Anna und Jadwiga. T. D. Amrein

Anna und Jadwiga - T. D. Amrein


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nicht mehr einfach vertuschen ließ.

      Jeder Jäger trug eine Kurzwaffe mit sich herum, um einem verletzten Tier den erlösenden Fangschuss zu geben. Oder auch einer laut um Hilfe schreienden Frau, die anders nicht mehr zu beruhigen war? Eine krasse Vorstellung.

      Aber wenn es sich bei dem Metallstück im Boden um eine Kugel handelte, dann trotzdem eine nicht von der Hand zu weisende Möglichkeit.

      Wurde Anna möglicherweise bei einem Handgemenge direkt an der Fundstelle erschossen, fiel Krüger plötzlich ein? Vielleicht hatte sie es geschafft, ihrem Angreifer die Waffe zu entreißen, aber nicht, sie danach gegen ihn anzuwenden.

      Eine vergleichsweise plausible Möglichkeit. Und bei einem liegenden Paar würde der Schusskanal tatsächlich nach unten zeigen.

      Ein Jäger war daran gewöhnt, seine Beute so rasch wie möglich auszuweiden. Also würde er vermutlich auch über die Nerven verfügen, von einer Toten alles zu entfernen, was sie an oder auf sich trug, um Spuren zu verwischen.

      In diesem Fall schloss sich ebenso nicht aus, dass es im Verlauf einer an sich normalen Beziehung passiert sein könnte. Normal jedoch bloß aus Annas Sicht. Krüger hatte in Jägerkreisen schon davon gehört, dass sich nicht jeder nur mit Abschüssen von Rotwild begnügte. Diese Rangliste wurde zwar nicht offiziell geführt. Der Sieger genoss jedoch trotzdem einen sehr hohen Stellenwert in der Gemeinschaft. Man suchte sich dazu leicht zu beeinflussende Opfer. Idealerweise ein junges, unerfahrenes Ding, das in der Gegend über keinerlei Anhang verfügte. Wie beispielsweise ein ausländisches Kindermädchen. Angelockt mit der Aussicht auf ein besseres Leben an der Seite eines vermögenden Partners. Bis sie dann begriff, worum es wirklich ging, war es meistens zu spät. Und fast immer blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als zu schweigen. Wenn sie sich zu Hause noch einmal blicken lassen wollten.

      Krüger musste seine düsteren Überlegungen etwas einschränken, um sich besser auf das Fahren zu konzentrieren. Er hatte die Bergstraße längst erreicht. Trotzdem: Noch bevor er die Rechtsmedizin in Freiburg aufsuchte, würde er herausfinden, zu wem die stattliche Jagdhütte gehörte. Die Situation passte einfach zu präzise, um sie zu ignorieren. Ein gewisser Reichtum, Waffen im Haus, ausgezeichnete Ortskenntnisse. Höchstwahrscheinlich mit Geländewagen im Besitz. Kaum Gefahr, durch einen abgegebenen Schuss im Wald aufzufallen. Und nicht zuletzt: definitiv die Umgebung für Familien, die sich normalerweise dauerhaft Kindermädchen oder Haushaltshilfen leisteten. Und sei es nur, um Nachbarn und Freunde zu beeindrucken. Oder auch, um immer genügend Jungwild zur Hand zu haben.

      4. Kapitel

      Kommissar Krüger studierte die Akte während der Bahnfahrt von Freiburg nach Konstanz ein weiteres Mal, um auch im Detail sattelfest zu sein. Gerade jüngere Kollegen vermuteten sonst rasch, dass der ältere Herr vom BKA die Abläufe nicht mehr bis ins letzte Detail erfassen konnte. Im Groben wusste er längst Bescheid: Eine Streife hatte einen als gestohlen gemeldeten Opel Corsa in einem Gewerbegebiet in Konstanz nahe der Schweizergrenze entdeckt. Da damals kein weiterer Zusammenhang bekannt gewesen war, wurde das Fahrzeug unverzüglich sichergestellt. Ohne die eventuelle Chance zu nutzen, dem Dieb eine Falle zu stellen.

      Der Opel stand einige Wochen auf einem gesicherten Parkplatz, bis er schließlich "abgearbeitet" wurde. Reine Routine. Lange schon war man dazu übergegangen, bei Bagatelldelikten nur noch DNA-Profile zu erstellen und eventuell vorhandene Fingerabdrücke zu sichern. Anstatt Einbrecher und Kleinkriminelle aktiv zu verfolgen. Diejenigen, die es regelmäßig betrieben, wurden früher oder später ohnehin erwischt. Dann konnte man ihnen gleich die gesamte Liste ihrer Anwesenheit an Tatorten präsentieren. Die Methode erwies sich als gründlich, sicher und vergleichsweise mit wenig Aufwand verbunden.

      Der Wagen selbst stellte bloß noch einen minimalen Wert dar. Der letzte angemeldete Besitzer aus Tuttlingen fuhr längst einen neueren Opel und wollte die alte Karre nicht einmal umsonst zurückhaben.

      Immerhin entdeckten die Spurensicherer eine ziemlich teure Herrenuhr unter dem Fahrersitz. Dem Vorbesitzer gehörte sie jedoch nicht, wie erst vermutet. Dass der oder die Diebe sie absichtlich zurückgelassen hatten, konnte man mit ziemlicher Sicherheit ausschließen.

      Es zeigte sich anhand der reichlich vorhandenen Hautschuppen im Armband, dass die Uhr der einzige Spurenträger im Wagen mit diesem DNA-Profil blieb. Und das Profil führte zu einem Treffer in der Datenbank. Die Uhr und den Gummihandschuh, der neben Annas Leiche gefunden wurde, hatte dieselbe Person mindestens einmal getragen. Das bedeutete nicht zwangsläufig, dass es sich dabei um den Mörder handeln musste. Aber vorsichtig ausgedrückt, Erklärungsbedarf bestand auf jeden Fall.

      Trotz der scheinbar guten Ausgangslage: Die Person war leider unbekannt. Deshalb hielt man die biologischen Erkenntnisse vorerst zurück. Ganz offiziell suchte man bloß nach dem Besitzer der Uhr, um ihm sein Eigentum zurückzugeben.

      Allerdings herrschte keinerlei Hektik bei der Suche. Und Krüger erhielt lediglich Bericht aus Konstanz, wenn sich in der Sache etwas bewegte oder falls neue Maßnahmen geplant wurden.

      Nichtsdestotrotz hatten die zuständigen Kollegen inzwischen eine ganze Reihe von Einbruch- oder Diebstahlopfern angeschrieben und ihnen Fotos samt genauer Beschreibung dieser Uhr zukommen lassen.

      Bislang jedoch vergeblich.

      Nun beabsichtigte man als Nächstes eine Veröffentlichung in Zeitungen und eventuell im Fernsehen zu veranlassen. Selbstverständlich ging das nicht ohne die Zustimmung des Sonderermittlers aus Freiburg. Für Krüger ein Grund, endlich selbst einmal nach Konstanz zu reisen. Geplant hatte er dies ohnehin seit Längerem, er wollte jedoch nicht mit völlig leeren Händen auftauchen. Deshalb hatte er mit "seiner persönlichen Beraterin" eine Strategie ausgeheckt, die er nun umzusetzen gedachte. Logischerweise zweifelte niemand daran, dass es sich bei der Beraterin um Nadja Smolenska handelte. Krüger sah trotzdem keinen Grund zu erklären, dass damit in erster Linie seine Lebenspartnerin gemeint war. Selbstverständlich bezog er Nadja mit ein. Aber das Wesentliche entstand aus den gemeinsamen Überlegungen mit Frau Graßel.

      Die Strategie diente dem Ziel, den Uhrenbesitzer möglichst ohne öffentliches Aufsehen ausfindig zu machen. Beginnen wollte Krüger mit dem Opel. Laut Bordbuch war das Fahrzeug zum letzten Mal am 15. Juli in der Werkstatt gewesen. Bei dieser Gelegenheit wurde der Kilometerstand notiert. Seither waren bloß 951 weitere Kilometer dazugekommen. Gestohlen wurde der Opel am 17. August. Ein Beamter sollte mithilfe des Besitzers anhand dessen Fahrgewohnheiten ermitteln, welchen Teil davon der Dieb in etwa zurückgelegt haben könnte. Krügers Überlegung: Mit ziemlicher Sicherheit dürfte der Gesuchte innerhalb dieses Radius bestohlen worden sein. Zwischen Konstanz und Tuttlingen lagen 55 Kilometer, von da nach Schramberg weitere 55. Krüger ging davon aus, dass der Wagen nur kurz, höchstens für einige Tage als Fluchtwagen benutzt wurde. Beispielsweise am Wochenende vom 17 – 19. August.

      Durch Abgleich von Einbrüchen in der berechneten Distanz an diesem Wochenende versprach sich Krüger einen relevanten Anhaltspunkt. Dass der Wagen nicht nur für ein Delikt, sondern für eine ganze Diebestour geklaut wurde, setzte er zunächst einmal voraus.

      ***

      Nadja hatte inzwischen einen Weg gefunden, um unauffällig bei Eduard Schuster aufzukreuzen. Sie sollte erst mal erkunden, wie er heute zu den Fällen Anna Duda und Jadwiga Grabowska stand. Würde er aktiv mithelfen oder sich sperren und zurückziehen, um eigene Fehler zu vertuschen. Überspitzt formuliert, hatte er in dieser Angelegenheit ziemlich versagt. Vor allem, wenn man die offensichtlichen Mängel bei der Bergung von Anna miteinbezog. Das Problem bestand nicht darin, dass man damals nicht über die notwendigen Mittel zu einer adäquaten Untersuchung verfügt hatte. Sondern, dass er es versäumte, die Spezialisten des Landeskriminalamtes einzuschalten.

      Dass etliche Revierleiter das jeweilige LKA lieber außen vor ließen, war an sich nichts Neues. Man empfand es als demütigend als Eingeständnis der eigenen Inkompetenz, den "großen Bruder" rufen zu müssen. Anstatt es einfach als die nächste Stufe der Optionen zu sehen. Hier lag der Fehler offenbar eher im System.

      Die Angaben zu Schusters Person schienen widersprüchlich. Einerseits


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