Anna und Jadwiga. T. D. Amrein

Anna und Jadwiga - T. D. Amrein


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mehr feststellen können. Auch vor Ort nicht.“

      Krüger reagierte empört. „Erwürgt! Mit bloßen Händen? Davon steht überhaupt nichts in den Berichten! Wer sollte das festgestellt haben und wie?“

      Der Professor nickte. „Ich war damals ein normaler Angestellter. Trotzdem haben wir im Kollegium darüber diskutiert, daran erinnere ich mich. Aber man erklärte uns schließlich, dass der Staatsanwalt über weitere Anhaltspunkte zur Todesursache verfügt haben solle.“

      Krüger schüttelte den Kopf. „Davon kann keine Rede sein. Wie sollten diese Anhaltspunkte denn ausgesehen haben?“

      „Na ja, welche erfuhren wir natürlich nicht. Jedoch beispielsweise Augenzeugen, ein Geständnis oder andere Leichen, die das gleiche Tatmuster aufwiesen … Möglichkeiten wären durchaus vorhanden.“

      „Es gab nichts dergleichen. Zumindest nicht nach meinem Kenntnisstand. Und ich war mit einem der Polizisten am Fundort, die damals die Leiche oder besser die Leichenreste geborgen haben.“

      „Dann bleibt wohl nur übrig, dass Sie den damaligen Staatsanwalt befragen“, schlug der Professor vor.

      „Ist leider inzwischen verstorben!“

      „Ach so. Das ist natürlich unglücklich.“ Der Professor konnte ein schwaches Grinsen kaum verbergen.

      „Ja, aber eigentlich spielt das keine so große Rolle“, fuhr Krüger fort. „Es ging dem Staatsanwalt vermutlich bloß darum, die Blamage durch eine Schutzbehauptung zu vermeiden. Konkret frage ich mich, ob Anna eventuell durch ein Geschoss zu Tode gekommen sein könnte?“

      Der Professor runzelte die Stirn. „Erschossen?“, wiederholte er. „Sie haben einen konkreten Grund für diese Vermutung, oder?“

      Krüger nickte. „Zugegeben, eher eine vage Vorstellung. Wenn Sie es jedoch auch nicht völlig ausschließen können, dann lasse ich den Fundort auf Metallrückstände untersuchen.“

      „Der Schädel und die Knochen des Torsos waren vollständig vorhanden. Also Rippen, Becken, Wirbelsäule et cetera. Auch einige Knorpelteile von Kehlkopf und Speiseröhre sowie kleine Reste der großen Muskeln des Gesäßes. Erkennbare Spuren einer Schussverletzung wären uns bestimmt nicht entgangen. Jedoch kann auch eine Kugel tödlich sein, die nur Weichteile, große Blutgefäße oder Organe trifft. Ein seitlicher Bauchschuss könnte beispielsweise den unteren Teil der Aorta treffen.“

      „Organe waren keine verletzt?“

      Der Professor zuckte mit den Schultern. „Die Innereien waren schlicht nicht mehr vorhanden, nach Monaten im Wald. Maden und Tierfraß! Das ist in der freien Natur völlig normal.“

      Krüger wusste das natürlich auch. Aber trotzdem schauderte er kurz. „Danke Herr Professor. Ich denke, das ist im Moment alles.“

      „Wie Sie meinen.“

      „Ja, danke. Auf Wiedersehen, Herr Professor.“

      „Sie können jederzeit wiederkommen, falls Sie weitere Auskünfte wünschen.“

      „Vielen Dank. Ich weiß das sehr zu schätzen!“

      „Bitte, Herr Kommissar!“

      Krüger verließ das Institut mit flauem Gefühl im Magen. Er hatte an einen sofort tödlichen Schuss gedacht. Ins Herz beispielsweise. Das könnte von unterhalb des Rippenbogens vielleicht noch möglich sein. Aber dass diese Kugel beim Austritt weder Schulterblätter noch Halswirbelsäule tangierte? Praktisch undenkbar.

      Er vermied es lieber, sich die alternative Version genauer vorzustellen.

      ***

      Natürlich hatte Nadja bei den polnischen Kollegen nicht nur über Anna Duda Material gesammelt. Sondern auch zu deren vermissten Kollegin, Jadwiga Grabowska. Dass sie damals verschwand, daran bestand kein Zweifel. Jedoch, ob sie sich irgendwo versteckte, ausgewandert oder verstorben war, ließ sich nicht mit Gewissheit feststellen. Die deutsche Polizei hatte auf Nachfrage des Elternpaares, das sie beschäftigt hatte, einige laue Versuche angestellt, um sie zu finden. Eher lapidar wurde schließlich festgestellt, dass Jadwiga das Land höchstwahrscheinlich verlassen habe. Die polnischen Behörden behaupteten ziemlich genau das Gegenteil. Anfangs wurde bei Leichenfunden die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es sich um die Gesuchte handeln könnte. Im Lauf der Jahre erloschen Erinnerung und Interesse an Jadwiga. In beiden Ländern. Eine logische Entwicklung angesichts der Zahl von jährlich neu verschwundenen Personen.

      Was immerhin als neue Möglichkeit denkbar schien: Falls sich eine DNA-Probe gewinnen ließe, die in der Datenbank zu einem Treffer führen könnte. Dazu benötigte man jedoch nicht kontaminiertes Material. Am besten eine Blut- oder Gewebeprobe, die seinerzeit fachgerecht präpariert und archiviert wurde. Erschien bei einem jungen Mädchen äußerst unwahrscheinlich. Eine vage Hoffnung: Früher war es üblich, von Kindern eine Haarlocke aufzubewahren. Wenn beim Abschneiden mit einer stumpfen Schere einige Wurzeln mit ausgerissen wurden, könnte eine Analyse vielleicht gelingen. Als Plan B blieb die Untersuchung des Erbgutes von Geschwistern möglich. Das Eine wie das Andere müsste jedoch erst mal beigebracht werden können.

      5. Kapitel

      Matthias Ramstedt durchsuchte zum x-ten Mal seine Bleibe nach der Uhr, die er vor Jahren als eine Art Sprungprämie von einer reichen Witwe erhalten hatte. Für ein einziges Mal Sex! Ein Schlüsselerlebnis. Seit damals hatte er es nur mit "richtiger" Arbeit versucht, wenn es gar nicht mehr anders ging.

      Seine Bleibe, als Wohnung konnte man es nicht wirklich bezeichnen, bildete ein ziemlich verlottertes Fabrikgebäude. Er hatte schon darin gelebt, bevor Lofts in Deutschland total trendy wurden. Die Hütte ließ sich im Winter kaum heizen und verwandelte sich im Sommer in einen Backofen. Dafür blieb die Miete symbolisch und es bestand keine Gefahr, dass sich ein vermögendes Hipster-Pärchen einzunisten versuchte. Leider war die Menge an Ritzen, Spalten sowie dunklen Ecken hinter vorstehenden Metallteilen, die eine solche Uhr zu schlucken vermochten, schier unbegrenzt. Dass er bereits einige andere vermisste Gegenstände wiederentdeckt hatte, blieb ein schwacher Trost. Die Uhr vervollständigte sein cooles Outfit optisch und mental in einer Weise, die ihn unwiderstehlich machte. Dabei drängte die Zeit. Matthias benötigte unbedingt eine neue, möglichst leistungsfähige Milchkuh. Diese selbstverständlich bloß intern verwendete Bezeichnung bezog sich nicht auf ein prächtiges Euter. Obwohl ihn sowas nicht wirklich gestört hätte. Das wichtigste Teil seines neuen Lieblings stellte ein möglichst dickes Bankkonto dar. Und sie sollte nicht besonders an der Knete hängen. Viel bedeutsamer im Leben war doch ein potenter, aufmerksamer Partner. Der bei ihr Saiten zum Klingen bringen konnte, deren Vorhandensein sie bisher noch nicht einmal geahnt hatte.

      Hauptsächlich trieb sich Matthias auf der Suche an Orten herum, wo er eine Chance sah, sich einer locker zusammengewürfelten Gesellschaft anzuschließen. Manchmal ganz spontan, ab und zu gezielt, wenn er zuvor von einem entsprechenden Anlass gehört hatte. Irgendwelche Fotoshootings oder eine Cocktailparty im Freien, wo er unauffällig einsam wirkende Damen seiner Zielgruppe ansprechen konnte. Matthias besaß inzwischen einige Maßanzüge mit Zubehör, womit ihn seine früheren Opfer eingekleidet hatten, solange sie ihm wohlgesonnen gewesen waren. Die dienten ihm mittlerweile sozusagen als Jagdausrüstung. In der besseren Gesellschaft erkannte man einen feinen Zwirn auf Anhieb. Matthias brauchte bloß auf dazu passendes, neu wirkendes Schuhwerk zu achten. Gern genommen wurden auch gepflegte Hände mit sorgfältig geschnittenen Nägeln und zumindest Spuren eines professionellen Haarschnitts. Der Typ Aussteiger, dem man noch ansah, woher er in Wirklichkeit stammte. Als Berufe eigneten sich eher diffuse Angaben wie Künstler oder Architekt. Matthias kleckerte ab und zu einige Leinwände voll, über die man sich stundenlang unterhalten konnte. In fast jede Richtung. Wenn er einer völlig abstrusen Theorie offenbar beeindruckt zustimmte, dass er im Kern genau das hatte darstellen wollen, avancierte er rasch zum Liebling.

      Sobald das Spiel die körperliche Ebene erreichte, war es meistens ohnehin geschafft. Da verfügte er tatsächlich über echtes Talent. Und, das musste man ihm lassen, Matthias war muskulös,


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