Himmelsfrost. Linda V. Kasten

Himmelsfrost - Linda V. Kasten


Скачать книгу
haben? Wieso… ich verstehe nicht?«

      Cora ließ sich schwerfällig auf einen der Holzstühle sinken. »Das ist… Der Punkt ist, dass ich sie hätte heilen können, Sky. Und ich habe es versucht. Wenn es eine Lungenentzündung gewesen wäre, hätte ich sie heilen können. Ich habe es wirklich versucht, aber es war, als würde etwas gegen meine Macht arbeiten. Es tut mir so unendlich leid.«

      Ich konnte nicht antworten, sondern starrte sie nur an. Ein Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet.

      Cora fuhr sich hilflos durch ihr Haar. Im Schein der untergehenden Sonne leuchtete es in einem sanften Karamell. Nur selten hatte ich sie so aufgewühlt gesehen. Normalerweise war sie eine fröhliche junge Frau. Doch in diesem Moment sah sie aus, als wäre sie um Jahre gealtert.

      »Das war nicht die Art und Weise, wie ich es dir sagen wollte.«, begann sie.

      »Ach, das heißt, du hattest noch vor mir zu erzählen, dass du eine Wächterin bist?«, meine Verwirrung verwandelte sich in Wut.

      »Skyler…«, hob Cora an.

      »Lass es! Ich muss an die frische Luft, ich kann das jetzt nicht!«, ich stürmte an Tom vorbei aus der Küche.

      Bis ich die Scheune umrundet hatte und mit dem Rücken an die Holzwand gelehnt auf den Boden sank, konnte ich keinen klaren Gedanken fassen.

      Wieso sollte Cora mir verschwiegen haben, dass sie eine Wächterin war?

      »Sky?«, Cora ließ sich neben mir im feuchten Gras nieder.

      Ich wich ihrem Blick aus und starrte in die Ferne.

      »Bitte… es… es tut mir leid. Ich…«, ihre Stimme brach. »Ich habe alles getan, was ich konnte, um Soey zu retten.«

      Langsam sah ich sie an. »Das weiß ich, Cora. Ich versteh nur nicht, wieso du mir nicht die Wahrheit gesagt hast.«

      Cora wandte den Blick ab. »Das ist eine lange Geschichte.«

      In ihren Augen glitzerte der Geist der Vergangenheit und für einen kurzen Moment konnte ich all die versteckte Trauer und Verzweiflung darin erkennen.

      Vorsichtig erhob sie sich und hielt mir ihre ausgestreckte Hand hin. »Komm, es ist lange überfällig, dass ich dir etwas zeige.«

       3

      »Was ist das?«, fragte ich und berührte vorsichtig die kleine, verzierte Schatulle, die zwischen mir und Cora auf dem Boden stand.

      Wir saßen auf dem Dachboden unseres kleinen Hauses. Cora hatte unter ein paar losen Dielen eine alte Schatulle hervorgeholt, die nun unheilvoll zwischen uns stand.

      »Deine Eltern wollten, dass ich sie dir gebe, wenn du bereit dafür bist. Ich wollte noch ein paar Jahre warten, doch jetzt scheint mir der beste Zeitpunkt gekommen zu sein. Tom hat recht, du verdienst es die Wahrheit zu erfahren und es tut mir leid, dass ich… dass wir dich solange belogen haben. Wir wollten einfach, dass du sicher bist. Und nach dem Tod deiner Eltern… ich dachte, es sei endlich vorbei, aber jetzt da Soey und…«, ihre Stimme überschlug sich und ich nahm ihre Hand in meine. »Cora.«, meine Wut war verraucht und zurückblieb ein dumpfes Gefühl der Sorge. Noch nie hatte ich Cora so aufgewühlt erlebt. Ihre Hände zitterten und da war etwas in ihrem Blick, was ich seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte: Angst.

      »Was bereitet dir solche Sorgen, Cora?«

      Sie umklammerte meine Hand. »Ich liebe dich Skyler, das weißt du, oder?«

      Überrascht blickte ich in ihre Augen. »Natürlich weiß ich das! Sag mir bitte, was los ist. Was macht dir solche Angst?«

      Cora holte tief Luft. »Ich glaube, dass die, die deine Eltern getötet haben, jetzt hinter dir her sind.«

      »Aber wir wissen doch gar nicht, ob sie wirklich ermordet wurden.«

      Die Erwähnung des Todes meiner Eltern versetzte mir einen Stich.

      Cora blickte auf die Kiste zwischen uns.

      »Doch.«, flüsterte sie. »Doch Skyler, das wissen wir.«

      Sie schob mir die kleine Schatulle entgegen.

      »Meine Schwester hatte jemanden zum Feind, der so etwas wie Gnade nicht kennt.«

      Mit zitternden Händen nahm ich sie entgegen. Der Deckel war mit Symbolen verziert, welche mir entfernt bekannt vorkamen. Langsam glitten meine Finger zu dem Verschluss. Als ich aufschaute, nickte mir Cora zu.

      Ich zögerte. All die Jahre wollte ich wissen, was meinen Eltern zugestoßen war, doch plötzlich überkamen mich Zweifel. Meine Eltern waren für mich die zwei wichtigsten Menschen auf der Welt gewesen. Meine Vorbilder. Niemals würde jemand an sie heranreichen. Was war, wenn das, was sich in dieser Schatulle befand, dieses Bild von ihnen zerstören würde?

      Doch nichts war schlimmer, als mit einer Lüge zu leben. Und ich wollte die Wahrheit wissen. Ich wollte wissen, wofür sie gestorben waren, wer sie ermordet hatte.

      Ein dunkler Teil meiner Seele wollte nie glauben, dass sie in einen Sturm geraten waren, denn wie sollte man an einem Sturm Rache nehmen?

      Ich würde es zwar niemals zugeben, doch all die Jahre hatte ich nicht nur trainiert, um eine Kriegerin zu werden. Ich wollte ihren Tod rächen. Denjenigen leiden lassen, der ihnen das angetan hatte. Der mir das angetan hatte.

      Ich holte tief Luft und öffnete die Schatulle.

      Ein Brief und ein silbernes Schmuckstück lagen darin.

      Vorsichtig nahm ich es an mich. Es war die Kette, die meine Mutter immer bei sich getragen hatte. Außer an dem Tag, als sie und mein Vater nach Emyria aufgebrochen waren.

      Vorsichtig strich ich über den Anhänger in Form einer Pfeilspitze.

      »Sie hat ihn selbst gemacht.«

      Ich blickte auf zu Cora.

      »Sie war so stolz…«, ihre Stimme brach und sie wischte sich eine Träne von der Wange. »Sie ist aus Mondsilber gefertigt. Das härteste Material in ganz Elianya.«

      »Und das Magischste.«, fügte ich hinzu.

      »Ja.«, Cora schenkte mir ein kleines Lächeln. »Dein Vater hat ihn immer ihren kleinen Schutzengel genannt.«

      Und er hatte sie all die Jahre beschützt, bis sie ihn ablegte, dachte ich verbittert.

      »Komm her.«, Cora nahm mir die Kette aus der Hand und legte sie mir um den Hals.

      »Danke.« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern und ich blickte auf die Pfeilspitze, die so lange den Hals meiner Mutter geziert hatte.

      Ich schloss für einen Moment die Augen, dann nahm ich den Brief aus der Schatulle.

       Mein kleiner Vogel,

       wenn Du meinen Brief liest, heißt das, dass Cora es für den richtigen Moment hielt, dir die Wahrheit über uns zu sagen.

       Es tut mir so unendlich leid, dich belogen zu haben, aber glaub mir Skyler, es gab keinen anderen Ausweg. Vielleicht gab es einen, doch wir hielten diesen Weg für den Richtigen.

       Du bist etwas ganz besonders, Sky, und das nicht nur, weil Du schlau und stark und wunderschön bist.

       Du bist eine Wächterin. Nicht nur irgendeine: Du bist Skyler Liviana Eltarsia, meine wundervolle Tochter, die zukünftige Königin des Eises und wenn es stimmt, was die Prophezeiungen sagen, die Trägerin des Schicksals der Welten.

      Seit dem Tod deiner Ur-Großmutter Liviana Eltarsia gab es keine richtig ausgebildete Königin des Eises mehr. Nach Ihr war meine Mutter an der Reihe Königin zu werden, doch Sie starb sehr früh. Da ich fliehen musste, als ich erfuhr, dass ich mit dir schwanger war, gab es seitdem


Скачать книгу