Die Pferdelords 04 - Das verborgene Haus der Elfen. Michael Schenk
sich allmählich über sie legte. Jahreswenden vergingen, formten sich zu
Jahrhundertwenden und ließen Legenden entstehen. Das elfische Haus
Deshay, das mächtige Haus des Urbaums, versank in den Tiefen der Zeit.
Kapitel 2
In der Gegenwart…
Sommer in der Hochmark: Das bedeutete brütende Hitze, die am Tag über
den Tälern lag und die kaum gelindert wurde, wenn ein sanfter Wind durch
die Täler strich. Die Felsen hatten sich aufgeheizt und strahlten selbst in der
Nacht noch lange ihre Wärme ab, die sich erst gegen Morgen verlor. Nur
wenige Stunden der Kühle, bis die Sonne sich erneut über das Land erhob und
es mit Licht und Wärme übergoss. So unerbittlich schroff die Wintermonde
sein konnten, in denen ein Herdenwächter auf seiner einsamen Wache gegen
Kälte und Müdigkeit ankämpfte, so schonungslos gleißend konnten die
Sommermonde sein. Die Menschen und Tiere drängten sich an jenen Stellen,
an denen es ausreichend Wasser gab, um den Durst zu stillen und den Leib,
wenigstens vorübergehend, zu kühlen.
Auch die beiden Reiter, die im leichten Trab auf den Horngrundweiler
zuhielten, litten unter der Hitze. Sie trugen keine Helme, und ihre
unbedeckten Haare klebten verschwitzt an ihren Schädeln. Dennoch hätten sie
niemals darauf verzichtet, ihre bodenlangen grünen Umhänge zu tragen, die
Zeichen ihrer Ehre als Pferdelords. Der eine der beiden war ein schlanker
junger Mann, der Jagdbogen und Köcher führte. Der Reiter neben ihm war
ungewöhnlich klein gewachsen für einen Mann des Pferdevolkes, und die
Falten und Narben seines Gesichts verrieten sein Alter, noch bevor man die
Augen des Mannes erblickte. Obwohl beide Männer nicht gerüstet waren und
keine Schilde hatten, hing eine ungewöhnlich langstielige Axt am Sattelknauf
des kleinen Reiters. Dieser ritt einen grobknochigen Wallach, der Größere
hingegen einen braunen Hengst mit einer weißen Blesse an der Stirn. Hinter
den Reitern wölbten sich lederne Tragetaschen an den Sätteln, deren bauchige
Formen verrieten, dass sie prall gefüllt waren.
»Vielleicht sollten wir es uns doch noch einmal überlegen, Nedeam, mein
Freund«, brummte der kleinwüchsige Reiter und blickte nachdenklich zu dem
Weiler hinüber, den sie bald erreichen würden.
Nedeam schüttelte den Kopf und sah seinen älteren Freund und Mentor
Dorkemunt kurz an. »Wir haben es schon oft besprochen, Dorkemunt, mein
Freund. Mit den Schafen allein kommen wir nur gerade eben über die
Runden. Wenn wir zwei oder drei der Tiere verlieren, wird es bereits
schwierig, die Wintervorräte einzuhandeln, und es gibt nicht genug Wild, das
wir stattdessen jagen könnten.« Nedeam schüttelte erneut den Kopf und strich
sich eine Strähne seines verschwitzten Haares aus der Stirn. »Nein, wir
müssen zusehen, dass wir außer den Schafen auch ein paar Hornviecher
aufziehen. Das gibt zusätzliches Fleisch, Milch und Leder.«
Dorkemunt stieß ein leises Brummen aus. »Du hast ja recht. Aber glaube
mir, der Umgang mit Hornvieh ist nicht so einfach, wie du es dir vorstellst.
Ich war früher Herdenwächter einer Hornviehherde, und ich weiß, wovon ich
spreche.«
Nedeam drang nicht weiter auf seinen Freund ein, denn er wusste, dass er
damit einen wunden Punkt in Dorkemunts Vergangenheit berührt hätte. Vor
etlichen Jahreswenden war der kleine Pferdelord Herdenwächter in einem
Weiler der unteren Marken gewesen und hatte bei einem Überfall der Orks
seinen Sohn, die Schwiegertochter und seine geliebte Frau verloren. Die Orks
hatten den Weiler niedergebrannt und alles Leben ausgelöscht, und
Dorkemunt war nichts geblieben als der Hass. Doch dann war er dem 12-
jährigen Knaben Nedeam begegnet und hatte ihn unter seinen Schutz
genommen. Inzwischen waren sie beide älter an Jahren und einander in fester
Freundschaft verbunden. Sie bewirtschafteten gemeinsam das kleine Gehöft,
das Nedeam nach dem Tod seines Vaters Balwin von seiner Mutter Meowyn
übernommen hatte. Sie nannten es noch immer Balwins Gehöft, obwohl es
nun eigentlich Nedeams Namen hätte tragen müssen.
Keiner der beiden ungleichen Pferdelords hätte sich vorstellen können,
ohne den anderen in den Kampf zu ziehen. Sie waren ein ebenso
unzertrennliches wie unverwechselbares Gespann, und als nun einige
Bewohner des Weilers den schlanken, hochgewachsenen Reiter neben dem
Kleinwüchsigen sahen, wussten sie sofort, dass es sich um Nedeam und
Dorkemunt von Balwins Gehöft handelte.
Es war Mittag, und die hoch stehende Sonne brannte unbarmherzig vom
Himmel herab. Selbst die zahlreichen Kratzläufer, die sonst emsig zwischen
den Häusern des Horngrundweilers umherliefen und nach Körnern und
Würmern pickten, wirkten von der Hitze erschöpft. Nedeam und Dorkemunt
rann der Schweiß übers Gesicht, und die Kleidung klebte ihnen am Leib, als
sie zwischen den Häusern hindurchritten und die Pferde zum größten Haus
hinüberlenkten.
»Sitzt ab und seid uns willkommen, Ihr guten Herren«, grüßte eine ältere
Frau und gab ihrem Sohn einen Wink, damit er sich der Pferde annahm.
»Nehmt es uns nicht übel, gute Frau«, lehnte Dorkemunt das Angebot ab.
»Es sind unsere Pferde, und wir kümmern uns selbst um sie.«
»Wahre Pferdelords«, erwiderte die Alte. »Erst das Pferd und dann der
Mann.«
»So ist es Brauch.«
Sie ließen die Pferde trinken und steckten anschließend selbst die Köpfe in
die Tränke, die vor dem Haus stand. Nedeam prustete erleichtert und ließ das
kühle Wasser lächelnd aus seinen Haaren fließen. »Ah, das tut gut. Eine
verfluchte Hitze ist das heute.«
Die