Gefühlslooping. Heidi Dahlsen

Gefühlslooping - Heidi Dahlsen


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hätte nie gedacht, dass ich das so gut hinbekomme.“

      „Du hast es gut“, sagt Lydia wehmütig.

      Sonja und Karin sehen sie verwundert an.

      „Wieso?“, fragt Karin.

      „Ich darf nicht schreiben“, klärt Lydia sie auf, „weil ich das zu Hause den ganzen Tag mache.“

      „Dann solltest du vorläufig wirklich etwas anderes tun“, sagt Sonja. „Ich male. Meine Bilder sehen zwar nicht professionell aus, aber in der Kunst ist ja eigentlich alles erlaubt. Hauptsache, es macht Spaß und lenkt mich ab.“

      Als es Zeit für das Mittagessen wird, machen sie sich auf den Weg ins Hauptgebäude. Die Köchin Hermine erwartet sie bereits.

      „Gut, dass wenigstens ihr kommt. Ich dachte schon, ich bleibe auf dem Essen sitzen. Heute ist wieder mal der Wurm drin, und alle haben anderes zu tun. Was habt ihr denn mit Ingrid gemacht? Die sitzt schmollend in ihrem Zimmer.“

      Karin grinst. „Wir wollten eigentlich schwimmen gehen, haben es uns dann aber anders überlegt.“

      Hermines Augen funkeln schelmisch. „Da hätte Ingrid euch wohl doch nicht so voreilig ihr Geheimnis verraten sollen. Das hat sie nun davon. Lydia, lass dir das eine Warnung sein.“

      „Ich werde mir immer genau überlegen, was ich sage“, verspricht Lydia augenzwinkernd und ist froh, einen lockeren Anschluss gefunden zu haben.

      Da Elfi weit und breit nicht zu sehen ist, setzt sie sich mit Karin und Sonja an einen Tisch. Hermine hat in der Zwischenzeit Ingrid Bescheid gegeben, dass die Frauen zurück sind. Schnellen Schrittes kommt sie angelaufen und setzt sich neben Lydia.

      „Schön, dass du endlich wieder da bist“, sagt sie zu ihr und strahlt übers ganze Gesicht. „Weißt du, Lydia, bereits bei deiner Ankunft habe ich gefühlt, dass du ein ganz besonderer Mensch bist.“

      Lydia wird unter dem Tisch leicht angestoßen. Als sie hochschaut, zwinkert Karin ihr zu, sodass sie errötet.

      „Das fehlt mir gerade noch“, denkt sie. „In der Psychiatrie von einer Hexe angehimmelt zu werden … Worauf habe ich mich nur eingelassen? Zumindest werde ich mich erst mal aufklären lassen, wie ich mit den anderen Verrückten umgehen soll. Nicht, dass ich die unwissentlich mehr aufrege, als gut für sie ist.“

      4.

      Pünktlich fünfzehn Uhr steht Lydia vor der Tür mit der Aufschrift `Therapieraum´. Schon allein diese Bezeichnung erscheint ihr als Bedrohung. Sie beginnt zu zittern und kommt sich etwas feige vor, weil sie sich nicht überwinden kann, einfach anzuklopfen und hineinzugehen. In der vergangenen Nacht hat sie kaum geschlafen, jedoch viel darüber nachgedacht, was sie sagen und vor allem, wie sie überhaupt einen Anfang finden soll. Als sie nach dem Aufstehen in den Spiegel gesehen hat, hätte sie sich beinahe nicht erkannt.

      „Was mache ich nur immer noch hier?“, fragt sie sich zum wiederholten Male. „Warum tue ich mir das an? Warum packe ich nicht einfach meine Sachen? Ich will nach Hause!“ Sie lächelt gequält und appelliert an ihre Vernunft. „Lydia, du gehst jetzt da rein! Du bist kein kleines Kind mehr. Bring es endlich hinter dich.“

      Bevor sie es sich anders überlegen kann, klopft sie an. Etwas zaghaft und dementsprechend leise, aber immerhin. Genau in dem Moment, als ein Fünkchen Hoffnung in ihr aufkeimen will, dass die erste Stunde ausfällt und ihr die Offenbarung vorerst erspart bleibt, vernimmt sie ein freundliches: „Herein.“

      Zaghaft öffnet sie die Tür und verschafft sich einen Überblick. Sie ist erstaunt darüber, kein steriles Sprechzimmer vorzufinden, und gleichzeitig über die gemütliche Einrichtung des Raumes überrascht. Frau Doktor Lachmann-Friedrich sitzt am Schreibtisch und sieht Lydia erwartungsvoll entgegen. Mit einer Handbewegung fordert sie sie auf hereinzukommen. Lydia verspürt einen dicken Kloß im Hals und lässt sich auf dem Therapiestuhl nieder.

      „Eigentlich gleicht der eher einem überdimensionalen Chefsessel“, denkt sie und muss feststellen, dass er sogar sehr bequem ist. „Warum werde ich den Eindruck nicht los, dass diese Wohlfühlatmosphäre nur vorgetäuscht ist? Warum komme ich mir eigentlich vor wie ein Schwerverbrecher vor seinem Richter?“

      Ihr Herz rast, und die ersten Schweißperlen sammeln sich auf ihrer Stirn. Sie umklammert die Armlehnen, als würde sie in einem Schleudersessel sitzen und müsse befürchten, dass der gleich abheben wird.

      Frau Doktor Lachmann-Friedrich schaut sie aufmunternd an und signalisiert ihr mit einem leichten Kopfnicken zu beginnen.

      Da Lydias Mund vor lauter Aufregung ausgetrocknet ist, räuspert sie sich und krächzt: „Also … ich … äh …“

      5.

Grafik 4

      Bereits nach einer halben Stunde huscht sie in ihr Zimmer, als würde sie verfolgt werden. Elfi ist gerade dabei sich umzuziehen. Weil Lydia den Eindruck erweckt, etwas Schreckliches erlebt zu haben, schaut Elfi sie erstaunt an und fragt: „War es so schlimm?“

      Lydia nickt … denkt kurz nach … zuckt mit den Schultern … schüttelt den Kopf und sagt: „Eigentlich nicht.“

      „Na, siehst du. Glaube mir, es wird mit jedem Mal leichter.“

      „Hoffentlich.“

      „Ich gehe jetzt zum autogenen Training und drehe danach noch eine Runde um den See. Falls du nachher nichts anderes vor hast, kommst du einfach zum Entspannungsraum und holst mich ab. Dann können wir gemeinsam spazieren gehen.“

      „Mal sehen.“

      Lydia legt sich auf ihr Bett. Im Moment hat sie das Gefühl, eine Bowlingkugel verschluckt zu haben, und dreht sich auf die Seite. Ihre Gedanken schwirren im Kopf herum und mischen sich ab und zu mit ein paar Worten, die Frau Doktor Lachmann-Friedrich zu ihr gesagt hat. Je mehr sie über das Gespräch nachdenkt, umso aufgewühlter wird sie. Nach einer Weile fällt sie in einen unruhigen Schlaf.

      6.

Grafik 11

      Es ist bereits dunkel, als Lydia wieder zu sich kommt. Sie knipst ihre Nachttischlampe an und setzt sich auf. Ein Teller mit belegten Brötchen steht auf dem Tisch. Daneben liegt ein Zettel.

      Elfi hat ihr das Abendessen mitgebracht und eine Nachricht hinterlassen: „Hallo, Lydia. Ich hatte nach meinen Gesprächs-Schlaf-Attacken immer Hunger. Falls es dir auch so geht, dann lass es dir schmecken. Ich bin im Fernsehraum. Bis nachher. Elfi“

      Lydia spürt ihren Magen grummeln und ist Elfi dankbar. Mit wenig Appetit greift sie nach einem Käsebrötchen und beißt hinein.

      Als sich die Tür öffnet, ist sie froh, dass sie nicht mehr allein ist.

      „Ich wollte dich vorhin nicht wecken“, sagt Elfi entschuldigend.

      „Danke. Ich habe geschlafen wie … wie tot“, antwortet Lydia.

      „Meine Gesprächstherapie habe ich am Anfang wie Schwerstarbeit empfunden“, erklärt Elfi ihr. „Zwar nicht körperlich, aber seelisch, und das strengt den Körper genauso an, als hätte ich eine Menge ungewohnter anstrengender Arbeiten erledigt. Sicher wird dir auch bald alles wehtun, sodass du denkst, du bist ziemlich krank. Ich habe da jahrelang so einiges durch. Starke Kreuzschmerzen haben mich zum Arzt kriechen lassen, als wäre ich hundert Jahre alt. Er untersuchte mich und stellte fest, dass alles in Ordnung ist. Wie nach einer wundersamen Heilung, hüpfte ich von der Pritsche und konnte wirklich wieder aufrecht gehen.

      Bereits


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