Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60. Jürgen Ruszkowski

Kirche im Nachkriegs-Mecklenburg um 1950-60 - Jürgen Ruszkowski


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Art war (in fast allen Genres hatte er sich versucht, Filmdrehbücher genauso geschrieben wie eine Oper, malte und schnitt meisterhaft, konnte Kunstschriften mit uns üben, hatte Ernst Barlach selber noch gekannt und ihn uns fesselnd als Person nahegebracht, auch den österreichischen Staatspreis für seine Barlachsonette erhalten und das Altarbild im Gemeindehaus der Paulsgemeinde geschaffen, das ich dort immer sah, wenn ich zur Christenlehre oder zum Gottesdienst ging), sondern eben auch praktizierender Christ und im Kirchgemeinderat der Schelf–Gemeinde.

      Ich erinnere mich noch ganz genau, wie er einen Umschlag mit dem Aufsatzthema von Herrn L. öffnete, den Zettel las, laut stöhnte und uns dann das Aufsatzthema bekanntgab. Es lautete: „Welche Lehren ziehen Sie aus Ostrowskis ’Wie der Stahl gehärtet wurde` zum Kampf gegen die USA-hörige Junge Gemeinde?“ Herr Gahlbeck stützte danach seinen Kopf in die Hände und machte durch Haltung und Mimik deutlich, dass er weder mit dem Thema einverstanden noch gewillt war, es durchzusetzen bzw unsere Reaktionen zu unterbinden.

      Und so haben wir drei Jungens, die wir aus der Klasse in die Junge Gemeinde gingen, uns unverhohlen abstimmen, unterhalten und über unser Verhalten austauschen können. (Durch die strikte Trennung von Jungen und Mädchen in der kirchlichen Jugendarbeit haben wir damals leider kaum intensiven Kontakt zu den Mitschülerinnen unserer Klasse gehabt und nicht gewusst, wer von ihnen ebenso dachte wie wir und zur Jungen Gemeinde gehörte; sie standen aber eben nicht so im Blickpunkt wie wir !)

      Wir haben, wenn ich es recht erinnere, ganz unterschiedliche Wege gewählt. Einer sagte: Ich schreibe dazu nichts, gab sofort sein leeres Heft ab und verließ die Klasse; ein anderer protestierte gegen die Unterstellung des Themas; ich versuchte eine inhaltliche Auseinandersetzung in dem Sinne, dass das Thema Aberglauben in dem Buch und Junge Gemeinde fälschlicherweise verglichen seien und habe dann die Passagen des Buches über den Aberglauben geschildert und besprochen. Aber auch das half nichts, mein „Aufsatz“ wurde mit einer 5 benotet.

      Uns ist durch dieses Vorkommnis klargeworden, wie stark die Schule in die Auseinandersetzung mit der Jungen Gemeinde einbezogen war, was unsere Angst natürlich verstärkte, andrerseits aber auch einen gewissen Bekennermut provozierte. Dass unser Klassenlehrer kniff und uns nicht selber das Thema zu dem Aufsatz gegeben hat, ließ seine Autorität und sein Ansehen, wenn das noch möglich war, weiter sinken. Das hat am Ende der 10. Klasse, als er uns entnervt abgegeben hat, nicht ohne vorher dafür gesorgt zu haben, dass mehrere Schüler aus der Schule geflogen waren, zum offenen Konflikt mit ihm auf der Klassenfahrt geführt, bei der wir (jedenfalls viele) den sog. „passiven Wanderstil“ einführten. Der sah so aus, dass eine Gruppe konstant 30 Meter vor ihm und die andere 30 Meter hinter ihm ging und konsequent darauf achtete, dass diese Abstände nicht verringert wurden, sodass ihm ein Gespräch mit uns unmöglich gemacht wurde und er spüren musste, wie unbeliebt er bei uns war

       5. Beispiel

      Schulvollversammlung am 1. April 1953 mit Relegierung von 4 Schülern aus der Jungen Gemeinde (K. Fischer, A. v. Maltzahn, P. Morre`, ....)

      Diesen Tag werde ich wohl nie vergessen.

      In unserer Schule gab es wöchentlich wechselnden Schichtunterricht, wir waren vormittags „dran“. Ich war in der 10. Klasse und 15 Jahre alt. Als ich die Treppen zu unserem Klassenzimmer hoch ging, sagte mir ein Schüler, der von einer ähnlichen Versammlung in der Schule II am Vortag nachmittags erfahren hatte, auf mein Bekenntniszeichen (Kreuz auf der Weltkugel) weisend: „Heute geht`s Euch an den Kragen !“ Ich nahm das zunächst nicht weiter ernst, habe mich aber hinterher immer an diesen Satz erinnert. Denn tatsächlich kam gleich zu Unterrichtsbeginn ein Schüler durch alle Klassen, der alle Schüler zu einer Vollversammlung in die Aula im 1. Stock „einlud“.

      Als wir die Aula betraten, wunderten wir uns darüber, dass ein großer Teil der Plätze bereits besetzt war. Wie wir gleich erfahren sollten, waren das „Arbeiter aus dem Patenbetrieb der Schule“, wenn ich mich recht erinnere, war das das Klement–Gottwald–Werk (Kranbetrieb). Andere meinen, es wäre die „Bauunion“ gewesen.

      Das erhöhte in Zusammenhang mit dem Satz auf der Treppe die Unruhe, die mich erfasste. Ich weiß nicht mehr genau, ob ich an dem Morgen an der Andacht im Dom teilgenommen hatte, die jeden Morgen vor der Schule von einem aus der JG gehalten wurde; aber gebrauchen konnte ich eine innere Stärkung schon, denn was dann über uns hereinbrach, erschien mir völlig unfassbar und bis heute unverständlich.

      Mehrere Lehrer und wohl auch FDJ – Funktionäre saßen vor uns an Tischen und bildeten sozusagen ein Präsidium, der Direktor Herr Bruno B. eröffnete an einem mit rotem Tuch bespannten Rednerpult die Versammlung mit den Worten, dass es nun an der Zeit sei, Maßnahmen gegen die Junge Gemeinde zu ergreifen, die als Agentenorganisation des Westens auch an unserer Schule Fuß gefasst hätte.

      Und ehe wir uns versahen, was überhaupt geschah, forderte er die „Jugendfreunde“ auf, Namen derjenigen zu nennen, die an unserer Schule zu dieser feindlichen Organisation gehören und bat um Wortmeldungen. Und wie aus der Pistole geschossen meldete sich der erste (mit einem kleinen Zettel in der Hand), bekam das Wort, stand auf und sagte: „Ich nenne den Schüler ...... aus der Klasse ......Er gehört schon seit langer Zeit zur Jungen Gemeinde“ und es folgten angebliche Verstöße oder Vergehen, läppisch bzw Lügenkram. Und so ging es mehrfach weiter.

      Ich weiß im einzelnen nicht mehr, was alles gesagt wurde, weil mir die Angst in die Glieder gefahren war, erinnere mich aber genau an zwei Dinge, die sich festgesetzt haben. Einerseits wurde versucht, zu argumentieren, es sei ein Zeichen der besonderen Gefährlichkeit dieser „Organisation“, dass sie Schüler mit sehr guten Leistungen an sich binde, andrerseits gab es die Aussage zu einem Schüler aus meiner Klasse, Peter Morre, dass der durch die Teilnahme an der JG „natürlich“ in seinen Leistungen abgesackt und schulisch schlechter geworden sei. Weiter wurde bei einem Schüler der 12. Klasse als besonders schlimmes Vergehen angeführt, dass er zu Treffen der FDJ–Gruppe meist nicht erscheine, aber zu den Proben der Laienspielgruppe der JG gehe und dass sein Vater in Westberlin studiere (also im Einflussbereich des Gegners!).

      Es waren dann wohl 4 oder 5 solcher denunzierenden Informanten, die sich da nacheinander meldeten und Namen von Schülern nannten. Sie waren eindeutig vorher mit Einzelheiten oder den Namen versorgt worden, hielten auch meistens einen Zettel in der Hand.

      Nach dem Letzten, der geredet hatte, wurde es still, und erst jetzt sahen wir, dass sich die ganze Zeit wohl schon jemand gemeldet hatte, den wir von hinten, wo ich saß, nicht wahrnehmen konnten.

      Die ganze Zeit über waren siedendheiß in mir Gedanken herumgerast, dass man gegen diese infamen und dummen Lügen doch eigentlich aufstehen und sie erwidern müßte, aber ich fühlte mich einfach dazu nicht in der Lage und hatte schlichtweg Angst. Dauernd hoffte ich, dass einer von den Älteren, wir kannten uns ja doch alle von den monatlichen Zusammenkünften (Monatsrüste) oder den wöchentlichen Treffen in Jugendkreisen oder den Proben des Kreuzfahrer–Spielkreises, das schaffen könnte.

      Und genau dies traf jetzt zu. Albrecht von Maltzahn war derjenige, der sich schon länger gemeldet hatte, und der Direktor kam nicht darum herum, ihm jetzt – sehr widerwillig – das Wort zu erteilen. Und nun geschah das Unfassbare. Während alle die „Informanten“ von ihren Plätzen geredet und wir das auch für selbstverständlich gehalten hatten, es war ja durch die vielen Schulfremden sehr eng, erhob sich der in der 12. Klasse lernende Schüler von seinem Platz, drängte sich durch die Reihen, erreichte den Mittelgang und ging nach vorne, an den Lehrern vorbei und zum Rednerpult. Allein das ließ mir den Atem stocken, woher hatte einer in der aufgeheizten Atmosphäre solche Ruhe, solche Sicherheit ?

      Unfassbar schien mir dieses Verhalten, und mir fiel der Bibelvers ein, der uns in jenen Tagen oft als Beschreibung der Lage und Zuspruch in der Situation getröstet hatte: „Man wird euch vor Statthalter und Könige führen um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis ...Wenn sie euch nun hinführen und überantworten werden, so sorgt euch nicht vorher, wie oder was ihr reden sollt, denn es wird euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr reden sollt. Denn ihr seid’s nicht, die da reden, sondern der heilige Geist“.

      Vorn angekommen, schien es noch stiller zu werden. A. v. M. begann: Zunächst wolle/müsse er zu der Behauptung Stellung nehmen, die


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