Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks. Michael Schenk
kameradschaftlich auf Dorkemunts Schenkel. »So wollen wir nun
hoffen, dass die beiden recht oft knarrzen und Euch eine reiche Schar an
Enkeln bescheren werden.«
Der kleinwüchsige Pferdelord nickte beifällig, stöhnte dann aber leise auf,
als ihm diese Bewegung erneut eine Welle von Schmerzen durch den Schädel
jagte. »Ich werde Euch gegen Abend ablösen kommen, mein Freund, damit
auch Ihr den einen oder anderen Becher auf das Wohl des Brautpaars leeren
könnt.« Er bemerkte den fragenden Blick des anderen und lachte. »Bis das
Haus meines Sohnes Dormunt bereit ist, habe ich ihm und seiner Braut das
meinige angeboten.«
Der Hirte grinste breit. »Ihr könnt die Enkel wohl kaum erwarten.« Er wies
auf die Herde unten im Tal. »Bei der Herde ist alles wohl, Dorkemunt, mein
Freund. Reitet beruhigt in den Weiler, ich gebe acht. Aber Ihr könntet mir
Eure Wasserflasche überlassen. Meine wurde undicht und befeuchtete nicht
meine Kehle, sondern nur mein Bein.«
Also tauschten sie die Wasserflaschen aus, und Dorkemunt ritt zum Weiler
zurück.
Die Ostmark war, wie das gesamte übrige Land der Pferdelords auch,
überwiegend von weiten Ebenen geprägt. An der östlichen Grenze der Mark
befanden sich ausgedehnte Sumpfflächen, die wiederum an den großen Fluss
grenzten, der von Norden kam und im Süden durch die Länder der alten
Könige führte. Zwischen dem Sumpf und der steppenartigen Ebene des Tals
erhoben sich ausgedehnte Wälder, die das Baumaterial für Dorkemunts
Weiler geliefert hatten, dessen Häuser im traditionellen Stil der Pferdelords
errichtet worden waren.
Die Häuser waren allesamt niedrig und lang gestreckt, um dem Wind
möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Ihre hölzernen Giebel ragten
überkreuzt über die Dächer hinaus, und jeder der Giebelbalken war mit dem
kunstvoll geschnitzten Kopf eines Pferdes geschmückt. Die Hauswände
waren aus Holz, das zum Schutz gegen Feuer mit frischem Tierblut gestrichen
worden war und daher eine typisch rotbraune Färbung aufwies, von der sich
lediglich die andersfarbig bemalten Türen und Fensterrahmen abhoben. Die
Dächer waren mit Grassoden bedeckt, die im Winter die Kälte draußen
hielten und im Sommer Schutz vor der Hitze boten. Alle Häuser bestanden
aus einer Wohnstube und normalerweise jeweils einer eigenen Kammer für
Männer, Frauen und Kinder, lediglich Vermählte erhielten einen
gemeinsamen Raum. So war es nicht selten, dass das Innere eines Hauses
oftmals umgebaut oder aber ein komplett neues Haus errichtet wurde.
Der Weiler war groß und umfasste fast zwei Dutzend Gehöfte.
Die einzelnen Häuser des Weilers formten zwei konzentrische Kreise,
deren Mitte der große Versammlungsplatz mit dem Brunnen bildete. Er stellte
das soziale Zentrum des Weilers dar, denn alle besonderen Ereignisse wurden
hier begangen. Hier nahm der Älteste des Weilers Vermählungen vor oder
sprach in Streitfällen Recht. Hier wurden die Waren für den Handel
gesammelt, und hier wurde auch ihr Erlös an die einzelnen Familien verteilt.
Eine kleine Pferdeherde graste hinter dem Weiler, aber der wahre Reichtum
der Menschen, die hier ihre Heimstätte gefunden hatten, war das Hornvieh.
Es war robust und hatte wohlschmeckendes Fleisch, aber vor allem gab
es Leder. Gutes und starkes Leder für Sattelzeug, Harnisch und Helme. Leder
für Tragetaschen und Feldflaschen, für feste Reithosen und viele andere
Dinge des täglichen Gebrauchs.
Hellewyn, die Gerberin, verstand sich auf die Lederzubereitung. Sie
konnte es stark und fest, aber auch dünn und geschmeidig machen. Ihr Haus
stand zwar innerhalb des Weilers, ihr Handwerk übte sie jedoch in einem
Schuppen abseits der anderen Häuser aus. Dort schabte sie die Häute und
befreite sie von jedem Haar, bevor sie es in große Bottiche gab, die mit dem
Dung der Kratzläufer gefüllt waren. Die Dauer der Behandlung und die
Konzentration des Urins entschieden jeweils über die Weichheit des Leders.
Hellewyn und ihre Tochter Gandoryn waren auch wahre Meisterinnen in der
Anfertigung feinster Lederschnüre, die wiederum hervorragend zur Fertigung
von Kleidung geeignet waren. Die Schnüre wurden aus dünnem Leder
gespalten und geschnitten und dann so lange von ihnen gekaut, bis sie weich
und schmiegsam wie wollenes Garn waren. Gandoryn fertigte zudem
wunderschöne Lederarbeiten und verzierte Kleider und Wämse mit feinsten
Lederstickereien.
Dorkemunt hielt das rotblonde Mädchen nicht nur für außergewöhnlich
liebreizend, sondern erachtete es auch für einen enormen Gewinn des
gesamten Weilers und seines eigenen Hauses, denn Gandoryns Arbeiten
fanden selbst in der Stadt des Pferdekönigs guten Absatz, obwohl es auch dort
gute Handwerkerinnen gab.
Dorkemunt trieb seinen Wallach zum Versammlungsplatz des Weilers
zurück, wo die Vorbereitungen für die Vermählung von Dormunt und
Gandoryn in vollem Gange waren. Der Älteste beäugte sichtlich nervös das
Podium, auf dem er das Brautpaar später miteinander vermählen würde. Er
war nicht mehr der Jüngste, und obwohl er schon viele Vermählungen und
Richtsprüche getätigt hatte, hatte er sich doch nie so recht daran gewöhnen
können, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller Bewohner des Weilers zu
stehen. Der Älteste winkte Dorkemunt geistesabwesend zu und schien schon
wieder die Vermählungsformel vor sich hin zu murmeln, während um ihn
herum die Frauen des Weilers damit beschäftigt waren, den Weilerplatz
festlich zu schmücken. Die Männer ihrerseits hatten bereits mehrere junge
Baumstämme kreisförmig angeordnet, welche nun mit bunten Tüchern,
Stoffstreifen und frischen Blumen verziert wurden.
Die beiden ältesten Frauen des Weilers waren währenddessen bei
Gandoryn und bereiteten sie