Gefühlslooping. Heidi Dahlsen

Gefühlslooping - Heidi Dahlsen


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ab, „bei Ingrid wärst du sicher auch gut aufgehoben. Sie würde dir die Karten legen und bestimmt nur gute Dinge für dich voraussehen, egal was die Karten sagen. Notfalls würde sie deine Zukunft einfach in die richtige Richtung pendeln.“

      Lydia grinst und erwidert: „Na ja, Ingrid ist bestimmt keine Hilfe. Trotzdem muss es ein Albtraum sein, in einem Einzelzimmer zu wohnen. Irgendwie würde ich mir da verloren vorkommen. Ich bin ganz froh, mit dir zusammen sein zu können.“

      „Es kommt eben darauf an, dass die Chemie zwischen den Patienten, die sich ein Zimmer teilen müssen, stimmt. Wenn ich ständig Ingrids Nähe ertragen müsste, wäre mir das bestimmt unheimlich, und ich könnte nachts kein Auge zumachen. Die lässt einem ja keine Ruhe mit ihren Geschichten und der ganzen Hexerei.“

      „Hexerei hin oder her“, sagt Lydia. „Bei unserem Klassentreffen habe ich eine ehemalige Mitschülerin wiedergetroffen, die als Heilpraktikerin tätig ist. Sie hat mit Begriffen um sich geworfen, dass so mancher sogar vermutete, dass sie eine Zigeunerin ist. Na ja, ihr Aussehen hat natürlich auch etwas dazu beigetragen. Ich bekam mit der Zeit jedoch den Eindruck, dass sie weiß, wovon sie spricht.“

      „Heilpraktiker haben ja auch eine Ausbildung. Unsere Hexe hatte nur eine Erleuchtung für ihren Hokuspokus. Darin liegt ein kleiner Unterschied.“

      „Ich werde versuchen, die sich eventuell ergebenden Gespräche mit Ingrid abzukürzen und nicht ernst zu nehmen“, sagt Lydia. „Obwohl ihre verrückten Geschichten für mich vielleicht interessant sein könnten.“

      „Inwiefern?“

      „Na, für einen meiner nächsten Romane.“ Lydia grinst. „Über eine Hexe habe ich noch nie geschrieben.“

      „Hmm“, macht Elfi. „Ich würde gern ein Buch von dir lesen. Hast du zufällig eins dabei?“

      „Ja. Sogar das neueste mit dem Titel `Lebt wohl, Familienmonster´. Das ist die Geschichte von meinen Urlaubsbekannten.“

      Lydia geht zu ihrem Schrank und nimmt es heraus.

      Als Elfi sich das Titelbild anschaut, grinst sie und sagt: „Upps. Der Mond strotzt ja vor lauter Begeisterung.“

      Lydia nickt. „Ich hatte mir viele Gedanken gemacht, wo ich die Familienmonster ablade. Die Idee mit dem Mond kam mir gerade recht. Der kann sich nicht wehren und muss zusehen, wie er mit denen klarkommt.“

      „Man sagt ja nicht umsonst: `Ich würde dich am liebsten auf den Mond schnipsen´, wenn man jemanden loswerden will“, sagt Elfi lächelnd. „Auf diese Idee sind schon andere gekommen, die mit ihren unliebsamen Verwandten oder Bekannten nicht wissen wohin.“

      „Eben“, sagt Lydia. „Eigentlich wollte ich sie beerdigen und nur auf einem alten Holzkreuz auf ihr Verbleiben verweisen. Aber, indem ich sie zum Mond schicke, können sie noch einmal neu anfangen, denn jeder hat doch eine zweite Chance verdient, oder?“

      „Na ja, darüber kann man auch anderer Meinung sein. Kommt darauf an, wie unbeliebt sie sich gemacht haben“, sagt Elfi und blättert vorsichtig in dem nagelneuen Buch. „Hoffentlich knicke ich dir keine Eselsohren in die Seiten.“

      „Darum möchte ich doch sehr bitten“, entgegnet Lydia. Elfi sieht sie ungläubig an, sodass Lydia ihr erklärt: „Für mich gibt es nichts Schlimmeres, als ungelesene Bücher. Das deutet doch darauf hin, dass sie uninteressant sind. Ein Buch kann nicht abgegriffen genug sein, denn dann zeugt es davon, sehr oft gelesen worden zu sein. Also, gib dir Mühe. Wenn es dir wohler ist, schenke ich dir das Buch zur Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit. Du kannst es also in Ruhe zu Hause lesen und nach Herzenslust abnutzen.“

      „Danke. Dann muss ich nur noch für die nötige Ruhe sorgen. Vielleicht bekomme ich ja doch mal einen Job, denn damit würde sich die ständige Enkelbetreuung von selbst erledigen. Du musst wissen, ich bin Mitte vierzig und habe mich immer unverzüglich beworben, sowie ich von einer freien Stelle erfuhr. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann ich wenigstens mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.“

      „Ich bin froh, selbstständig zu sein und will mir gar nicht ausmalen, wie unbefriedigend es sein könnte, täglich in ein Büro zu fahren und dieses mit mehreren Mitarbeitern teilen zu müssen.“

      „Tja“, macht Elfi. „Die Konkurrenz schläft nicht, und die Ellenbogen der Kollegen stoßen immer fester zu. Es wäre schon ein Glücksfall, eine Firma zu finden, bei der die Arbeit sogar etwas Freude bereitet.“ Sie zuckt mit den Schultern. „Mein Sohn nutzt es aus, dass ich zu Hause bin. Seine Frau geht lieber shoppen oder lackiert sich die Nägel, als Zeit mit ihren Kindern auf dem Spielplatz zu verbringen oder zu Hause mit ihnen zu spielen. Es ist einfacher, die Kleinen bei mir abzuladen. Bei Kinderärzten rumzusitzen gehört auch nicht in ihren Wohlfühlbereich. Wenn die Kinder krank sind, wird von mir verlangt, dass ich mit denen zum Arzt gehe. Besonderes Pech habe ich, wenn Raphael ebenfalls krank ist, denn der hat einen anderen Kinderarzt. Dann kutsche ich mit allen Kindern von einem zum anderen, und wir müssen jedes Mal warten, bis wir endlich dran sind. Meine Tochter hat einen anstrengenden Job in einem Forschungslabor. Ihr helfe ich gern, denn sie nutzt meine mehr oder weniger unfreiwilligen Babysitterdienste wirklich nur im Notfall.

      Ins Grübeln bin ich gekommen, nachdem Raphael sich zu seinem Geburtstag gewünscht hat, dass er wenigstens mal ein paar Stunden mit mir allein sein kann. Als mein Sohn das hörte, warf er dem Kleinen an den Kopf, dass er ein Egoist sei. Ich war erst sprachlos und dann froh darüber, dass meine Tochter ihrem Bruder mal gehörig die Meinung sagte. Leider reden sie seitdem nicht mehr miteinander.“ Elfi schaut traurig vor sich hin und atmet tief durch, bevor sie weiterspricht. „Nicht, dass meine Enkel nur bei mir sind solange sie krank sind, nein, auch an fast allen Wochenenden. Also muss ich zusehen, wie ich die Kinder bestmöglich versorge und vor allem ruhighalte, wenn mein Mann da ist. Ich möchte doch, dass er sich etwas ausruhen kann und sich wohlfühlt, damit er auch in Zukunft gern nach Hause kommt.“

      „Ganz schön unverschämt von deinem Sohn“, äußert Lydia.

      Sie weiß, dass sie die Familienverhältnisse anderer Menschen eigentlich nicht einschätzen kann. Dass bei Elfi jedoch etwas auf deren Kosten übertrieben wird, ist ihr klar.

      „Das habe ich nach mühevoller Kleinarbeit nun auch begriffen“, sagt Elfi. „Eigentlich dachte ich immer, als Mutter muss man für seine Kinder da sein, und auch die Enkelkinder sollen bei ihrer Oma glücklich sein. Aber bei uns ist nur meine Schwiegertochter zufrieden.“

      „Kann dir deren Mutter nicht mal die Enkel abnehmen?“, fragt Lydia. „Immerhin ist sie auch ihre Oma.“

      „Das hast du schön formuliert.“ Elfi lacht, schüttelt dann aber traurig den Kopf. „Die andere Oma nimmt nur ab und zu Bella-Shirin, weil sie ein ruhiges Mädchen ist. Die Jungs sind ihr viel zu wild. Den Stress will sie sich nicht antun. Was blieb mir bisher also anderes übrig? Am ersten Advent hat sich alles zugespitzt.“ Elfi zieht ihre Stirn in Falten und seufzt. „Das war einer dieser Tage, an denen ich lieber früh gleich im Bett geblieben wäre. Wieder einmal hatten sich alle wie selbstverständlich bei uns eingefunden und genossen den Feiertag. Die Mutter meiner Schwiegertochter ist allein, und es hatte sich über die Jahre so eingebürgert, dass sie ständig mit an unseren Familienfeiern teilnimmt. Ich stand seit dem frühen Morgen in der Küche, bediente alle Gäste und spielte nebenbei mit den Enkelkindern, die wieder sehr unternehmungslustig und kaum zu bändigen waren. An mir ging die Feier irgendwie vorbei. Ich kam mir wie ein gut funktionierender Roboter vor und hatte nur einen Wunsch, endlich allein zu sein. Ich musste aber noch ein paar Stunden durchhalten. Später bereitete ich das Abendessen vor, räumte nebenbei den Geschirrspüler aus, sah aus den Augenwinkeln, dass Shawn sich übergeben musste und es nicht mehr bis ins Bad schaffen würde. Also gab ich ihm frische Sachen, kochte Tee, wischte den Boden. Damit war ich noch nicht fertig, als Ethan seinen Kakao verschüttete.

      Seine andere Oma schrie auf: `Mein Kleid … mein Kleid. Elfi, kannst du nicht etwas besser auf die Kinder aufpassen!´

      Sie hatte ein nagelneues Leinenkleid an, und es war abzusehen, dass der Kakaofleck ewig an diesen Advent erinnern wird. Mein Sohn sagte mir unmittelbar darauf, dass


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