Gefühlslooping. Heidi Dahlsen

Gefühlslooping - Heidi Dahlsen


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besser erzogen, hätte er vielleicht eine Frau geheiratet, die dir recht ist.´ Als würde es mir nur darauf ankommen.“

      Lydia ist erschüttert und gleichzeitig froh, bisher keine Kinder bekommen zu haben. Sie wüsste nicht, wie sie sich mit so einer Schwiegertochter auseinandersetzen sollte und wie sie diesem Sohn klarmachen könnte, dass es so nicht weitergeht, ohne dass er gleich beleidigt ist. Als ihr ihre Freunde Christine und Olli in den Sinn kommen, muss sie wehmütig lächeln und kann sich nicht vorstellen, dass die beiden mit ihren Kindern irgendwann einmal solche Probleme bekommen werden.

      „Aber Elfi hat sich das sicher früher auch nicht träumen lassen, als ihr Sohn noch klein war“, denkt sie.

      „Was war eigentlich der Auslöser, dass du in Therapie musstest?“, fragt Lydia.

      „Über die Jahre wurde die Belastung immer stärker. Zuerst hat mein Körper gestreikt und bald darauf mein Geist … und dann war beinahe alles zu spät.“

      „Warum hast du nicht eher die Notbremse gezogen?“

      Elfi überlegt kurz. „Weil es nur langsam immer schlimmer wurde. Das fühlt sich genauso an, als würdest du auf einem Fluss in einem Boot sitzen und gegen die Strömung, die stärker und stärker wird, rudern müssen. Du paddelst und paddelst und musst dich immer mehr anstrengen. Irgendwann kannst du einfach nicht mehr und lässt dich treiben.“

      Lydia nickt. „Vor diesem Problem stand ich auch schon. Aber bei mir hat sich das nicht über Jahre angestaut. Ich hatte das Glück, dass meine Freundin für mich da war. Sie macht sich immer um alles und jeden Sorgen und hat mich sozusagen vor dem Sumpf bewahrt. Außerdem habe ich bei unserem Klassentreffen eine Schulkameradin, die Ärztin ist, wiedergetroffen. Sie hat mir die Therapie empfohlen und mich hier eingewiesen.“

      „Hast du ein Problem damit, in der Psychiatrie zu sein?“, fragt Elfi.

      „Wer hat das nicht?“, stellt Lydia die Gegenfrage.

      Elfi schmunzelt. „Warst du auch erleichtert, als du feststellen konntest, hier niemanden Bekanntes zu treffen?“

      Lydia hat sich genau aus diesem Grund seit ihrer Ankunft immer wieder verstohlen umgeschaut und nickt. „Stimmt. Das ist schon ungemein beruhigend.“

      „Mit Fremden spricht es sich leichter über Probleme, weil man weiß, dass man die sowieso nicht wiedertrifft.“

      „Da kann man sich sehr täuschen“, sagt Lydia. „Als ich vergangenen Herbst Urlaub gemacht habe, wohnte im Bungalow neben mir ein Ehepaar, die dachten das auch. Jetzt sind wir ganz gut befreundet, und ich konnte ein Buch über ihr Leben veröffentlichen.“

      „Oh. Da muss ich wohl aufpassen, was ich erzähle“, sagt Elfi. Sie schlägt sich auf den Mund und zieht übermütig lächelnd den Kopf ein.

      „Nein. Ich würde nur darüber schreiben, wenn du mir dein Einverständnis gibst. Und dann würde ich alles anonym verfassen.“

      „Gott sei Dank. Ich dachte schon, du lässt ein Tonband mitlaufen oder so.“

      „Ich habe morgen mein erstes Gespräch“, sagt Lydia und zieht ihre Stirn in Falten.

      „Es wird dir nichts weiter übrig bleiben, als alles frisch von der Leber weg auszuplaudern. Einen Rat kann ich dir geben, je eher du damit beginnst, je eher geht es dir besser.“

      „Das ist mir schon bewusst, aber …“

      „Nichts aber“, wird sie von Elfi unterbrochen. „Hol einfach tief Luft und dann raus mit dem ganzen Schlamassel.“

      3.

      Am Vormittag des nächsten Tages hat Elfi zwei Therapien. Lydia kommt sich im Zimmer etwas verloren vor und beschließt, einen Spaziergang zu machen.

      Als sie sich draußen umschaut, sieht sie, dass mehrere Frauen auf dem Weg zum See sind. Sich ihnen spontan anzuschließen, wagt sie nicht, denn sie hat bisher noch keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen können. Eigentlich ist sie ganz froh, in Elfi eine verständnisvolle Frau gefunden zu haben und sich mit ihrer Hilfe langsam an den Klinikalltag zu gewöhnen. Sie ist auch etwas erleichtert darüber, dass ihre Gedanken nicht mehr ununterbrochen durcheinander schwirren.

      Sie will den Weg, der von der Frauengruppe in die entgegengesetzte Richtung führt, einschlagen. Karin fordert sie jedoch mit einem Wink auf, zu ihnen zu kommen. Lydia stöhnt innerlich auf, setzt sich jedoch in Bewegung und geht auf sie zu.

      „Hallo“, sagt sie zur Begrüßung, denn etwas anderes fällt ihr nicht ein.

      Die Frau, die ihr als Hexe Ingrid beschrieben wurde, strahlt sie an.

      „Hast du dich schon etwas eingelebt?“, fragt Karin.

      „Na ja“, antwortet Lydia. „Was man so einleben nennen kann.“

      Ihr ist es peinlich, etwas sagen zu müssen. Sie wartet ab, dass sich die anderen weiter miteinander unterhalten und sie von einem peinlichen Frage- und Antwortspiel verschont bleibt.

      „Diese Elfi lässt dir ja überhaupt keinen Freiraum“, sagt Ingrid bedauernd.

      „Mir ist ihre Gesellschaft eigentlich ausreichend“, antwortet Lydia. Als sie die seltsamen Blicke der anderen bemerkt, ergänzt sie schnell, „ich meine … na ja, die ersten Tage in dieser Einrichtung waren für euch doch bestimmt auch nicht gerade angenehm. Man ist doch erst mal froh, seine Ruhe zu haben. Bekanntschaften kann man später knüpfen, wenn es einem etwas besser geht.“

      Sie hofft, die Frauen mit dieser Erklärung beschwichtigt zu haben, denn nichts liegt ihr ferner, als den Eindruck zu erwecken, eingebildet oder verklemmt zu sein.

      Ingrid strahlt Lydia wieder an. „Also ich fühle mich sehr wohl in Gesellschaft.“

      „Ja, Ingrid“, sagt Karin und verdreht die Augen. „Davon hast du uns alle bereits mehrfach überzeugt.“

      „Was kann ich dafür, dass es mir hier gut gefällt?“, fragt Ingrid. „Ich verstehe gar nicht, dass ihr immer so unzufrieden seid. Komm, Lydia. Wir gehen. Ich muss dir nämlich unbedingt …“

      „Äh, ich wollte eigentlich …“, sagt Lydia und sucht nach einer glaubhaften Begründung, um nicht mit Ingrid allein sein zu müssen.

      Karin grinst und ergänzt: „Ja, genau. Wir wollten doch mit Lydia schwimmen gehen. Bis nachher, Ingrid.“

      Karin greift nach Lydias Arm und zieht sie einfach mit sich. Ingrid bleibt enttäuscht zurück.

      Nachdem sie ein Stück gegangen sind, sagt Karin zu Lydia: „Entschuldige, aber Babajaga wird man nicht anders los. Zum Glück ist sie wasserscheu, und das ist ein guter Trick, ihrer Nähe entfliehen zu können, ohne dass sie allzu sehr beleidigt ist.“

      „Wo kann man denn schwimmen?“, fragt Lydia.

      „Im Anbau ist der sogenannte Wellness-Bereich“, antwortet Karin. „Hinter dem Entspannungs- und Fitnessraum befindet sich ein kleines Schwimmbad.“

      „Toll. Darf man da einfach so schwimmen?“

      „Ja. Wenn dir dein Therapieplan Zeit dazu lässt. Hast du dich schon entschieden, an welchen Therapien du teilnehmen wirst?“

      „Ich weiß nicht“, antwortet Lydia. „Ergotherapie ist nichts für mich. Ich habe noch nie gern gebastelt.“

      „Das ist nicht nur eine Bastelstunde“, wirft Sonja erstaunt ein.

      „Töpfern ist auch nichts für mich“, erwidert Lydia kopfschüttelnd, „und Körbe flechten schon gar nicht.“

      „Du kannst dir auch während der Musiktherapie deinen Frust von der Seele trällern“, schlägt Karin schmunzelnd vor.

      „Ja, und tanzend durch die Räume schweben“, lacht Lydia.


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