INGRATUS - Das Unerwünschte in uns. Tabea Thomson

INGRATUS - Das Unerwünschte in uns - Tabea Thomson


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Kurz nach seinem Dienstantritt meldete sich der Student Luckas Gallen: »Sophie wird gerade zu uns gebracht.«

      Lennard nahm sie da erstmalig persönlich in Empfang. Die Verfassung, mit der sie eingeliefert wurde, konnte erbärmlicher nicht sein. Sie war nicht mal imstande, dem Bruder zusagen, wo es ihr genau wehtut. Ihm blieb auf die Schnelle nichts weiter übrig, als ihr mit einem neuralen Nackengriff den Schmerz zu blockieren. Vorsorglich verabreichte er ihr ein Betäubungsmittel, und im Anschluss wollte er Sophie vom Computer scannen lassen. Wie gewohnt verweigerte die Technik ihren Dienst. Lennard seinerseits wiederholte mehrmals seine Forderung. Während er mit dem nutzlosen Ding kommunizierte, gab Luckas mehrmals mit Handzeichen zu verstehen, das er etwas sagen will. Sein Ausbilder ließ sich nicht stören. Erst als nichts mit dem Scanner geschah, schenkte er den Studiosus die geforderte Aufmerksamkeit.

      Der Studiosus blickte beschämt zum Fußboden. »Sire, ich habe einen Fehler gemacht ...«, gestand er kleinlaut.

      Ein breites Grinsen lag quer über Lennards Gesicht. Er nahm an, weil diesem Musterknaben von Heiler Studenten nie ein Fehler passiert, dass dieser scherzt.

      Ohne auf den unausgesprochenen Spot einzugehen, vollendete Luckas den Satz: »... ich setzte ein Shuttle unter strenge Quarantäne.«

      Lennards Mimik erstarb auf der Stelle: »Welches?«

      Bevor Luckas antwortete, schaute er seinen Maccister treuselig an. »Mit dem die neue Heiler-Software ankam.«

      Ein kraftvoller Atemzug erstürmte Lennards Rachen, dem folgte ein herauskatapultiertes »Latuu!«, es verließ so kräftig seine Kehle, das selbst seine Schwester im künstlichen Schlaf erschrocken zusammenzuckte und Luckas, er wollte im selben Moment sein Missgeschick entschuldigen, brachte nur ein wirres Wortgestammel hervor.

      Lennard ignorierte es. »Was ist mit der neuen Software?«

      Software löste sofort die Stimmenlähmung in Luckas: »Die Techniker kommen nicht an mein versiegeltes heran.«

      Lennard kamen diese Worte wie abgelesen vor. Den Unwillen darüber drückten die auf den Hüften abgestützten Fäuste aus und dazu schrie er entrüstet: »Das ist ein Scherz?«

      Luckas blickte flüchtig zu Sophie, dabei flüsterte er: »Leider nein.«

      Wild gestikulierend holte Lennard Anlauf sich noch mehr verbal Luft zu verschaffen, sein Studiosus kam ihm jedoch zuvor: »Ich fand heraus, dass die Koliken als Geburtskontraktionen angezeigt werden. Und wir können sie genau wie Wehenschmerzen blockieren.«

      »Das geht?«, erwiderte Lennard mit skeptischem Blick.

      »Korrekt. Ich machte es bei Sophie bereits mehrfach mit Erfolg.« Zu seinen Worten öffnete er ihre Datei mit den dazugehörigen Biodaten.

      Das Angezeigte besänftigte Lennards Gemüt, jedoch es verminderte nicht im geringsten das Misstrauen gegenüber dem Studenten. Im Gegenteil, dass was dieser dann forderte, verstärkte die Empfindung noch mehr.

      »Wenden Sie es unverzüglich an.«

      Verdattert blickend konterte Lennard: »Und du begibst dich zu den Technikern. Komme ja nicht ohne gute Nachricht zurück.«

      »Aye Sire.«

      *

      Hals über Kopf lief Luckas zur Tür hinaus, und Lennard rollte die Schwester auf die Seite. Weil er es zu grob anging, fuhr Sophie erschrocken hoch. Der Schmerz lag auf den Lippen. Kläglich wimmernd kam sie seiner Bitte nach, die Seitenlage einzunehmen. Er raffte ihr das Shirt am Rücken hoch und im nächsten Moment rasten seine Finger auf die neuralen Punkte der Wehenschmerz Blockade zu. Just in dem Moment, wo er die Finger auf Sophies Rücken aufsetzen wollte, spürte er einen Widerstand. Noch bevor er begriff, was es ist, wurden seine Hände von einer unsichtbaren Kraft weggestoßen. Zischende Atemluft drückte Lennards Fassungslosigkeit aus. Er ignorierte die Gefahr und unternahm umgehend den nächsten Versuch. Abermals wurde er daran gehindert.

      »Ich habe nichts gemacht«, flüsterte Sophie angsterfüllt.

      Ihre Worte machten ihn stutzig. Dessen ungeachtet führte er seine Hände zu den vorherigen Ausgangspunkten. Seine unruhigen Finger allerdings sagten – ich ahne Schlimmes. Um dafür gewappnet zu sein, und damit die Schwester im Notfall handeln konnte, setzte er zunächst die bewährte Blockade am Nacken.

      Als es Sophie besser ging, entschuldigte sie sich für das Geschehene. Als Zeichen der Annahme strich ihr Lennard mitfühlend übers Haar. »Schon gut. Ich fühlte, bevor es mich traf, ebenfalls nichts.« Seinen ernsten Gesichtsausdruck sah sie zum Glück nicht.

      Ob seine düstere Vermutung wirklich begründet ist, testete er umgehend mit einem Blitzangriff. Bei diesem fasste er Sophie derb an die Schulter. Sie zuckte erschrocken zusammen, mehr geschah nicht. Davon ermutigt bat er: »Darf ich deinen Rücken abtasten.«

      Sophie stimmte ohne Zögern zu, dann drehte sie sich auf den Bauch. Sofort näherten sich seine Hände vorsichtig ihren oberen Rücken. Lennard verspürte keinerlei Barriere, dennoch blieb er wachsam. Millimeter um Millimeter bewegte er die Hände weiter abwärts. Einen fingerbreit vorm Auflegen hielt er inne. Nichts geschah. Nicht mal ein Kribbeln verspürte er. Dessen ungeachtet wagten sie nicht, sich zu bewegen. Für Sekunden waren nur ihre angespannten Atemzüge zuhören.

      »Nun denn! Ich lege die Hände auf«, flüsterte Lennard.

      »Ja«, raunte sie.

      Wie in Zeitlupe überwand Lennard die restliche Distanz. Knapp über der Haut, er spürte bereits ihre Körperwärme, knisterte es. So wie er das vernahm, wurde er von einer unsichtbaren Kraft vom Bett weggeschleudert. Sein unaufhaltsamer Flug katapultierte ihn ungebremst an die hintere Wand. Schmerzerfüllt ächzend rumpelte er zusammengeknautscht, rücklings an der Wand hinab. So wie er Fußboden Kontakt hatte, blieb er regungslos liegen. Bloß gut das die Zellen I P S, das in der verzerrten Luftspirale davon preschende Geschoss als einen humanoiden erkannten und bereits vor Lennards aufschlagen stummen Alarm auslösten. Gleichlaufend veranlassten diese, dass ein Trägerstahl den humanoiden abfängt, doch bevor jener auf das Geschoss fixiert war, schlug es an der hintersten Wand ein. Die davon ausgehende Erschütterung sowie die I P S Daten lösten einen Notfallalarm aus, der wiederum aktivierte einen realen Scanner der Heiler und informierte den Bereitschaftsdienst.

      Luckas informierte man zuerst, er stand, bis es in der Belegzelle polterte vor der Tür, es wurde so mit Sophie abgesprochen. Sein ankommender Blick schwenkte, von dem am Boden liegenden Lennard zum Biobett. Sophie kauerte zitternd auf dem Kopfkissen, ihr verstörter Blick war auf den Bruder gerichtet. Sie hatte, wie Luckas im vorübereilen sah, keine äußeren Verletzungen, jedoch mental fühlte er, ihr saß der Schreck im Nacken. Binnen weniger Sekunden begriff auch Sophies gelähmter Geist, was mit dem Bruder geschah. Reflexhaft sprang sie vom Bett und stolperte ihm entgegen. Jedoch auf halber Höhe schlug der Kolik Anfall wieder gnadenlos zu. Schmerzerfüllt aufschreiend stützte sie sich an der Labortür ab.

      Der Student schaute kurz auf, er war inzwischen damit beschäftigt Lennard "auseinanderzufalten", »Hältst du es aus«, fragte er Sophie.

      Unter größter Anstrengung presste sie hervor: »... Hilf ihn ...« Der Rest ihrer dünnen Worte ging in der sehr lauten Citraa Mitteilung unter: ›... Innere Verletzungen, rechtsseitig Schlüsselbeinbruch, schwere Gehirnerschütterung ...‹

      Während die Citraa sprach, veranlasste Luckas, dass sein Ausbilder in eine Notfall Staze Abteilung der echten Krankenstation portiert wurde, und noch bevor der letzte Portierstrahl verschwunden war, wandte sich Luckas seiner Schutzbefohlenen zu. Im nächsten Augenblick verschmolzen ihre Blicke. Zeitgleich fixierte er auf Sophies Rücken einige neurologische Punkte.

      Sofort war sie schmerzfrei. Dicht an ihm geschmiegt atmete sie erleichtert auf, und wie gehabt spendete er so, etwas Lebenskraft. Die Nähe tat ihr gut, sie entspannte und er löste den hypnotisierenden Blick von ihr. Für etliche Herzschläge hielten sie sich noch fest umschlungen. Die Lippen besiegelten mit zaghaften – schüchternen – Küssen die unnahbare Distanz der Gefühle. Dennoch genoss sie die flüchtigen Berührungen.

      »Nimmersatt«,


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