Anna und Jadwiga. T. D. Amrein

Anna und Jadwiga - T. D. Amrein


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diesem Tag fand in Konstanz eine geeignete Feier statt. Ein Jubiläum zur Instandsetzung eines Bodenseedampfers, wofür die Reichen in der Umgebung kräftig gespendet hatten. Zur Belohnung hatte man die Namen der Gönner auf einer großen Messingtafel eingraviert. Die inzwischen an einer für die Passagiere gut sichtbaren Stelle im Salon des Schiffes angebracht worden war. Auf der zweistündigen Rundfahrt wurde ein großzügiges Buffet angeboten, woran sich die geladenen Gäste ausgiebig bedienen konnten.

      Matthias interessierte sich kaum für echte alte Dampfer. Aber er mochte die Stadt. Obwohl er eigentlich damit rechnen musste, dass sich hier jemand an ihn erinnerte. Zu klein, um sicher anonym zu bleiben. Immerhin hielten die abgehalfterten Weiber meistens die Klappe, weshalb die Beziehung geendet hatte. Eine gewisse Solidarität sorgte dafür, dass grundsätzlich vermutet wurde, er dürfte wohl ganz profan den Reizen einer Jüngeren erlegen sein.

      Das Wetter spielte heute mit: blauer Himmel, angenehme 25 Grad, schulterfreie Kleider. Diamanten und edles Metall glitzerten auf großzügigen Dekolletees. Man reihte sich langsam ein, um auf das Schiff zu gelangen. Für Matthias der Moment, einen ersten Versuch zu starten.

      Eine gelangweilt wirkende Wasserstoffblondine mit goldbestickter Minihandtasche erregte seine Aufmerksamkeit. Sie sah sich regelmäßig um und wirkte unentschlossen, wohin sie sich wenden sollte. Er schätzte sie auf Mitte fünfzig, obwohl ihr knappes Kleidchen eher an einen unbedarften Backfisch erinnerte. Sie fühlte sich offenbar unbeobachtet. Auf jeden Fall genehmigte sie sich einen raschen Schluck aus einem silbern glänzenden Flachmann, bevor sie sich in Bewegung setzte. Im Gehen zupfte sie immer wieder ihren Fummel zurecht, der augenscheinlich nicht für Spaziergänge gedacht war. Genauso wenig wie die Schuhe. Matthias sah ihr hinterher, bis sie einen akzeptablen Vorsprung gewonnen hatte, und folgte ihr dann vorsichtig.

       Schon nach wenigen hundert Metern blieb sie neben einem weißen Sportwagen stehen. Matthias konnte zwar nicht genau feststellen, ob sie bloß eine Pause einlegte oder ob das Fahrzeug tatsächlich ihr Ziel war. Jedoch das laute Zuschlagen einer Wagentür und eine kurz darauf aufsteigende Rauchwolke sprach dafür, dass sie wohl ihre Zigaretten im Auto vergessen hatte. An sich nicht weiter wichtig. Außer, man wollte herausfinden, wer die Dame war und ob sie vermögend sein könnte, so wie es Matthias vorhatte. Er überquerte die Straße, um ihr nicht direkt zu begegnen. So unauffällig wie möglich notierte er sich das Kennzeichen und schlenderte weiter, bis er einen Bogen schlagend, das Fahrzeug erreicht hatte. Die Blondine war inzwischen schon fast wieder zurück zum Hafen gestöckelt. Selbst wenn sie sich umgedreht hätte, von ihr drohte keine Gefahr mehr. Matthias blieb stehen und betrachtete den Wagen genauer. Der wirkte neu und war innen mit weißem Leder ausgestattet. Auf der Beifahrerseite stand eine große Handtasche im Fußraum. An der Sitzlehne hing ein besticktes Jäckchen, das zum Outfit der vermuteten Besitzerin in Farbe und Muster genau passte. Matthias schnalzte mit der Zunge. „Gut gemacht, alter Junge“, brummte er. Er fand es immer wieder schade, dass er seine Erfolge bei Nachforschungen mit niemandem teilen konnte. Leider lagen weder Post noch andere konkrete Hinweise auf ihre Adresse im noblen Interieur herum. Dass sein Zielobjekt die Fahrerin dieses Pkws war, schien sicher zu sein. Ob er ihr gehörte, stand auf einem anderen Blatt. Es konnte sich selbstverständlich auch um ein Firmenfahrzeug oder einen Mietwagen handeln. Immerhin schien die Umgebung der Dame zu den Zielen, die Matthias verfolgte, zu passen.

      Er hatte daran gedacht, ihr die Luft aus einem Reifen zu lassen, um später als Retter auftreten zu können. Er verwarf es wieder. Gut möglich, dass dieses Modell mit den verschieden breiten Rädern vorne und hinten überhaupt kein Reserverad an Bord hatte. Dann würde er sich ziemlich blamieren, anstatt zu glänzen. Erstmal sehen, was sich auf andere Weise herausfinden ließ. Matthias hatte einen Kumpel bei der Verkehrspolizei, der tief in seiner Schuld stand. Eine rasche Halterabfrage war das Mindeste, das der zu leisten hatte, wenn Matthias mit dem Finger schnippte.

      ***

      Samuel Hummel zündete sich zufrieden eine Zigarette an. Seine Intuition hatte wieder mal bestens funktioniert. Heute würde der "Affe" etwas unternehmen. Die Bezeichnung stammte von seiner Auftraggeberin. Hummel hielt sie, also die Bezeichnung, gleichzeitig für ein passendes Codewort. Hummel war sehr auf Diskretion bedacht. Eine der Säulen seines Berufes. Wenn man die Sache richtig ernst nahm … Genaugenommen war Samuel Hummel bloß Detektiv geworden, weil es sich so ergeben hatte. Und weil er nichts anderes konnte …

      Nein, weil er ganz einfach keine Lust hatte, sich dauernd zu bücken oder sich die Hände schmutzig zu machen. Jedenfalls nicht im Sinne des Wortes.

      Die Lady, die der "Affe" ganz offensichtlich im Visier hatte, tippelte inzwischen ungelenk zurück zum Hafen. Klar hatte Hummel sofort einige Bilder mit seinem Handy aufgenommen. Von der Dame und ihrem Wagen. Futter für Sandra, seine Büro-Maus. Wobei, Sandra war alles andere als seine Angestellte. Hummel beschrieb es normalerweise so: Wenn sie eine Katze wäre, dann würde ich sagen, sie ist mir zugelaufen. Sandra arbeitete als Pflegerin in einem Altenheim. Ganz nebenbei erledigte sie Hummels Schreibarbeiten und stellte die Rechnungen für seine Dienste aus. Durch ihren regelmäßig vorkommenden Schichtdienst verfügte sie ab und zu auch über Tagesfreizeit, die sie ebenfalls gerne für ihn opferte. Weshalb, das wollte Hummel gar nicht so genau wissen. Beziehungsweise, er getraute sich nicht zu fragen. Typisch unabhängige Katze eben. Die kommen und gehen, wie sie wollen. Und Hummel lag eine ganze Menge daran, dass sie blieb.

      Der "Affe" schlich weiter der Lady hinterher. Aus Hummels Sicht stellte er sich ziemlich ungeschickt an. Alles klar, der war kein Profi. Hummel schoss einige weitere Fotos, beschränkte sich ansonsten darauf, beide im Auge zu behalten. Dazu stellte er sich für einen Platz in einem der Hafenbistros an. Er hatte Glück, schon nach wenigen Minuten stand ein Pärchen auf und verabschiedete sich. Um diese Zeit war die Hafenpromenade gut besucht, aber die Menschenmenge noch einigermaßen erträglich. Hummel mochte keinen zu engen Kontakt mit fremden Leuten. Zumindest nicht nüchtern.

      Als Hummel den ersten Schluck nahm, wurde die Lady gerade am Arm eines würdevoll schreitenden Offiziers an Bord des anliegenden Dampfers geleitet. Ein weiterer übernahm sie drinnen. Die dürfte wohl eine bekannte Persönlichkeit sein, überlegte Hummel. Schon bald stellte er fest, dass auch die anderen Damen auf diese Art in Empfang genommen wurden. „Besoffene Gesellschaft“, murmelte er vor sich hin. Er erntete dafür einige schräge Blicke. Manchmal vergaß er, dass er eigentlich nicht auffallen wollte.

      Der "Affe" startete jetzt einen Versuch, sich freundlich grinsend an der Schiffsbesatzung vorbeizuschleichen. Hummel hielt fleißig drauf. Nach kurzer Diskussion wurde der "Affe" jedoch verhältnismäßig harsch abgewiesen. Guter Junge, dachte Hummel belustigt. So entledigt man sich gründlich jeder weiteren Chance.

      Im Moment schien die Lady in Sicherheit zu sein. Hummel hatte keine Ahnung, wie lange der Ausflug dauern sollte. Oder ob die Dame einen Begleiter auf dem Dampfer hatte, der bisher bloß nicht in Erscheinung getreten war. Der Auftrag lautete: herauszufinden, mit wem sich der "Affe" tatsächlich einließ. Bei wem er es nur versuchte, war weniger gefragt. Hummel entspannte sich. Bestellte ein weiteres Bier. Schade, dass er hier in Konstanz überhaupt keinen kannte, überlegte er. Der Tag schien arbeitsmäßig gelaufen. Aber was sprach dagegen, dass er sich rein strategisch hier um eine Anlaufstelle bemühte. Auf Spesen, selbstverständlich. Als Pärchen fiel man viel weniger auf und fand leichter Anschluss. Sandra würde heute Abend frei haben. Wenn er sich bald auf den Rückweg nach Freiburg machte, passte das alles super zusammen.

      ***

      Matthias fluchte hemmungslos, während er einer Parkbank am Seeufer zustrebte. Er mochte es überhaupt nicht, wenn man ihm zeigte, dass er nicht erwünscht war. Außerdem hatte er Hunger. Und er liebte solch opulente Buffets, wie eines auf dem Kahn bereitstand. Dass man trotzdem den größten Teil davon schon in wenigen Stunden einfach wegschmeißen würde, ärgerte ihn besonders. Sobald er sich wieder eine passende Begleiterin klargemacht hatte, konnten die ihr blaues Wunder erleben. Dann würde er es sich nicht nehmen lassen, den kompletten Kahn anzumieten und die Besatzung in Grund und Boden zu stampfen. Nichts würde seinen Ansprüchen genügen. Alles bloß zweitklassig. Speisen, Aufenthalt und der gebotene Service. Er hatte in dieser Beziehung schon sehr viel gelernt, seit er in besseren Kreisen verkehrte. Die Vorstellung ließ ihn schmunzeln. Was gab es Befriedigenderes, als einen vorlauten Lakaien spüren zu lassen, wer


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