Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen. Julie Bloom
Alters, der Kellnerin Julie zwischen die Beine fasste und gerade versuchte, sie an sich zu ziehen. Neben ihm saß ein weiterer Mann, der aber vermutlich aufgrund seines zu hohen Alkoholspiegels nichts mehr mitbekam, und offenbar unter seinem Hut schlummerte.
Marc konnte nicht mehr klar denken, und handelte impulsiv.
„Ich bitte um Verzeihung. Die junge Dame war bereits mir versprochen. Kommst du, Julie? Aber schnell jetzt.“
Der betrunkene, brutale Mann war zu verdutzt, um reagieren zu können, und Julie konnte sich seinem Griff problemlos entwinden. Schweigend folgte sie Marc aus der düsteren Ecke, hinaus in den vollen Betrieb. Warum Marc das gesagt hatte, wusste er nicht, es schien ihm die einzige Lösung für Julies Problem zu sein. Für Gewalt und Schlägereien hatte er noch nie etwas übriggehabt, weshalb diese Option der körperlichen Verteidigung der jungen Dirne, schon einmal weggefallen war.
Er wandte sich ihr nun zu.
„Es tut mir leid, was ich da gesagt habe, und dass es so schroff geklungen hat. Ich wollte Sie einfach nur von dort wegschaffen und Ihnen helfen. Geht es Ihnen auch gut?“
Julie blickte Marc beinahe erschrocken, und mit erstaunten, großen blauen Augen an. Sie hatte wunderschöne Augen, blaugrau, wie ein trüber Himmel. Aber sie wirkten traurig und bedrückt. Ja, beinahe hoffnungslos.
Julie sah ihren Retter nun an. War er überhaupt ihr Retter? Oder war er nur ein weiterer Wüstling, der versuchen würde ihre Hilflosigkeit auszunutzen, und ihr am Ende wehtun würde.
Doch nun blickte sie in seine treuherzigen, bräunlichgrünen Augen. Welche Farbe war das? Olivgrün? Nein, grün mit Hellbraun? Sie hatte solche Augen noch nie zuvor gesehen. Doch, sie erinnerten Julie beinahe an die Augen des Hundes aus ihrer frühen Kindheit. Himmel, hatte sie diesen Hund geliebt. Julies Herz erwärmte sich für einen Moment. Doch jetzt war sie hier, in diesem Bordell, und wurde täglich von den widerwärtigsten Männern belästigt. Der freudige Funken verschwand wieder. Hatte sie der Fremde etwas gefragt? Julie blickte ihn nun erneut fragend und ratlos an.
„Ist alles in Ordnung?“, fragte er noch einmal.
„Äh, ja, danke, es ist alles in Ordnung“, antwortete sie knapp und unsicher.
Der Fremde wirkte nun ebenfalls etwas unsicher und trat von einem Bein auf das andere. Wenn Julie etwas gut konnte, dann war es, die Körpersprache von anderen Menschen richtig zu deuten. Doch diese Tugend spielte hier keine Rolle. In diesem Etablissement ging es schließlich nur darum, sich zu verstellen und dem anderen etwas vorzuspielen. Wie grässlich das alles hier war. Aber was blieb ihr anderes übrig? Aufgrund ihrer Entstellung und Herkunft konnte sie keiner anderen Tätigkeit nachgehen. Außerdem hatte sie nichts anderes gelernt und würde niemals irgendwo als Dienstmädchen oder Gesellschafterin angestellt werden. Sie kam aus miserablen Verhältnissen, hatte nichts vorzuweisen, und konnte nur hoffen, dass ihr Leben halbwegs schnell und ohne weitere tragische Vorfälle vorüber gehen würde.
Der Fremde fragte nun: „Darf ich Sie vielleicht auf ein Getränk einladen?“
Julie war stutzig. Das war sie bereits schon öfters gefragt worden. Und bevor sie den ersten Schluck hatte machen können, waren die Männer beinahe jedes Mal sofort über sie hergefallen und hatten sie in die Räumlichkeiten für die Ausführung des scheußlichen Aktes mitgezerrt. Julie wurde übel bei dem Gedanken daran. Stets hatte sie dabei die Augen geschlossen gehalten und es über sich ergehen lassen. Sie hatte jedes Mal gehofft, dass es so schnell wie möglich vorbei wäre. Irgendwann hatten die Männer begonnen, sich beim Bordellbesitzer darüber zu beschweren, wie teilnahmslos und uninteressant sie wäre. Daraufhin hatte der Boss sie zu einem ernsten Gespräch gebeten und ihr verkündet, dass sie sich anstrengen müsse, sonst würde sie rausfliegen. Julie war so verzweifelt gewesen, dass sie bitterlich zu weinen begonnen hatte, denn sie hatte nichts und niemanden auf der Welt. Sie hätte nicht gewusst, wo sie sonst hingegangen wäre. Der Bordellbesitzer, Gil, hatte offenbar in seiner massiven, behaarten Brust doch irgendwo ein weiches Herz, und hatte Julie vorgeschlagen, ob sie von nun an nur mehr noch als Kellnerin für ihn arbeiten würde. Julie hatte sein Angebot dankend angenommen, allerdings verdiente sie seitdem weitaus weniger Geld. Das war ihr jedoch egal, sie hatte keine großen Ansprüche. Sie wohnte ohnehin in ihrem Prostituierten-Quartier direkt über dem Bordell, so wie die meisten anderen Mädchen hier, und brauchte deshalb nicht viel zum Überleben. Wo sollte sie in ihrer Freizeit außerdem schon hingehen? Bei Tageslicht würde sie kein Mensch da draußen sehen wollen.
„Also wollen Sie?“, fragte der schöne, blonde Fremde erneut.
Sie hatte wohl soeben sehr lange ihren Gedanken nachgehangen und ihn einfach ignoriert. Irgendwie war ihr das nun peinlich und sie willigte ein.
Gemeinsam gingen sie hinüber zum Schanktresen und der schöne Mann rückte ihr sogar den Hocker zurecht, und nahm dann neben ihr Platz. Sie hatte ihn noch gar nicht richtig begutachtet, weil sie so mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt gewesen war. Vielleicht lag das daran, dass sie nie jemanden zum Reden hatte. Seit so vielen Jahren trug sie nun schon ihre Gefühle und Gedanken stumm mit sich herum. Wenn sie einmal versucht hatte, mit den anderen Mädchen über die Dinge zu sprechen, die sie bewegten, wurde sie meist damit unterbrochen, nicht jammern zu dürfen, denn es könnte ja alles noch viel schlimmer sein. Oder sie wurde als Träumerin abgetan.
Jedenfalls betrachtete sie nun den wirklich gut aussehenden Mann aufmerksam.
„Was möchten Sie trinken?“, fragte er sie.
„Limonade, bitte“, antwortete Julie.
Während er bestellte, betrachtete sie ihn von der Seite. Er hatte etwas längeres, aber gut frisiertes blondes Haar. Man könnte sagen, es hatte einen ganz dezenten Rotstich. Seine Augen kannte sie ja bereits. Irgendwie waren bei ihm alle Farben erstaunlich schwer zu benennen. Es waren ganz spezielle Nuancen, die sie so noch nie zuvor gesehen hatte. Zumindest konnte sie sich nicht daran erinnern. Er war groß, auf jeden Fall um einiges größer als sie selbst, und offenbar gut gebaut. Unter seinem Jackett zeichneten sich attraktive Oberarmmuskeln ab, und sein Bauch war flach. Er hatte ein vorteilhaftes, markantes Kinn und eine schöne gerade Nase. Ja, er sah einfach umwerfend gut aus. Anders konnte man es nicht beschreiben. Und offenbar war er auch nett. Hoffentlich. So sicher konnte Julie sich nie sein. Zu oft war sie schon nach kurzer Zeit von ihrem ersten guten Eindruck enttäuscht worden. Oft hatten sich zunächst freundlich wirkende, junge Männer, als perverse und abartige Liebhaber herausgestellt. Deshalb hatte Julie irgendwann komplett zugemacht, und es nur mehr noch über sich ergehen lassen können.
Der schöne Fremde wandte sich ihr nun wieder zu.
„Also, geht es Ihnen auch gut? Wieso wird hier zugelassen, dass man so mit Ihnen spricht? Gibt es hier keinen Chef, oder jemanden, bei dem man sich beschweren könnte?“
„Bloß nicht“, fiel ihm die junge Dame beinahe ins Wort.
Innerlich nannte er sie Dame, denn alle anderen Begriffe, die ihrer Berufsbezeichnung wohl eher würdig wären, schienen Marc fehl am Platz.
„Tun Sie das bitte nicht“, flehte sie ihn nun an.
Und da war wieder dieser unendlich traurige Ausdruck in ihren schönen, blaugrauen Augen. Die verschleiert waren wie im Nebel. Wie konnte er diese Augenfarbe beschreiben? Solche Augen hatte er noch nie zuvor gesehen. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern.
„Ich stehe bei meinem Boss ohnehin schon auf der Abschussliste. Und wenn er davon erfährt, war es das vielleicht für mich. Dann stehe ich ganz ohne Arbeit da und …“, sie unterbrach sich selbst.
Marc spürte ihre Not und beschloss, das Thema fallen zu lassen. Sollte er sie stattdessen vielleicht lieber auf den Vorfall mit den zerbrochenen Gläsern und der schroffen Kellnerin von vorhin ansprechen?
Da kam ein dicker, sehr stark behaarter, aber nicht allzu großer Mann hinter der Theke an sie heran. War das etwa ihr Boss? Hatte sie bereits irgendetwas falsch gemacht?
„Nicht herumsitzen, Julie. Erhebe dich und arbeite für dein Geld. Es sitzen hier überall durstige Männer, die darauf warten, bedient zu werden“, sagte