Die Pferdelords 04 - Das verborgene Haus der Elfen. Michael Schenk
über die Tageswenden bleiben?«
Das war ein verlockendes Angebot. Es gab nicht oft die Gelegenheit, in der
Gemeinschaft eines größeren Weilers zu feiern, und eigentlich nutzten die
Menschen des Pferdevolkes jede Möglichkeit zu geselligem Beisammensein.
Viermal, zwischen den einzelnen Jahreszeiten, traf man sich in den Weilern
oder in der Stadt Eternas zum Handel, und dann gab es immer Musik und
Tanz, Wein und Gerstensaft. Viele der Familien trieben zu diesen Anlässen
sogar ihre Herden mit sich, um sie nicht schutzlos zurückzulassen. Der
Pferdefürst unterstützte dies, denn er hielt es für eine gute Übung für den Fall,
dass die Hochmark bedroht wurde und die Menschen mit ihrer Habe nach
Eternas flüchten mussten.
Nedeam schüttelte bedauernd den Kopf. »Habt Dank für dieses Angebot,
guter Herr Pontim, aber wir wollen das Gehöft und unsere Schafe nicht so
lange sich selbst überlassen. Zumal unser Zuchtbock im Augenblick
unberechenbar ist.«
Dorkemunt nickte. »Es ist das Alter oder die Brunft. Bei ihm lässt sich das
nicht genau sagen.«
Nedeam wies auf die offene Truhe. »Verzeiht, guter Herr Ältester, aber
würdet Ihr es mir zeigen?«
Pontim blickte unwillkürlich zur geöffneten Truhe hinüber. »Das Horn des
Weilers?« Als Nedeam nickte, lächelte der Alte. »Natürlich zeige ich es Euch.
Kommt um den Tisch herum, ich will es nicht aus der Truhe heben. Es ist
schon alt und brüchig.«
Auch Dorkemunt trat an die Truhe heran, obwohl er das Horn zuvor schon
einmal gesehen hatte. Noch immer übte es eine Faszination auf ihn aus.
Pontim schlug in der Truhe ein dickes Tuch auseinander, das man zum
Schutz vor der Witterung geölt hatte. Zwischen den Falten des Stoffes wurde
das Wahrzeichen des Horngrundweilers sichtbar.
Es war ein sehr ungewöhnliches Horn. Rund eine halbe Länge lang, war es
an seinem einen Ende so dick wie ein Handgelenk und verjüngte sich nach
vorne bis auf Daumenbreite. Möglicherweise war es einmal spitz wie ein Pfeil
gewesen, aber das ließ sich nun nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Es war
ganz offensichtlich aus dem Material aller übrigen Tierhörner und sehr alt,
denn Risse und Bruchstellen waren zu sehen. Die Männer des Horngrundes
hatten es im Boden entdeckt, als sie den Weiler errichteten, und den Ort
danach benannt. Sie hielten es in Ehren, und Pontims Aufgabe war es, das
Horn aufzubewahren und vor Schaden zu behüten.
»Ob es wirklich ein Horn ist?« Nedeam wollte mit den Fingern sanft über
das Material streichen, aber Pontim hielt seine Hand fest und schüttelte den
Kopf.
»Nicht, guter Herr Nedeam. Es ist wahrlich alt und könnte unter der
Berührung leiden. Ja, ich denke schon, dass es ein Horn ist, auch wenn es eine
ungewöhnliche Form hat.«
»Ein merkwürdiges Tier muss das gewesen sein«, brummte Dorkemunt.
Das Horn war vollkommen gerade, dabei jedoch viele Male in sich
verwunden, wie bei dem Gehäuse einer Schnecke. »Ein Hornviech mit zwei
solchen Hörnern würde jedenfalls kaum durch die Talenge passen.«
Nedeam lachte bei der Übertreibung seines Freundes auf, doch Pontim
knurrte leise. »Redet keinen Unsinn, guter Herr. Es wird sie nach vorne
gerichtet getragen haben. Wie jene Waldtiere aus den unteren Marken.«
»Habt Ihr denn das zweite gefunden?«
»Leider nicht.« Pontim schlug das Tuch wieder behutsam über dem
Symbol zusammen. »Nicht einmal den zugehörigen Schädel. Aber beides
muss es gegeben haben. Jedenfalls wüsste ich kein Tier zu nennen, das nur
ein Horn am Schädel trägt.«
Nedeam kratzte sich unsicher im Nacken. »Vielleicht war es eine Waffe,
die jemand verloren hat. Eine Lanze möglicherweise.«
»Wir werden es wohl nie erfahren.« Pontim schloss den Deckel der Truhe
und richtete sich auf. »Sein Träger ist in jedem Fall schon lange tot. Vielleicht
wissen die Herren Elfen, welches Wesen es einst trug.«
Nedeam nickte. »Wir sollten den Hohen Herrn Lotaras aus dem Hause
Elodarion einmal fragen, ob er ein solches Horn kennt.«
»Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen sollten.« Dorkemunt
seufzte. »Doch wer vermag schon die verschlungenen Pfade des Schicksals
vorherzusagen?«
»In jedem Fall vermag ich zu sagen, dass Ihr Hunger habt, Ihr guten
Herren«, meldete sich die Frau des Ältesten zu Wort. »Ich kann das Knurren
Eurer Mägen bis hierher hören. Nein, widersprecht mir nicht, Ihr Herren. Erst
wird gegessen, dann könnt Ihr Euren Handel machen.«
»Sie hat recht.« Pontim wandte sich zur Tür, wo nun ein Knabe erschien.
»Geh zu Rufus und sage ihm, die guten Herren Nedeam und Dorkemunt
wollen einen Handel mit ihm schließen. Und Ihr«, er wandte sich zu den
beiden Pferdelords um, »werdet jetzt erst einmal ordentlich zulangen. Wir
haben heute Morgen frisches Brot gebacken und ein Rind geschlachtet.«
Sie saßen im Obergeschoss des Hauses in der Wohnstube der Familie, als
unter ihnen schwere Schritte ertönten und eine kräftige Stimme nach ihnen
rief. »Wo sind sie? Wo sind die Pferdelords, die einen Handel machen
wollen?«
»Sie sind hier oben, guter Herr Rufus«, rief die Frau des Ältesten. »Und
wenn Ihr sie nicht in Ruhe essen lasst, werden sie so vom Fleisch fallen, dass
sie nie wieder einen Handel machen können.«
Die Schritte polterten die Treppen herauf, und das breite Gesicht eines
stämmigen Mannes erschien. »Ah«, rief er erfreut, als er Nedeam und
Dorkemunt erkannte. »Die guten Herren von Balwins Gehöft. Seid gegrüßt,
Pferdelords.«