Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60. Jürgen Ruszkowski

Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60 - Jürgen Ruszkowski


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viele Jahre später erzählt und sagte dann: „Eigentlich konnte mir ja nichts besseres passieren, als meinen Spitzel zu kennen.“ Trotzdem musste er regelmäßig beim sowjetischen Militärkommandanten erscheinen, um über seine Arbeit zu berichten. Am liebsten wollte der ihm alle Veranstaltungen verbieten, die nicht gottesdienstliche Formen hatten. Mein Mann konnte dann an die Nazizeit erinnern und noch Gestapovorladungen aus der Zeit der Bekennenden Kirche in Rostock vorzeigen und ihn damit verunsichern. Wenn er nicht zu diesen „Vorladungen“ einen Lutherrock angezogen hätte, um auf diese Weise an einen Popen zu erinnern, wäre er wohl als Mann der Kirche gar nicht ernst genommen worden. Trotzdem machte er völlig gelassen und fröhlich weiter: „Wirken, solange noch Zeit ist.“

      Zunächst war der Schwerpunkt seiner Arbeit, zumindest an den Wochentagen, Schwerin. Er bat die Pastoren dort, in den Konfirmandenstunden zum Jugendkreis einladen zu dürfen und hatte bald mehrere Gruppen der 12-14jährigen, machte offene Abende für ältere Jugendliche, Kreise für konfirmierte Jungen (Mädchen wurden in fast jeder Gemeinde von Gemeindehelferinnen des Burckhardthauses gesammelt), er übte Laienspiele ein und fasste alle Schweriner Jugendarbeit zusammen in der Monatsrüste, die an jedem 1. des Monats 19:00 Uhr stattfand.

      Sonnabends und Sonntags fuhr er mit dem Zug in Städte und Dörfer des Landes; dort hielt er Jugendsonntage und machte durch Kinder-, Jugend- und Gemeindeveranstaltungen Mut zur regelmäßigen Arbeit mit der Jugend.

      Ich muss mich fast wundern, dass er bei aller Beanspruchung einen Termin für unsere Hochzeit fand, die unter großer Beteiligung der Jugend in der Schelfkirche stattfand.

      Zehn Tage danach fuhr ich als Köchin zu einer Freizeit mit. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie man und wieviel man für 40 Jungen kocht, aber ich fand gute Beratung und vor allem Kartoffeln und Gemüse im Pfarrhaus. Die Jungen halfen beim Schälen und Putzen, es machte Spaß. Dies war eine besondere Rüstzeit. Es waren hierzu konfirmierte Jungen aus ganz Mecklenburg eingeladen, die sich mit dem Gedanken trugen, in den kirchlichen Dienst zu treten. Sie kamen zweimal im Jahr meist in Dobbertin zusammen und waren später unter dem Namen „Dobbertiner Bruderschaft“ bekannt. Aus diesem Kreis ging fast eine ganze Pastorengeneration in Mecklenburg hervor.

      Die zweite Freizeit, die ich kennenlernte und die mich sehr beeindruckte, war ein Zeltlager der 12-14 jährigen Jungen im Ostseebad Graal-Müritz. „Die Kreuzfahrer“, so hieß diese Elitegruppe, hatten mich für einen Tag dorthin eingeladen. Ich fand die 35 Jungen mit meinem Mann 5 km vom Ort entfernt in den Dünen, am Rande des Moores. Die Zelte waren einfach in den Sand gebaut, da sparte man Luftmatratzen und Gummiboden (beides gab es noch nicht). Kartoffeln kochten sie mit dem Salzwasser der Ostsee, Kaffee mit Moorwasser, das durch ein Tuch gegossen wurde.

      Bibelarbeit, der wichtigste Teil jeder Freizeit, fand hier im Dünensand statt. Nachmittags spielten wir und machten Olympiade am und im Wasser.

      Die Jungs hatten sich mir vorgestellt als „Mose“ (er hatte keine Schuhe zum Gottesdienst angezogen und sich dabei auf Mose berufen), „Kluten“, er mochte die Kluten so gern in der morgendlichen Trockenmilchsuppe, „Obadja“, er sagte gern das Wetter voraus, da es nur selten stimmte, war er nur einer der kleinen Propheten. Einer wurde gerade ausgelacht, er hatte den Einladezettel zur Freizeit gut gelesen und Schuhputzzeug mitgebracht, war aber barfuß angereist.

      Abends, als durch die Nähe des Moores die Mücken unerträglich wurden, räucherten sie die Zelte kurz aus mit schwelenden Grassoden. Es war eine tolle Stimmung hier. Ich wäre gern geblieben, aber ich hatte andere Verpflichtungen und die Jungen brauchten keine Köchin. Sie bereiteten ihr Mittag auf einem selbstgebauten Herd (vier Ziegelsteine), den sie mit Kiefernzapfen, die man im Moor reichlich fand, heizten.

      Gern erinnere ich mich an eine Abiturientenrüste. Hier schliefen 15 Jungen und 14 Mädchen in je einem Raum, in dem Stroh auf den Boden geschüttet und gleichmäßig verteilt war. In der Mitte blieb ein Gang. Die Morgenandachten gestalteten sie selber, bei der Bibelarbeit waren rege Diskussionen. Als ein damals bekannter Künstler, den mein Mann für einen Tag eingeladen hatte, Mut zu eigenen Versuchen auf verschiedenen Gebieten der Kunst gemacht hatte, entstanden durch einige Schüler supermoderne Kunstwerke, die sehr witzig und geistreich auf der „Gemäldeausstellung“ vorgeführt wurden. Andere dachten sich Sketche aus, von denen mir einer sehr im Gedächtnis blieb: Ein Schüler stellte einen völlig unbeholfenen Vikar dar, andere waren würdige Oberkirchenräte, die nach der theologischen Prüfung völlig verzweifelt waren: was sollen wir mit dem nur machen, den kann man doch keiner Gemeinde zumuten. Bis einer der hohen Herren eine Idee hat: „Wir machen ihn zum Landesjugendpastor, dafür reicht’s immer noch.“

      Kurz vor der Hochzeit hatten wir eine Wohnung zugewiesen bekommen: Zwei Mansardenzimmer mit Küchenbenutzung parterre. Wir waren glücklich. Es machte uns nichts aus, dass unser kleines Schlafzimmer, bestehend aus zwei Couchen, einem Schrank und einer Kommode, von 8:00 bis 12:00 Uhr auch der Sekretärin als Büro diente. Da wurde die Waschschüssel auf den Schrank gestellt und mit der Schreibmaschine vertauscht. So einfach war das.

      Als 1950 unser Sohn geboren wurde, mein Mann war natürlich gerade auf einer Freizeit, bekamen wir eine tolle Dreizimmerwohnung mit eigener Küche und eigenem Bad. Die eigene Küche war besonders wichtig, denn die Hauptmieterin der vorigen hatte mir das Windelkochen verboten. Hier hatten wir eine wunderschöne Zeit. Die Angst um die Weiterführung der Jugendarbeit ließ uns zwar nie ganz los, aber es war schön, dass zwei Jugenddiakone aus Neinstedt und die Leiterin der Mädchenarbeit, Elisabeth Frahm, im gleichen Haus wohnten. Wir hatten morgens gemeinsame Andacht, die Reisen ins Land konnten abgestimmt und ausgewertet werden.

      Alle waren viel unterwegs, machten Jugendtreffen, Gemeinde- und Elternabende und natürlich Freizeiten.

      Mein Mann legte dabei besonderen Wert auf die 12 - 14jährigen. „In diesem Alter werden die Weichen für's Leben gestellt“, sagte er. Als in Schwerin die Jungscharkreise zu groß wurden, hielt er wöchentlich einen Vorbereitungskreis mit 16 - 18jährigen Jungen, die dann zu zweit einen Jungscharkreis leiteten.

      Um auch im Lande das Interesse für diese Arbeit mit dieser Altersgruppe zu wecken, nahm er bei einem Schweriner Wochenendtreffen Dias auf, Bilder von lustigen Szenen, Bibelarbeit und Singen. Er gewann einen jungen Mann, der mit dem Fahrrad diese Diaserie auf den Dörfern und in Städten den Konfirmanden und Jugendlichen zeigte und dabei zu Freizeiten einlud. Im Jahr darauf konnten wir uns nicht retten vor Anmeldungen. So mussten Mitarbeiter gewonnen und geschult werden (wie oft lese ich im Tagebuch von damals: „Herr, bitte schicke uns Mitarbeiter.“) und Pastoren, die ihre Konfirmandensäle für Jugendfreizeiten oder Wochenenden zur Verfügung stellten.

      Die Heime, die nach und nach entstanden, (die Beschaffung der Bauplätze, der Materialien und des Geldes dazu wäre ein eigenes langes Kapitel) waren mehr „Barackstil“ als Barock, aber es war Leben da, tägliche Beschäftigung mit der Bibel und ausgelassene Freude.

      Uns alle verband das Zeichen der Jungen Gemeinde, das Kreuz auf der Weltkugel, das allen Jugendlichen, die ein Jahr zur „Jungen Gemeinde“ gehörten, verliehen wurde. Uns verbanden die Lieder, die durch alle Kreise gingen, wie: „Es geht ein Wind zur Heide ... Gott weiß, was uns im Leide so stark und freudig macht.“ Oder das Lied von R. A. Schröder „Es mag sein, dass alles fällt ... halte Du den Glauben fest, dass Dich Gott nicht fallen lässt ...“

      Unvergesslich sind wohl für uns alle die Landesjugendtage mit mehreren tausend Jugendlichen in Güstrow, die Mitarbeiterrüsten, die Laienspiele, die sehr wichtig waren, weil es noch kein Fernsehen gab, und die lustigen Lieder und Stücke und die Verkleidungen dazu, die z. T. noch heute ihre Runde im Lande machen.

      Schlimm wurde es im Sommer 1952. Viele Freizeiten wurden verboten, andere trotz Angst vor Verhaftungen durchgezogen. Ich erinnere mich noch sehr an eine Schülerinnenrüste, die mein Mann und ich gemeinsam leiteten. Plötzlich erschien da eine Delegation, sah sich in der Scheune, in der wir unser Nachtlager aufgeschlagen hatten, um und löste kurzerhand die Freizeit wegen hygienischer Mängel auf. Während mein Mann noch mit den Leuten verhandelte, versuchte ich den Mädchen etwas vorzulesen. Haben sie gemerkt, wie sehr mir die Hände zitterten? Wir haben dann alles Gepäck auf ein Gefährt geladen und sind zu Fuß in ein anderes Dorf, das in einem anderen Bezirk lag, gezogen und haben dort noch wunderschöne


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