Gefühlslooping. Heidi Dahlsen

Gefühlslooping - Heidi Dahlsen


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das da nicht hingehört, wurde gefunden.

      Also verflüchtigten sich die Kopfschmerzen, und bald darauf spielte mein Magen-Darm-Trakt verrückt. Ich konnte mir keinen Reim darauf machen, warum ich mich ständig so mies fühlte. Jahrelang habe ich geschlafen wie eine Tote. Früh kam ich jedoch kaum aus dem Bett. Das Frühstück zu machen, war bereits eine beinahe unüberwindbare Hürde. Im Supermarkt bekam ich Herzrasen und Schweißausbrüche und konnte mir das nur damit erklären, dass ich herzkrank bin und sicher bald sterben muss … so elend war mir zumute. Mir graute es mit der Zeit davor, das Haus zu verlassen, sodass ich mich wie eine Gefangene fühlte.“

      „Oh Gott, da steht mir ja noch etwas bevor. Jetzt habe ich bloß das Gefühl, eine Bowlingkugel verschluckt zu haben.“

      Elfi nickt und erklärt Lydia: „Das sind nur deine verkrampften Nerven. Du solltest am autogenen Training teilnehmen. Dort lernst du, dich zu entspannen. Mit der Zeit wird aus dem harten Ding in deinem Bauch ein Gummiball und später ein Wattebällchen und irgendwann ist das Ding weg.“ Lydia schaut Elfi zweifelnd an, sodass diese weiterspricht. „Vertraue mir einfach. Ich habe das alles durch und bin eine Expertin. Hast du immer noch Angst vor den Gesprächen mit LF?“

      Lydia schüttelt den Kopf. „Eigentlich nicht, bloß ein ungutes Gefühl. Ich weiß nicht, womit ich beginnen soll, weil meine Gedanken noch alle durcheinander kreisen. Sowie ich jedoch einen Anfang gefunden habe, sprudelt alles wie von selbst aus mir raus. Etwas bin ich darüber überrascht, dass der Therapieraum fast gemütlich eingerichtet ist, und der Sessel ist dermaßen bequem, dass ich hoffe, darin nicht einfach mal einzuschlafen.“

      „Hattest du eine Folterkammer erwartet?“, fragt Elfi und lacht laut auf. „Lydia, du machst dir alles schwerer als nötig. Grüble nicht so viel. Das schlägt nur Falten in dein Antlitz, und das wiederum wäre schade um dein noch jugendliches Aussehen. Versuche einfach, deinen Aufenthalt positiv zu sehen und vielleicht etwas zu genießen. Umso eher kannst du wieder nach Hause.“

      Lydia seufzt. „Ich werde mich bemühen. Aber jetzt muss ich schlafen.“

      Elfi hat sich unterdessen fürs Bett fertig gemacht und kuschelt sich in ihre Decke.

      „Gute Nacht“, sagt sie zu Lydia, „und träum was Schönes.“

      „Ha, ha“, macht Lydia. „Ich kann leider nicht beeinflussen, inwieweit meine lebhaften Träume mich ruhig schlummern lassen. Hoffentlich wecke ich dich nicht.“

      „Wetten, dass du das nicht schaffst“, entgegnet Elfi. „Bestimmt bin ich eher wach, als du aus deinem Gruselkabinett gekrochen kommst.“ Sie zwinkert Lydia zu. „Mach dir nicht so viele dunkle Gedanken. Schieb sie einfach weg und konzentriere dich auf die Dinge, die dir Spaß machen.“

      „Das sagt sich so leicht. Ich bewundere deinen Optimismus.“

      „Lydia, ich habe dir viele Monate Therapie voraus und weiß, wovon ich spreche.“

      „Eben. Vor diesen vielen Monaten, die ich noch vor mir habe, graut mir.“

      „Das kann bei dir doch viel schneller gehen.“ Elfi schüttelt den Kopf und überlegt, welchen Rat sie Lydia geben könnte. „Sprich mir nach: `Ich denke an schöne Dinge.´ Na los!“

      Lydia verzieht ihr Gesicht, kommt jedoch der Aufforderung nach: „Ich werde versuchen, an schöne Dinge zu denken.“

      „Na gut. Für den Anfang muss das reichen. Das wird jetzt dein Abendgebet.“

      „Danke, Elfi“, sagt Lydia leise in die Dunkelheit und wischt sich die Tränen weg.

      „Schon gut. Einer muss dir scheinbar mal den Marsch blasen. Ich fühle mich ganz gut dabei. Zumindest ist es besser, als selbst den Marsch geblasen zu bekommen.“

      Elfi kichert und nimmt eine entspannte Schlafhaltung ein. Für Lydia ist das ein Zeichen, sie nun nicht weiter zu stören. Sie dreht sich zur Wand und will ihren zweiten Tag in der Klinik Revue passieren lassen. Weit kommt sie jedoch nicht, denn sie schläft ziemlich schnell erschöpft ein.

      7.

Grafik 12

      Am nächsten Morgen, unmittelbar nach dem Frühstück, haben Lydia und Elfi noch zwei Stunden Zeit, bevor sie gemeinsam zum autogenen Training gehen wollen.

      Lydia legt sich auf ihr Bett, schaut an die Decke und denkt nach. Elfi liest in einer Zeitschrift.

      Nach einer Weile steht Lydia auf und geht zu ihrem Schrank. Sie nimmt aus ihrem Koffer ein Geschenk und wirft es auf das Bett. Ihr Laptop steht immer noch betriebsbereit auf dem Tisch, blinkt erwartungsvoll und scheint sie magisch anzuziehen. Sie setzt sich vor das Gerät, als wolle sie losschreiben, seufzt jedoch nur, schaltet es aus und entfernt das Stromkabel. Danach stellt sie auch ihr Handy ab und verstaut alles in ihrem Koffer.

      Sie sieht Elfi an und erklärt ihr: „Frau Doktor Lachmann-Friedrich hat gesagt, es wäre vorerst besser so.“

      Elfi nickt. „Arbeiten und mit deinen Freunden und der Verwandtschaft plaudern kannst du später noch genug.“

      „Hmm“, macht Lydia und packt das liebevoll gestaltete Päckchen, das sie von ihrer besten Freundin Christine zum Abschied erhalten hat, aus.

      „Ha! Die scheinen sich alle gegen mich verschworen zu haben“, ruft sie aus und runzelt die Stirn.

      Elfi schaut überrascht hoch. Lydia zeigt ihr das Geschenk, worauf Elfi grinst.

      „Das ist genau das, was du jetzt gut gebrauchen kannst“, sagt sie.

      „Als ich Frau Doktor Lachmann-Friedrich fragte, ob ich in meiner Freizeit etwas schreiben darf, hat sie mir die Empfehlung gegeben, nur in einem Tagebuch meine Gedanken festzuhalten. Alles andere solle lieber warten.“

      „Ein Tagebuch hast du ja nun. Deine Freundin scheint mitzudenken und es gut mit dir zu meinen.“

      „Ihr habe ich viel zu verdanken“, sagt Lydia und lächelt wehmütig. „Wir sind befreundet, solange ich mich erinnern kann. Sie und ihre Kinder sind sozusagen meine Familie.“

      Sie legt sich wieder auf ihr Bett und blättert in dem neuen Tagebuch. Die vielen leeren Seiten erscheinen ihr wie ein Hohn. Sie schluckt, denn ihr wird bewusst, dass sie diese in der nächsten Zeit wahrscheinlich mit allem, was ihr auf der Seele lastet, füllen wird. Davor graut ihr, und die Zweifel, die sie immer noch oft überkommen, drängen in den Vordergrund.

      „Bisher bin ich doch auch gut mit meiner Situation klargekommen“, denkt sie. „Was mache ich eigentlich hier???“

      Eine Träne läuft ihr über die Wange. Sie schüttelt den Kopf und atmet mehrmals tief durch, nimmt den Stift zur Hand und überlegt, was sie schreiben könnte.

      Die Anrede `Liebes Tagebuch´, findet sie blöd, also muss sie sich etwas anderes einfallen lassen. Nach einer Weile schreibt sie das Datum in die obere rechte Ecke und ist zufrieden, denn jetzt hat sie kein unberührtes Blatt mehr vor sich, und irgendwie wird der Eindruck erweckt, dass sie den Anfang gemeistert hat.

      Sie beginnt zu schreiben: `Frau Doktor Lachmann-Friedrich sagt´ … „Wenn ich jedes Mal den Namen ausschreibe, ist das Tagebuch ja bald voll“, denkt sie und nimmt sich vor, ab sofort auch nur die Abkürzung LF, die ihr zwar etwas unhöflich, jedoch wirklich praktischer zu sein scheint, zu verwenden.

      Sie versucht, sich zu erinnern. „Hmm. Was hat sie eigentlich gesagt? …“

      Nach einer halben Stunde intensiven Nachdenkens ergreift sie Unruhe, denn sie ist noch keinen einzigen Buchstaben vorangekommen.

      „Mein Gott“, murmelt sie vor sich hin, „so schwer kann das doch nicht sein.“

      „Wenn ich dir einen Rat geben darf“, sagt Elfi, „dann lass es in Reichweite liegen. Du wirst schon bald nicht mehr nachkommen, deine Gedanken zu Papier zu bringen.“

      Lydia


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