Das Friedrich-Lied - 2. Buch. Henning Isenberg

Das Friedrich-Lied - 2. Buch - Henning Isenberg


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      Doch was wollte sein Verstand? Was war wahr? Wer konnte das sagen? Niemand! Erschöpfung machte sich breit und er ließ jede angestrengte Kopfgeburt fahren. Schlafen, schlafen. Nur schlafen. Nur der Körper konnte das Wahre erfahren, und auch er konnte nicht in die Zukunft schauen. Auch er musste alles erfahren in dem Moment, in dem es geschah. Stille umfing ihn wieder. Stunde um Stunde.

      Wo bin ich jetzt, fragte er sich, als sein Verstand wieder erwachte. Denn er vernahm ein neues Wesen in seiner Nähe. Es war ihm als wärmte eine kleine Hand seine Stirn und abwechselnd seine Schläfen. Diese neue Lebensquelle nahm die Spannung von seinem Nacken und aus seinen Schultern. Es war ihm, als sei diese neue Aura schon lange Zeit bei ihm. Auch war keine Schwere mehr in diesem neuen Raum, wie in der Nacht als er Tibald gesehen hatte. Vielmehr fuhr ein frischer Duft durch diese Aue. Er spürte nach diesem Wesen, das ihn umsorgte. Licht fuhr in seinen geschundenen Torso und umspielte eine wunde Stelle, deren Schacht sich wie ein tiefer Brunnen den Weg durch sein Schulterblatt gesucht hatte. Da erst spürte er einen unendlichen Schmerz, genau an dem Punkt, wo das Licht keine Macht hatte.

      Er vernahm eine Stimme.

      „

      Wie geht es?“

      „

      Er röchelt kein Blut. Er hat die Nacht überstanden. Was der Tag bringt, müssen wir dann sehen…. Wenn er die Rippen gebrochen hat, kann Knochenmark ins Blut kommen. Dann bekommt er Fieber und er stirbt. Wenn das Mark zu Knochen wird, schafft er es.“

      Da war sie wieder die Hand, die ihn in diesem wunderlichen Zwischenhades hielt.

      Doch was tat sie? Sein Körper wurde bewegt. Er flog, er flog.

      Und in dem Flug benetzte ein kühler Zug seine Haut.

      Nun berührten ihn diese heilenden Hände an dem Brunnenrand.

      Schmerz! Er wollte schreien. Doch stattdessen sah er einen kleinen Jungen, der fassungslos schrie. Was war dieser Schmerz?

      Er sah die inneren Wände des Schmerzenbrunnens und flog langsam, wie eine Hummel, die nach Nektar sucht, an ihnen entlang, bis er zu einem funkelnden Gewässer kam. Doch was schaute er? Dort unten sah er eine Gestalt; umspielt von gleißendem Gewässer. Wer ist dieses Wesen? Ich kenne es! Die Gestalt begann ihm zu winken. Vater? Bist du das?

      „

      Ja, Junge, ich bin es.“

      Schmerz, unendlicher Schmerz umfing ihn. Da war er, der kleine Junge und schrie und weinte vor Schmerz und Einsamkeit. Doch nun hörte das Animuswesen auf zu winken. Angst umfing ihn, und er begann noch tiefer und ängstlicher zu weinen. Doch das Wesen streckte ihm seine Hand entgegen und rief ihn. „Komm, komm. Du bist nicht allein. Ich bin da und ich war immer da…. Du hast mich nur nicht gesehen.“

      Da lief der kleine Junge zu dem Wesen und sie fassten sich an den Händen, während die Spiegel des Wassers sich zu einem hellen Licht zusammenfügten. Und der Animus barg den Kindskörper solang, bis selbiger keinen Schmerz und kein Weinen mehr vernahm. Da verlies die tiefe Wut, die Friedrich ein Leben lang begleitet hatte, seinen Körper. Er wusste, dass er nie wieder die Verwirrung des Wütenden fürchten musste und er jederzeit das Schwert des entschiedenen Kriegers ziehen konnte.

      Nach dieser Ewigkeit des Schmerzes und der inneren Heilung schwebte er wieder der Oberfläche zu, von der er gekommen war. Dort oben sah er, dass der Stein des Schachtes und des wunden Brunnenrandes demselben warmen Licht, das seinen ganzen Körper bereits umsponnen hatte, gewichen war. Auch der Brunnen heilte. In Gedanken fragte er sich, was nun als nächstes folgte. Fahre ich nun bald auf in die Ewigkeit? Angst umfing ihn erneut.

      45. Kapitel

       Der König von Frankreich war schlau,

       listiger noch als ein Fuchs.

       Gleich rief er einen seiner Meister

       und gab ihm die Reliquien,

       derer man bedarf,

       um mit Erfolg voranzukommen

       (Chanson de Guillaume le Maréchal)

      Der Tag, an dem das Heer Limbourgh erreichen würde, erwachte mit einem windlosen und trüben Morgen. Die warme Luft war drückend und der Waldbogen dampfte, als sie die Habe auf die Pferde packten. Die zugeschütteten Feuer qualmten. Im Umkreis des Lagers hallte der kleine Wald, der ihnen in der Nacht Schutz geboten hatte, von den dumpfen Geräuschen der aufgenommenen Waffen, der Riemen, die festgezurrt, der Rüstungen, die übergezogen wurden, vom Husten der Menschen und Schnaufen der Pferde, wider.

      Den ganzen Tag ritten sie im immer gleichen, ermüdenden Trott nach Osten. Der Regen versprühte sich nur noch von Zeit zu Zeit über die Lande. Weiße und graue Wolkeninseln, die hier und da den blauen Himmel freigaben, zogen über sie hinweg und ein leichter Westwind trieb den Trupp, wie von den Franzosen befohlen, aus Frankreich heraus.

      Es war Friedrich, als gehe er wieder auf eine Reise. Wie in einem großen Kahn geborgen, war es ihm, als werde sein Körper auf- und abwogen. Er wollte nicht gehen. Er wollte doch seine junge Braut wiedersehen. Er wollte ihr doch seine Heimat zeigen. Die Heimat, die er gerade erst wiedergewonnen hatte, deren Herr er in Wirklichkeit noch gar nicht war. Er wollte so bald als möglich dem Westen den Rücken kehren und die Gedanken an die Niederlage verdrängen. Leben und mit ihr dort glücklich sein. Angst ergriff sein Herz. Ihm war, als bliebe es stehen. Nicht einschlafen. Nicht einschlafen, mein Herz. Er durfte nicht einschlafen, sonst würde es vollends zum Erliegen kommen. So sehr er sich des Schlafes erwehren wollte, er fiel doch in einen angstvollen Traum.

      Von weitem erblickte Sophie das Heer ihres Vaters. Selbst aus dieser Entfernung war ihm die Niedergeschlagenheit anzusehen. Sie gab ihrem Pferd die Sporen. Cedric erblickte sie als erster und rief, „dort, seht, Herr!“

      Waleran gab ihm einen Wink, seiner Tochter entgegenzureiten, woraufhin Cedric den langgezogenen Hügel hinaufsprengte.

      „

      Herrin, kommt!“, rief er Sophie entgegen, als sie in Hörweite waren. „Er ist dort unten. Ich bringe Euch hin.“

      Wenig später stieg Sophie von ihrem Pferd, um auf den Wagen, in dem Friedrich lag, zu klettern. Sie kniete nieder und betrachtete den Geliebten. Dann legte sie sich zu ihm – ihr linkes Bein über seinen linken Oberschenkel und die linke Hand auf seinen rechten Beckenknochen gestützt.

      Friedrich erwachte. Er war von Grenze zu Grenze gegangen. Er hatte bereits einen langen Weg hinter sich gelassen. Über ihm war helles Licht und an seiner Seite spürte er das Wesen, dem er Urzeiten zurück begegnet war oder war es gerade gewesen? Er wusste es nicht mehr. Er spürte.

      Da war sie wieder diese zauberhafte, weibliche Aura. Diese tiefe Berührung. Ihm war, als öffneten sich ihre Körper und das eine Wesen ging in den Körper des anderen Wesens. Eine so tiefe Berührung hatte er nie zuvor erfahren. Nicht mit Giovindamur, nicht mit Zarastro, Sibert, Benoit, Einhard, geschweige denn mit seiner Mutter oder seinem Vater, vielleicht mit seinen Brüdern.

      Er wollte dieses Wesen mit auf seine Himmelsreise nehmen. Dieses Wesen? Und was ist mit Sophie? Bin ich ihr untreu?

      Erneut wollte er sich in tiefe Not stürzen. Doch er tat es nicht. Er kehrte um. Denn dieses Gefühl war so richtig. Es war tiefe Liebe. Es konnte nicht falsch sein.

      “

       Seit dieser Zeit sank der Name der Deutschen bei den Welschen”

       Der Chronist Innozenz III.

      Mit dem Sieg der Franzosen über das angevinisch-welfische Bündnis bei Bouvines und Chinon hatte auch Friedrich II. einen großen Sieg errungen. Der König von Paris wurde seiner Kronvasallen wieder Herr und richtete seine Vorherrschaft über Flandern, das


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