Anna und Jadwiga. T. D. Amrein
sich im Ruhestand dem Verein Heimatmuseum Tennenbronn angeschlossen. Als aktives Mitglied. An mehreren Tagen im Monat stand er für Führungen oder Aufsicht während der Öffnungszeiten des Museums zur Verfügung. Das wusste Nadja von Kollege Pickel, nachdem sie ein Gespräch auf mögliche Langeweile im Ruhestand gelenkt hatte. In der Sammlung befanden sich angeblich nicht bloß alte Haushaltsgegenstände und landwirtschaftliche Geräte. Sondern auch etliche Folterwerkzeuge sowie beklemmende Schriftstücke, die von den Methoden der mittelalterlichen Justiz berichteten. Auf dieser Schiene, so hoffte Nadja, ließ sich eine Unterhaltung über alte und schließlich auch neuere Kriminalfälle einfädeln.
Vorteilhaft wie meistens dürfte sich dabei eine hübsche, echt interessierte weibliche Fragestellerin auswirken.
Bei ihrem ersten Besuch war er schlicht nicht da. Immerhin stand im Vorraum eine Tafel mit den "Highlights" der nächsten Tage und wer sie dem staunenden Publikum präsentieren würde. Ein E. Schuster fand sich für kommenden Dienstag auf der Liste. Bis dahin mussten sich Nadja und der Kommissar gedulden.
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Krüger erhielt bei der Forstverwaltung Auskunft über das Jagdrecht im Wald, in dem Anna gelegen hatte. Jagdrecht und Hütte gehörten der örtlichen Farbenfabrik. Das Revier stellte einen sogenannten Eigenjadbesitz dar, der mit niemandem geteilt werden musste. Soweit ging die offizielle Auskunft. Der Förster, der Krüger zu einem "gepflegten Schnäpschen" eingeladen hatte, erzählte von sich aus, wie die Sache gehandhabt wurde. „Von der aktuellen Besitzergeneration jagt niemand mehr selbst. Man überlässt es verdienten Kadermitarbeitern als exorbitantes Privileg, den Wildbestand im Zaum zu halten. Die Berufung, die jedes Jahr aufs Neue vergeben wird, solle extrem begehrt sein“, fuhr der Förster mit leiser Stimme fort: „Die jeweiligen Nutznießer gehören danach praktisch automatisch zu den besseren Kreisen der Stadt Schramberg. Weitere Einladungen zur Jagd in anderen Revieren bleiben fast unvermeidlich, sobald der Ritterschlag erfolgt ist. Dass diese neuen Bekanntschaften auch weiterreichende Vorteile bedeuteten, kann man sich ja leicht ausrechnen“, schloss er.
Krüger nahm die Informationen dankbar zur Kenntnis. Blieb zu ergründen, wie lange dieser Modus bereits existierte. Hoffentlich länger als fünfzehn Jahre.
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In der Rechtsmedizin der Uni Freiburg kannte man Kommissar Krüger selbstverständlich. Deshalb rief die Empfangsdame gleich den Direktor des Instituts, nachdem er sein Anliegen vorgetragen hatte. Professor Gründel war seit mehr als zwanzig Jahren hier tätig und damit auch der Dienstälteste.
Der Professor hatte Krüger während seines Aufenthalts in der Klinik mehrmals besucht und war deshalb auf dem Laufenden. „Sie haben sich ja prächtig erholt, Herr Kommissar“, ließ er anerkennend hören.
Krüger winkte ab. „So schwer verletzt war ich nun auch wieder nicht, Herr Professor.“
„Na ja, tatsächlich sind Sie nicht direkt bei mir gelandet, Herr Kommissar. Aber zu spaßen war mit dieser Fraktur trotzdem nicht.“
„Ich beuge mich selbstverständlich Ihrer Einschätzung, Herr Professor. Ehrlicherweise bin ich jedoch nicht meinetwegen hergekommen. Ich möchte Sie um Rat bitten in einer anderen Sache. Es geht um eine Tote, deren Überreste hier im Institut untersucht wurden. Allerdings sind seither fünfzehn Jahre vergangen. Die Tote hieß Duda. Anna Duda, sie stammte aus Polen. Teile von ihr wurden in einem Wald bei Schramberg gefunden. Die Liegezeit wurde damals auf etwa drei Monate geschätzt.“ Krüger zuckte mit den Schultern. „Ich erwarte selbstverständlich nicht, dass man sich einfach so an eine Untersuchung erinnert, die fünfzehn Jahre zurückliegt. Außerdem könnte der damalige Gerichtsmediziner längst pensioniert sein oder sich einem anderen Institut zugewandt haben.“
Der Professor lächelte. „Damals war ich einer der aktiven Fachärzte. Der Name sagt mir zwar auf Anhieb nichts. Jedoch kann unser Archivar die Akte problemlos heraussuchen. Darin ist selbstverständlich vermerkt, wer sie auf dem Tisch hatte. Aber selbst wenn sie nicht bei mir war. In den meisten Fällen wirft man ohnehin mal zwischendurch einen Blick auf die Arbeit der Kollegen. Oder es wird auch einfach gemeinsam über einen Befund diskutiert. Gut möglich, dass ich trotz allem etwas mitbekommen habe. Duda, sagten Sie?“
Krüger nickte. „Anna Duda.“
Der Professor schlenderte zu einem an der Wand angebrachten Haustelefon. „Das Archiv bitte!“
Krüger wartete geduldig, während der Professor versuchte, den Archivar an die Strippe zu bekommen. „Schon Zuhause! Um diese Zeit?“, moserte er.
Schließlich gab Gründel auf. „Tut mir leid, Herr Kommissar. Heute geht das nicht mehr.“
Krüger gab sich entspannt. „Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es nach fünfzehn Jahren nicht an. Außerdem haben wir kaum eine andere Wahl, oder?“
„Wir könnten natürlich selbst suchen gehen“, sinnierte der Professor. „Aber bei diesen Mengen im Archiv …“
„Bestimmt nicht“, wehrte Krüger ab. „Das ist absolut kein Notfall.“
„Trotzdem, Herr Kommissar. Ich kümmere mich darum. So bald wie möglich. Wollen Sie nur den Bericht haben oder möchten Sie den Vorgang lieber mit mir besprechen?“
„Das Letztere fände ich ausgezeichnet!“
„Dann machen wir das so. Wie kann ich Sie erreichen?“
Krüger zückte eine seiner neuen Visitenkarten. „Bitte, Herr Professor!“
Der stutzte kurz. „BKA, Sonderermittler. Wie soll ich Sie denn jetzt korrekt ansprechen?“
„Bloß keine Umstände!“, wehrte Krüger ab.
„Wenn Sie meinen, Herr Kommissar.“
„Danke für Ihre Zeit, Herr Professor!“
„Aber gerne.“
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Die Führung im Heimatmuseum startete pünktlich um zehn Uhr. Nadja hatte kaum erwartet, dass außer ihr etliche weitere Besucher anwesend sein könnten. Darin hatte sie sich jedoch gründlich getäuscht. Offenbar hatte der Veranstalter einer Kaffeefahrt von dieser praktischen Gelegenheit, um Zeit totzuschlagen, Wind bekommen. Ein weiterer Irrtum, wie Nadja bald feststellte. Eduard Schuster wies gleich von Anfang an darauf hin, dass man die vorgestellten Spezialitäten der Gegend am Nachmittag bei gemütlichem Zusammensein zu günstigen Konditionen erwerben könne. Wenigstens ließ sich dadurch der Sinn des Ganzen ziemlich klar erkennen. Ausgerechnet ein pensionierter Hauptkommissar mit normalerweise ausreichender Beamtenpension beteiligte sich mit klarer Begeisterung an dubiosen Verkaufsveranstaltungen. Nadja überlegte während der gesamten Führung durch das Museum, ob sie Schuster überhaupt befragen sollte. Er würde bestimmt rasch dichtmachen, sobald er vermutete, dass es sich um Nachforschungen zu seinem Nebenjob handeln könnte. Als langjähriger Polizist dürfte er schwer zu täuschen sein, vor allem wenn es um die eigene Haut ging. Einen zufriedenen Rentner mit weiblichen Reizen einzuwickeln, verlangte dagegen kaum besondere Fähigkeiten, falls frau entsprechend ausgestattet war. Nadja beschloss, sich zuvor mit Krüger zu besprechen. Deshalb schlich sie sich erst unauffällig auf eine Toilette und verließ danach direkt das Museum.
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Krüger traf sich zur gleichen Zeit erneut mit Professor Gründel in der Rechtsmedizin. Der kam gleich zur Sache: „Sobald ich die Akte aufgeschlagen hatte, erinnerte ich mich sofort wieder. Selten habe ich eine solche Schlamperei erlebt wie bei dieser Sache. Ich obduzierte damals leider nicht selbst, sonst hätte ich eventuell etwas retten können. Bevor ein Assistent den gesamten Inhalt der Lieferung in ein Becken kippte.
Anstatt uns vorschriftsgemäß an den Fundort zu rufen, schmiss man uns ein Bündel mit Leichenteilen vor die Füße. Durch den Druck des Sackes und die Erschütterungen beim Transport vermengten die letzten vorhandenen Weichteile zu einem undefinierbaren Brei. Aus dem die Knochen in wirrer Zusammenstellung herausragten. Bloß weil sich das Opfer auch ohne Obduktion sicher identifizieren ließ und der Todeszeitpunkt höchstwahrscheinlich dem Datum des Verschwindens entsprach, sah das Institut schließlich von einer Anzeige