Kyla – Kriegerin der grünen Wasser. Regina Raaf
schüttelte verbissen den Kopf, woraufhin der Mann wieder nach ihr trat und ihr so den anderen Oberschenkel aufriss. Kyla stockte der Atem vor Schreck: Dieser Mann würde seine Drohungen wahr machen! Warum wollte Olha ihr Leben riskieren, um sie zu schützen? Olha wich zurück und nahm in einer abwehrenden Geste die Arme hoch.
»Denkst du etwa, du könntest mich hindern? Du wirst in deinem eigenen Blut verrecken! Ich werde dir die Kleider vom Leib reißen, dich mit einem Seil fesseln und wir werden dich abwechselnd solange über den Boden ziehen, bis nur noch blanker Knochen von dir übrig ist.
Und wir werden johlen, während du vergeblich um Gnade flehst.«
Der Mann lachte triumphierend. Die anderen Männer sahen ihn mit Bewunderung und in Vorfreude an – offensichtlich war dieser sadistische Kerl ihr Anführer. Kyla war vor Angst erstarrt. Was sollte sie nur tun? Auf keinen Fall wollte sie zusehen, wie die einzige Chyrrta brutal getötet wurde, die jemals nett zu ihr gewesen war.
»Erspare dir doch deinen qualvollen Tod. Sag mir, wo das Kind ist, dann werde ich dich mit einem einzigen Schwerthieb hinrichten«, offerierte der Mann nun. Olha schüttelte den Kopf und besiegelte damit ihr Schicksal. Als Kyla sah, wie der Mann ein Seil aus einer mitgeführten Tasche hervorholte, um seine Ankündigung wahr zu machen, stürzte sie, ohne nachzudenken aus der Höhle. Sie griff nach einem großen Stein, der am Eingang lag, und warf ihn im Laufen nach Olhas Angreifer. Der Stein traf ihn am Hinterkopf und Kyla war darüber mindestens so erstaunt, wie der Angreifer. Der Kopf des Mannes wirbelte herum, doch sie war bereits rechts an ihm vorbeigelaufen und hechtete in Richtung der Pfähle, die Olha zuletzt eingeschlagen hatte.
»Da ist das Gör! Los, schnappt sie euch! Worauf wartet ihr denn noch, ihr faulen Bastarde?«
Der Anführer war außer sich vor Zorn, weil Kyla es geschafft hatte, ihn zu überrumpeln und zugleich dafür zu sorgen, dass seine Kumpane nur dumm dastanden und ihre Dreistigkeit womöglich insgeheim auch noch bewunderten. Doch sie waren durch seine Beschimpfung aufgerüttelt worden und setzten Kyla nun ebenfalls nach. Einer – ein Bärtiger mit schulterlangem Haar – erreichte Kyla gerade in dem Moment, als sie zur Axt griff. Sie wusste nicht, dass das Gerät so hieß, und ebenfalls wusste sie nicht, dass es für sie eigentlich viel zu schwer war. Sie reagierte einfach instinktiv und schleuderte die scharfe Seite ins Bein ihres Angreifers, ohne den Stiel dabei loszulassen. Als sie die Klinge wieder herauszog, schoss eine Blutfontäne aus der Wunde. Der Mann war zu verwundert, um auch nur einen Laut von sich zu geben, doch seine Augen wurden riesengroß und seine Kinnlade klappte herunter.
Kyla schlug noch einmal zu. Diesmal traf sie das Knie des Bärtigen und er schrie laut auf, bevor er umkippte. Der zweite Mann – um einiges jünger als seine Begleiter – starrte Kyla an, als würde er nicht glauben, was er gerade gesehen hatte. Doch er fing sich rasch wieder, zog ein Schwert und hieb nach Kyla. Sie konnte ausweichen, indem sie sich fallen ließ, wieder aufsprang und einen Haken schlagend in die andere Richtung davonlief – die Axt hielt sie dabei fest in der Hand. Doch sie kam nicht weit, denn hier schnitt der Anführer ihr den Weg ab. Siegessicher holte er mit dem Schwert aus. Abermals ließ Kyla sich zu Boden fallen, rollte sich von ihm fort und sprang im gleichen Moment auch schon wieder auf die Beine. Der Mann orientierte sich neu und hieb wieder nach ihr. Kyla wurde am Arm erwischt, doch es war zumindest nicht der, mit dem sie die Axt hielt, und der Schmerz war einigermaßen erträglich. Sie wandte sich um und sah, wie der jüngere Mann sich ihr näherte. Kyla starrte auf die glänzende Schneide, die er ihr an die Kehle halten wollte. Sie wusste nicht, ob sie eine Chance hatte, aber sie parierte seinen Angriff mit der Axt. Der Mann schien verwundert über ihre Kraft zu sein, denn er glotzte sie blöde an und änderte einen Hauch zu spät seine Taktik. Kyla nutzte sein kurzes Zögern und schlug noch einmal zu – das Schwert flog ihm aus der Hand. Er warf sich hinterher, um danach zu greifen. Als er sich hinabbeugte, schlug Kyla ihm die Axt in den Rücken. Sie dachte nicht einmal lange darüber nach. Alles, was sie wollte, war, dass diese Kerle sie und Olha endlich in Ruhe ließen. Der Mann fiel zu Boden und rührte sich nicht mehr. Die Schneide der Axt steckte in seinem Rücken fest, und Kyla wollte sie hinausziehen. Doch so viel Zeit blieb ihr nicht, denn im gleichen Augenblick stürzte der Anführer auf sie zu. Er wollte sie offenbar einfach mit der Masse seines Körpers umrennen. Kyla bückte sich und wusste, dass sie diesmal unmöglich schneller sein konnte, als ihr Gegner. Der Anführer prallte gegen sie und die Wucht schmetterte sie zu Boden. Einen Moment lang konnte Kyla ihm genau in die Augen sehen – die Mordlust verschlug ihr den Atem. Nun hob er sein Schwert zum tödlichen Schlag. Kyla wusste, dass sie die Axt nicht so schnell aus dem Körper des Toten würde ziehen können, um sich zu verteidigen, also griff sie stattdessen nach dem Schwert, das am Boden lag. Der Kopf des Angreifers war nun unmittelbar vor ihr; sie konnte seinen Atem in ihrem Gesicht spüren. Kyla reckte die Hand mit dem Schwert nach oben und schloss die Augen. Ein heftiger Ruck durchfuhr ihren Arm, dann wurde ihr ganzer Körper getroffen. Kyla riss die Augen auf und begriff, dass sie es geschafft hatte, ihrem Gegner die Schwertspitze von unten in den Leib zu stechen, bevor sie selbst von seinem schweren Körper niedergedrückt wurde. Sie sah nun alles wie durch einen Nebel und rang um Atem. Ihr Brustkorb schien seinem Gewicht nicht Stand halten zu können – nur mühsam gelang es ihr, nach Luft schnappen. Der Mann erhob sich jedoch und stand dann leicht taumelnd und offensichtlich orientierungslos neben ihr, während sie sich unter Schmerzenslauten ebenfalls erhob.
Sie hielt das Schwert fest umklammert, doch ihr Feind wollte nicht mehr kämpfen. Sein Mund war weit geöffnet und Blut quoll daraus hervor. Es tropfte ihm unablässig das Kinn hinab auf seine inzwischen rot gefärbte Brust. Kyla betrachtete ihn stumm. Dann fiel er erneut: Sein Körper gab einen dumpfen Laut von sich, als er auf den Boden prallte. Diesmal blieb der Mann leblos liegen. Kyla atmete schwer, doch langsam füllte sich ihr Brustkorb wieder wie gewohnt mit Atemluft. Sie erhob sich und spürte, wie wackelig ihre Knie waren. Ihr Körper schmerzte an vielen Stellen, doch sie konnte kaum glauben, dass sie nicht viel schlimmere Verletzungen davongetragen hatte. Ja, wenn sie ehrlich war, konnte sie nicht fassen, dass sie überhaupt noch lebte!
Dann sah sie eine Bewegung aus den Augenwinkeln. Der tot geglaubte, bärtige Mann kroch stöhnend über den Boden. Weit kam er nicht, denn bereits im nächsten Moment war Olha über ihm und schnitt ihm die Kehle mit einem Messer durch. Kyla fiel auf, dass ihre Kleidung bereits vor der Fontäne aus der Kehle des Mannes mit Blut besudelt gewesen war. Sie blickte umher und fand den jüngeren Angreifer mit der Axt im Rücken am Boden liegend. Auch er war vorsorglich von Olha mit einem Schnitt durch die Kehle zum sicheren Tode befördert worden. Nun ging sie zu dem Anführer, und obwohl Kyla sich sicher war, dass er nicht mehr lebte, schnitt Olha auch ihm tief in den Hals. Sie erhob sich und ließ das Messer sinken, dann sah sie zu Kyla.
Stolz war in ihrem Blick zu erkennen – stolz auf Kyla, wie diese erstaunt feststellte. Doch da war noch etwas anderes in Olhas Blick: deutlich sichtbare Angst. Ja, einen Moment lang war sie eindeutig erkennbar gewesen, dann verschwand der Ausdruck so schnell, wie er gekommen war. Olha wischte sich die blutigen Hände an ihrer Kleidung ab und sagte dann mit fester Stimme: »Wir müssen den Baumstamm in den Fluss werfen, über den sie hierher gelangten. Kyla, nutze ihn nicht, um zu entfliehen. Niemand sonst ist derzeit bereit, sein eigenes Leben zu riskieren, um dich zu schützen – außer Zygal und mir. Wir werden für dich kämpfen … Wobei ich zugeben muss, dass du uns vermutlich schon jetzt kaum noch brauchst. Dennoch musst du uns gehorchen, denn es gibt noch so vieles, das du lernen musst. Glaube mir – wir sind nicht deine Feinde.« Kyla verstand nichts von dem, was sie sagte. Sie wusste nicht, warum sie ihnen vertrauen sollte, denn immerhin hielten sie sie gefangen. Oder doch nicht? Kyla sah zu den Bäumen. Tatsächlich, über den tosenden Wassern lag einer von ihnen quer, den die Angreifer als Brücke benutzt hatten.
»Wer waren diese Männer? Warum haben sie nach mir gesucht?« Olha schüttelte den Kopf. »Es reicht, wenn du weißt, dass sie Feinde waren. Feinde des Reiches – und damit auch unsere Feinde. Sie werden nicht wiederkommen, dafür sorgen Zygal und ich. Wir waren zu nachlässig, sonst wäre es ihnen nie gelungen, einen Baum in der Nähe des Ufers zu fällen, ohne, dass wir es bemerkt hätten. Das wird nicht noch einmal geschehen. Ich verspreche es dir. Doch nun müssen wir zuallererst dafür sorgen, dass der Baumstamm nicht mehr als Zugang auf unser Land benutzt werden kann.«
Kyla begriff, dass es also wohl noch weitere