Die große Liebe für ein gefallenes Mädchen. Julie Bloom
haben Sie denn dann gemeint, Mr. Skilliard?“, fragte sie immer noch schmunzelnd und seltsam gespielt.
Marc war verwirrt. Es war, als hätte sie eine Verwandlung vollzogen, mit dem Betreten dieses Raumes.
„Ich weiß es nicht genau“, gestand Marc nun. „Vielleicht reden, oder spazieren gehen? Ich gebe zu, ich hatte nicht wirklich darüber nachgedacht, bevor ich diese unbedachte Frage gestellt hatte. Und dafür möchte ich mich entschuldigen. Sie sind natürlich vollkommen frei, selbst zu entscheiden, was sie mit der verbleibenden Zeit anfangen wollen. Ich hatte Ihnen zuvor nur helfen, und mich noch weiter mit Ihnen unterhalten wollen. Das ist alles.“
Um die Unschuld seiner Gedanken zu demonstrieren, hob Marc nun entwaffnend die Hände.
Julie blickte ihn etwas skeptisch, aber auch recht erstaunt an. Diese Information war offenbar ziemlich neu und unerwartet für sie. Plötzlich verschwand die gespielte Art, und, die Julie, aus dem Schankraum kehrte zurück. Sie ließ wieder etwas die Schultern hängen, ihr Blick bekam erneut diesen vergangenen Ausdruck und sie ging zurück zu dem rot bedeckten Bett, und setzte sich, etwas erschöpft wirkend. Dann lachte sie.
„Mr. Skilliard, was ich mit meiner Zeit anfangen will? Das ist eine gute Frage. Es gibt leider nicht viel, was ich tun könnte. Gil würde mir niemals erlauben, um diese Uhrzeit das Bordell zu verlassen. Ich muss also hierbleiben und arbeiten, ob ich will oder nicht.“
Julie seufzte. Marc stand einfach nur da und hörte ihr weiter zu.
„Aber was machen Sie eigentlich hier? Offenbar sind Sie ja nicht an einer schnellen Nummer interessiert“, fragte sie Marc nun ehrlich verwundert.
Marc erzählte ihr von dem Geschäftstreffen, und dass er es lieber anderswo abgehalten hätte. Er berichtete ihr von Mr. Kellington, der allen Verhandlungsteilnehmern eine Prostituierte spendieren wollte. Und dass er dann sie, Julie, und die äußerst schroffe und unverschämte Kellnerin beobachtet hatte. Er gestand ihr, dass er Julie danach aufsuchen wollte, um ihr beizustehen und sich zu versichern, dass es ihr gut ginge. Dann war dieser Zwischenfall mit dem angetrunkenen und aufdringlichen Widerling passiert.
Julie hörte ihm sehr aufmerksam zu. Das konnte sie offenbar gut, einfach nur zuhören. Das gefiel Marc und verschaffte ihm ein vertrautes, wohliges Gefühl.
Als er nun fertig war, lächelte Julie sogar ein wenig.
„Dann muss ich mich wohl bei Ihnen bedanken, dass Sie mich heute gleich zweimal retten wollten“, brachte sie freundlich hervor.
Sie stützte ihre Hände neben sich auf dem Bett ab. Offenbar war sie tatsächlich ziemlich erschöpft.
„Wollen Sie sich vielleicht ein wenig hinlegen und ausruhen, in der restlichen Zeit, die noch bleibt? Ich könnte mich inzwischen hier in den Sessel setzten und Wache halten“, schlug Marc ernst gemeint vor.
Er wollte irgendwie, dass es dieser jungen Frau gut ging. Ihr Schicksal, ihr Wohlbefinden, lagen ihm unerklärlich am Herzen. Vielleicht war er einfach nur ein guter Mensch? Das musste es sein. Dennoch wollte er sie am liebsten beschützen und die gesamte Nacht hier drinnen in Sicherheit wissen.
Julie lächelte nun erneut und legte sich, zu Marcs Überraschung, tatsächlich auf ihre Seite nieder.
Julie war Marc, dem Fremden, sehr dankbar. Er schien tatsächlich alles ernst zu meinen, was er sagte. Zumindest verrieten ihr das seine treuherzigen und wundervollen Augen. Sie wollte darin versinken, darin baden.
War er vielleicht ein Engel, der ihr in ihrer Not erschienen war? In dem Separee für Geschäftsleute hatte sie ihn zuvor gar nicht wahrgenommen. Es wäre also gut möglich, dass diese Geschichte gar nicht der Wahrheit entsprach, und er direkt in der düsteren Ecke zuvor, als dieses widerwärtige, schreckliche Ekel sie so dreist belästigt hatte, vom Himmel gestiegen war. Aussehen tat er jedenfalls wie ein Engel. Dieses schöne gelockte, blonde Haar. Seine unglaublich gütigen Augen. Doch, dass er Ale trank, sprach eher gegen diese Theorie. Würde ein Engel Ale trinken? Und war sie, Julie, nun komplett verrückt geworden, solchen Unsinn zu denken? Vielleicht war es, weil er somit der erste Mann in ihrem Leben wäre, der es offenbar gut mit ihr meinte, und sie nicht nur benutzen wollte. War das möglich?
„Julie, darf ich Sie noch etwas fragen?“
„Ja, das dürfen Sie“, antwortete Julie.
Sie lag so auf ihrer Seite, dass sie zu Marc, der nun einige Fuß entfernt in dem roten Sessel saß, hinüberblicken konnte. Er wollte bestimmt nicht wissen, was in und mit diesem Sessel schon alles geschehen war.
„Wie kommt es, dass Sie hier in diesem Bordell arbeiten?“, fragte er.
Julie überlegte einen Augenblick.
„Ich hatte keine andere Wahl. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Auf der Straße leben, oder hier bei Gil aufgenommen zu werden. Eine Unterkunft und Verpflegung zu bekommen und für einen Hungerlohn zu schuften“, gestand sie.
Über ihre Offenheit war Julie nun selbst verwundert.
Marc konnte es kaum glauben, was er da hörte. Warum sollte diese hübsche, junge Frau keine andere Wahl gehabt haben, als in diesem Bordell zu arbeiten oder auf der Straße zu landen? Der Gedanke daran tat ihm beinahe weh.
„Verraten Sie mir, wie lange sie für diesen Gil schon tätig sind?“, fragte er vorsichtig.
„Zehn Jahre.“
„Um Himmels willen, wie alt sind Sie denn?“, rutschte es Marc unbedacht heraus.
Irgendwie brachte sie ihn ständig dazu, unüberlegte Fragen zu stellen. Das passierte ihm sonst nie, da er rhetorisch gut geschult war.
Julie lächelte aber amüsiert und gestand dann ihr Alter.
„Achtundzwanzig, ich bin vor wenigen Wochen achtundzwanzig Jahre alt geworden.“
Marc überlegte einen Augenblick, ob er ihr dazu noch gratulieren sollte, ließ es dann aber bleiben.
„Das heißt, Sie haben bereits mit achtzehn Jahren begonnen, hier zu arbeiten ...“, um die Frage beenden zu können, musste Marc seinen Mut zusammennehmen. Er atmete einmal tief ein, und fuhr dann fort. „... als Kellnerin?“
Julie zögerte nun und stutzte.
Marc ärgerte sich sofort über seine Indiskretion und fügte schnell hinzu: „Es tut mir leid, das geht mich natürlich nichts an. Ich bitte Sie vielmals um Entschuldigung, für meine unpassende Neugierde.“
Julie konnte sich nicht daran erinnern, schon jemals mit einem derart gesitteten, und höflichen Mann, der solch tadellose Marinieren an den Tag legte, verkehrt zu haben. Er erstaunte sie stets aufs Neue. Nun war sie sich seiner Aufrichtigkeit sicher. Julie setzte sich träge auf und stützte sich mit ihren Armen erneut auf dem Bett ab. Müde blickte sie zu Marc hinüber, dem blonden Engel. Doch nun wirkte er wie ein echter Mensch, ein richtiger Mann. Und er sah sehr attraktiv aus. Zum ersten Mal in ihrem Dasein verspürte sie in diesem Raum Lust auf körperliche Intimität mit jemandem. Nämlich mit ihm, dem schönen und wohlerzogenen Marc Skilliard. Wo er wohl herkam und aufgewachsen war? Sie würde ihn später danach fragen. Nun wollte sie ihm den Gefallen tun, und seine direkte Frage ehrlich beantworten.
„Um ehrlich zu sein, nein. Zunächst habe ich hier nicht nur als Kellnerin gearbeitet. Genau genommen arbeitet hier niemand nur als Kellnerin. Bei mir hat Gil vor einiger Zeit aber eine Ausnahme gemacht, weil ich mit dem … Weil ich damit einfach nicht zurechtgekommen bin. Ich kann das nicht mehr … ich meine …“
Unwillkürlich kullerte Julie eine Träne über die Wange. Mist, das wollte sie überhaupt nicht. Sie wollte nicht das arme Mädchen sein, dass aus Verzweiflung zu weinen begann. Noch dazu gegenüber einem derart attraktiven Mann. Aber irgendwie konnte sie sich nun nicht mehr zurückhalten und es folgten weitere Tränen. Hastig und etwas verärgert wischte Julie sie rasch aus ihrem Gesicht. Es tat einfach so gut, dass ihr jemand zuhörte, dass er ihr zuhörte, ohne sie sofort zu unterbrechen und dagegen zu reden. Auch jetzt blieb er einfach dort in seinem Sessel