Tod eines Milliardärs. Nick Stein

Tod eines Milliardärs - Nick Stein


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vorerst vorbei war.

      Sie griff zu ihrem Rucksack, der auf dem Nachttisch lag, und zog das Buch heraus.

      6

      DER SÄUREMÖRDER

       Jessica Bahr

      Ilka Eichner missfiel der mangelnde Einsatzeifer ihres Kollegen. Der große Kerl wollte am Freitagabend auf die Piste, nichts Anderes. Von wegen Ermittlungen im Treibhaus, dachte sie, der ist doch nur auf Eroberungen aus.

      »Hör zu«, hatte er ihr gesagt, als sie die Wohnung von Mimi Wolter verlassen hatten. »Nimm du den Laptop mit. Ich möchte mich im Umfeld der Toten umsehen. Das kann ich besser als darauf zu warten, bis die IT das Passwort geknackt hat. Wir sehen uns spätestens Montagmorgen, Ilka.«

      Mit den Worten war er davongeeilt. Die Frau ist doch nie allein ausgegangen, hatte sie ihm noch hinterherrufen wollen, aber er war schon um die nächste Ecke verschwunden. Ihm jetzt eine dienstliche Anweisung zu erteilen, war ihr zu blöd. Sie stieg ins Auto und fuhr zum Revier.

      Nachdem sie den Laptop abgegeben hatte, setzte die Kommissarin sich in ihr Büro und legte die Füße auf den Schreibtisch. Sie musste nachdenken.

      Wenn das so einfach war und der Täter ein Trittbrettfahrer war, würde er die Tat wiederholen. Oder wiederholt haben.

      Ilka schaltete ihren Rechner an und loggte sich ins NIVADIS ein, das Informationssystem der niedersächsischen Polizei.

      Sie gab Säureunfälle ein und wurde sofort fündig. Achtundzwanzig Fälle waren in den letzten sechs Monaten in Niedersachsen gemeldet worden.

      Davon konnte sie zehn sofort ausschließen, es waren klare Haushaltsunfälle. Fünfzehn Fälle waren anderen Tätern zuzuordnen, meist war es darum gegangen, dass die Männer verlassen worden waren und wollten, dass die Frau nie wieder für jemanden anders schön sein sollte.

      Von den drei übrig gebliebenen Fällen passte einer in ihr Suchschema. Eine Frau aus Sarstedt bei Hildesheim hatte sich mit Säure die Genitalien verstümmelt. Das war erst fünf Tage her; die Frau lag in der Medizinischen Hochschule Hannover und wartete auf die Restauration ihrer Verletzungen.

      Die beiden anderen niedersächsischen Fälle hatten sich in Aurich und bei Cuxhaven ereignet. Zu weit. Zur MHH dagegen waren es nur ein paar Minuten.

      Bevor sie in die Klinik fuhr, rief Ilka bei der IT-Abteilung an. Die hatte das Passwort bereits gefunden, es war das Geburtsdatum von Marietta Wesemann.

      Der Mann am anderen Ende kam nicht richtig mit der Sprache heraus. Sie hatten wenig gefunden; der Laptop hatte seine Fernwartungsfunktion eingeschaltet gehabt, und jemand, vermutlich der Täter, hatte darüber die Festplatte neu formatiert und mehrfach mit Datenmüll überschrieben. Die VR-Brille hatte zwar eine Kamera, aber keinen eigenen Speicher.

      Sie würden trotzdem versuchen, den Inhalt des Rechners wiederherzustellen, aber viel Hoffnung wollte der Mann Ilka nicht machen. Der Vorgang würde einige Tage in Anspruch nehmen, und ob noch etwas wiederherzustellen war, konnte er nicht garantieren.

      Der Täter kannte sich also nicht nur mit Säure, sondern auch mit der Fernwartung von Rechnern aus. Ein Profilpunkt mehr.

      Dennoch war das nur ein Trostpreis, der Hauptgewinn wäre der Name des Mörders und die Zusatzzahl die Aufzeichnung des Gespräches gewesen.

      Man kann nicht alles haben, dachte sich Ilka, als sie sich auf den Weg zur Medizinischen Hochschule machte.

      Die Patientin, Jessica Bahr, war wach und ansprechbar.

      »Sie müssen aufpassen, sie steht nach wie vor unter starken Schmerzmitteln und könnte noch etwas verwirrt sein«, warnte die Ärztin sie.

      »Falls sie sich aufregt oder irgendein Wert instabil wird, müssen Sie die Befragung sofort unterbrechen. Stimmen Sie dem zu?«

      Ilka nickte und hatte selbst eine Frage.

      »Was hat sie sich denn exakt angetan?«

      Die Ärztin hob sorgenvoll die Augenbrauen. »Wir erleben hier ja einiges, der Spieltrieb einiger Menschen ist nicht zu bremsen.« Sie nickte einem vorübergehenden Pfleger zu und wartete, bis er vorbei war.

      »Sie glauben ja nicht, was die Leute sich alles reinstecken. Gestern hatten wir einen Mann da, der sich sein Handy in den Anus geschoben hatte. Es klingelte sogar noch, und er flehte uns an, schnell zu machen, das Gespräch könnte ja wichtig sein.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Und vor einer Woche hatte sich eine Patientin ein größeres Ei aus Alabaster eingeführt und bekam es nicht wieder hinaus, weil es so glitschig war.«

      »Und diese Patientin hier?« Ilka wurde ungeduldig.

      »Ach ja, natürlich. Frau Bahr hat mit Flaschen etwas gemacht. Sie hat sie sich eingeführt. An sich noch nichts Ungewöhnliches. Nur waren in den Flaschen Flüssigkeiten, die allein auch noch nicht gefährlich waren. Aus jeder ist etwas ausgetreten; zusammen haben sie dann eine Reaktion ausgelöst. Es hat sich eine sehr aggressive Säure gebildet. Der Schmerz war in diesem Moment so stark, dass sie ohnmächtig geworden ist.«

      Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und seufzte.

      »Der Säure hat dann das ganze Gewebe dort erst durchflossen, abgetötet und dann vollständig verätzt, da könnten Sie jetzt glatt einen Finger durchstecken. Die Nieren und die Blase sind ebenfalls schwer beschädigt worden. Die zervikalen Verbrennungen konnten wir reparieren, was sonst für Folgeschäden an den Organen bleiben werden, ist noch nicht klar.«

      Die Kommissarin sah die Parallelen zu ihrem anderen Fall. »Wissen Sie, ob die Frau das schon öfter gemacht hat? Ob sie dazu verleitet worden ist?«, fragte sie die Ärztin.

      »Davon weiß ich nichts, das müssen Sie sie schon selbst fragen. Ich denke, Sie können jetzt rein, Frau Eichner. Die Patientin ist allerdings stark sediert und vermutlich benommen.«

      Die Frau lag waagerecht im Bett, als ob sie sterben wollte, die Arme an der Seite. Alle anderen Patienten hatten das Oberteil schräggestellt, hatte Ilka gesehen.

      Jessica Bahr war eine hagere Brünette mit tief herabgezogenen Mundwinkeln wie bei einer Magenkranken. Sie hatte sehr große braune und hübsch geschnittene Augen, die attraktiv gewirkt hätten, wenn ihr Blick nicht so abgestumpft und leer gewesen wäre.

      Die Haut war grau wie Packpapier, der zusammengekniffene Mund blutleer. Die Nase der Frau, die Ilka sonst als keck bezeichnet hätte, ragte kalt aus dem Gesicht auf wie ein dreieckiger Kalkstein aus einem verschneiten Acker.

      Das einzige Zeichen, dass die Frau Ilka bemerkt hatte, war ein leichtes Flattern der unteren Augenlider.

      Ilka stellte sich auf Bauchhöhe der Frau neben das Bett.

      »Frau Bahr, wir wollen das Schwein fangen, das Ihnen das angetan hat«, sagte sie. »Der hat das auch noch mit anderen Frauen so gemacht. Wir müssen den aus dem Verkehr ziehen und für lange Zeit hinter Gitter bringen.«

      Diese direkte Ansprache sollte der Frau die Möglichkeit nehmen, sich aus Scham zu verstellen und die Tat auf sich zu nehmen.

      Jessica Bahr drehte unendlich langsam den Kopf zu ihr hin. Dann drehte sie ihn wieder in die Ausgangslage zurück.

      »Gott sei Dank, eine Frau«, stöhnte sie nahezu unhörbar. »Wer sind Sie?«

      »Kriminalhauptkommissarin Ilka Eichner.«

      Die Patientin schloss die Augen und nickte.

      »Darf ich mich an Ihr Bett setzen, Jessica?«

      Sie hatte sich entschieden, den Vertrautheitsgrad, den ihr Frausein herbeigeführt hatte, durch den Gebrauch des Vornamens weiter auszubauen.

      »Ja«, kam es ganz schwach zurück.

      »Sie brauchen nicht viel zu sprechen, Jessica«, begann Ilka.

      »Wir


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