreht sich mir der Magen um.«
Ich sorge mich um sie. Sie sieht mager aus, nur ihr Leib wölbt sich geradezu grotesk hervor. Das Kind in ihr zehrt ihre letzten Reserven auf. »Geh, und versuche ein wenig zu schlafen, ich bleibe bei ihm«, sage ich mitleidig.
Susannah lächelt mich dankbar an. »Schaffst du es alleine?«
Ich nicke zuversichtlich, obwohl mir nicht danach zumute ist. »Ja, sei unbesorgt. Geh nur.«
Sie müht sich auf und geht mit unsicheren Schritten zu der Koje ihrer Familie.
Ich sehe ihr nach und schicke ein Stoßgebet zum Himmel, dass alles für sie und ihr ungeborenes Kind gut gehen möge.
Miles kommt mit Dr. Heale im Schlepptau zu uns. Der junge Arzt hört die Brust von William Butten ab, wie zuvor schon Samuel Fuller. Dann fühlt er den Puls am Hals des Kranken. Schließlich seufzt er. »Seid ihr mit dem jungen Mann verwandt, Miss?«
Ich schüttle den Kopf. »Nein. Er ist der Diener von Samuel Fuller. Ich helfe bloß, ihn zu pflegen.«
Dr. Heale sieht mich trostlos an. »Ich denke nicht, das er es schaffen wird. Seine Lunge wird von einer Krankheit verzehrt, die er schon länger haben muss.«
Ich nicke und seine Worte stimmen mich traurig. Auch wenn ich den jungen Mann nicht kenne und mich erst um ihn kümmere, seit er krank ist, bedauere ich, dass er sterben wird.
Plötzlich ertönt von oben ein lautes Krachen gefolgt von dem Geräusch zersplitternden Holzes und die Wucht eines Aufpralles lässt das Schiff bis in die letzten Fugen erzittern. Einen Moment lang fürchte ich, dass die Mayflower auseinanderbrechen wird. Sie macht einen Riesensatz und wir alle werden durcheinandergewirbelt. Körbe mit Kleidern, Stühle und Lebensmittel fliegen durch die Gegend und die Eimer voll von Erbrochenem und Exkrementen ergießen sich über das ganze Chaos. Ich habe Glück, da ich schon bei dem Kranken auf seinem Strohsack gesessen habe und weich falle, aber Butten rollt mit seinem Körper über mich und drückt mich zu Boden.
Miles und Dr. Heale, die zu Boden geworfen werden, stehen rasch auf und ziehen Butten von mir runter und helfen mir mich aufzurichten. »Priscilla, bist du in Ordnung?«, ruft mir Miles zu und nennt mich in der Aufregung das erste Mal beim Vornamen. Das fällt zum Glück aber niemandem auf in dem Durcheinander. Ich nicke und er bahnt sich seinen Weg durch das Gewirr aus Menschen und Gegenständen. Dr. Heale folgt ihm. Ich rapple mich hoch, um nach meiner Familie zu sehen.
Die Leute sind in heller Aufregung, es entsteht ein Tumult, als alle gemeinsam zu der Luke drängen, um auf das Oberdeck zu gelangen. Reverend Carver versucht mit Mr. Brewster, sie zu beruhigen. »So wartet doch! Einer nach dem Anderen. Ihr könnt nicht alle gleichzeitig hoch!« Mr. Bradford und Mr. Hopkins kommen hinzu und unterstützen die Beiden, indem sie die Leute zurückdrängen und dafür sorgen, dass sie nur einzeln hochklettern.
Sie lassen nur die Männer durch und weisen uns Frauen an, zurückzubleiben, bis man weiß, was oben geschehen ist. Ich sehe mich um und versuche die aufkommende Panik zurückzudrängen. Immerhin