Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks. Michael Schenk
sie ihn jetzt mit allen Ehren bestattet, doch das musste warten.
Nun galt es zuallererst, die Hochmark zu warnen und dafür zu sorgen, dass
ihrem Sohn Nedeam nichts zustoßen würde. Sie entschloss sich darum, den
Weg zu wählen, auf dem Nedeam aus Eternas zurückkehren würde.
Meowyn saß auf ihr Pferd auf und nahm die Zügel von Balwins Pferd in
ihre Hand. Für einen Moment verweilte ihr Blick nochmals auf dem Toten.
»Reite nun in den Goldenen Wolken, mein Geliebter.«
Dann ritt sie mit beiden Pferden aus dem Tal und warf keinen einzigen
Blick mehr zurück. Die Zeit der Erinnerung würde kommen, doch erst galt es,
die Zukunft zu sichern.
Kapitel 11
Der Horngrundweiler verdankte seinen Namen der Tatsache, dass Garodems
Männer bei der Besiedlung des Tales ein Horn im Boden gefunden hatten,
wie es noch nie zuvor von irgendjemandem gesehen worden war. Es war
konisch geformt und so gerade wie eine Lanze, dabei aber in sich gedreht wie
das Gehäuse einer Schnecke. Es maß eine halbe Länge und war aus
demselben Material, aus dem auch die Hörner der Wolltierböcke waren. Doch
keiner aus dem Volk der Pferdelords hätte zu sagen vermocht, welches Tier
wohl solch ein Horn tragen mochte. Das Horn war sehr alt und rissig, und die
Männer und Frauen des Tales, die den Weiler gründeten, hielten es in Ehren
und hatten ihre Siedlung nach ihm benannt.
Es gab nur noch zwei weitere Weiler in der Hochmark, wenn man von
Eternas einmal absah, das aber schon eine richtige Stadt war. Weiler
entstanden stets aus dem Zusammenschluss mehrerer Gehöfte, die zusammen
eine Gemeinschaft bildeten, um den Frauen Gelegenheit zu geben, sich
gleichzeitig um ihre Kinder und um den Haushalt zu kümmern und außerdem
auch noch einige Felder mit Früchten oder Gemüse zu pflegen. Die Männer
wiederum waren dadurch zahlreich genug, um gemeinsam größere Herden
heranzuziehen und zu beaufsichtigen. Was der Weiler einbrachte, gehörte
allen zu gleichen Teilen.
Der Horngrundweiler lag in einem der westlichen Seitentäler der
Hochmark und bot fast hundert Menschen und der wohl dreifachen Anzahl
von Pferden und Wolltieren eine Heimat. Kratzläufer rannten in ihren
abgesperrten Gelegen herum, scharrten im Boden und pickten dort nach den
Samen oder Getreidekörnern, mit denen sie gefüttert wurden. Dafür erhielten
die Bewohner des Weilers zum Ausgleich Eier, mit denen sie einen
gewinnbringenden Tauschhandel durchführen konnten, zumindest mit jenen,
die nicht dem eigenen Appetit zum Opfer fielen, denn besonders der gelbe
Dotter wurde allgemein als wohlschmeckend empfunden. Und einige der
Frauen schworen auch darauf, dass der Dotter ihrem Haar einen besonderen
Glanz verleihen würde.
Holger, Honars Sohn, bevorzugte die innere Anwendung des gelben
Dotters und lachte gutmütig, als seine Frau mit einigen der Eiern zu dem nahe
gelegenen Bachlauf hinüberging, um dort ihr Haar zu waschen. Holger reckte
sich im Sattel und blickte über den Horngrundweiler. Zwischen den
steinernen Häusern und auf dem kleinen Platz in ihrer Mitte herrschte
hektischer Betrieb, denn einige Bewohner des Weilers wollten noch heute mit
Tauschwaren nach Eternas fahren. Gute vier Tage würden sie unterwegs sein,
und dies bedeutete für Holger und die anderen zusätzliche Arbeit, denn es galt
weiterhin die Herden zu hüten. Und sobald die kleine Gruppe dann wieder aus
Eternas zurück wäre, würde die Wolltierschur beginnen. Die Wolltiere der
Hochmark brachten gute Wolle hervor, denn der stete Wind und die große
Winterkälte sorgten für einen dichten Fellwuchs der Tiere. Dicht und stark
war die Wolle, welche die Frauen des Weilers zu Fäden sponnen. Und die
gesponnenen Wollfäden brachten in Eternas wiederum einen höheren Wert
ein als die ungesponnene Wolle, welche von den Einzelgehöften geliefert
wurde. Auch das war ein Vorteil eines Weilers, dass es Hände gab, die sich
der zusätzlichen Tätigkeit des Spinnens widmen konnten.
Zwischen den Hügeln hinter dem Weiler stieg eine dünne Staubfahne auf.
Holger richtete sich im Sattel auf und beschattete seine Augen. Dort, in jener
Richtung, lag Eternas, und der sich nähernde Reiter musste gerade durch das
daran angrenzende Tal geritten kommen, denn dieses war als einziges nicht
mit dichtem Gras bedeckt, weshalb sein trockener Boden rasch Staub
aufwirbeln ließ. Holger warf einen Blick auf seine Frau, die gerade ein Ei
öffnete, und wies über die kleine Ortschaft hinweg auf die Gestalt.
»Ein Reiter kommt zu uns«, rief er ihr zu. »Er kommt sehr schnell.«
Seine Frau blickte zum Horngrund hinüber. »Der Heiler? Aber es ist doch
niemand erkrankt oder verletzt, nicht wahr, Holger?«
»Nicht, dass ich wüsste«, erwiderte dieser geistesabwesend. Der Reiter
dort ritt wirklich schnell und musste es sehr eilig haben. Aber für Eile gab es
stets einen triftigen Grund. »Warte besser noch mit dem Schlagen der Eier«,
riet er seiner Frau und trieb dann sein Pferd dem Ort entgegen.
»Es ist schon offen«, erwiderte sie unsicher.
»So trink es aus«, rief er über die Schulter zurück.
Der Mann, der aus dem angrenzenden Tal herübergeritten kam, trug den
grünen Umhang der Pferdelords, und an seinem Helm war der blaue
Rosshaarschweif der Wache zu erkennen. Neben dem Pferd, auf dem er ritt,
führte er ein zweites mit sich, das sogenannte Handpferd, welches einem
Reiter erlaubte, die Pferde zu wechseln, sodass sich eines von beiden während
des Ritts stets wieder ein wenig erholen konnte. Holger stieß einen grimmigen
Fluch aus. Ein Mann der Wache Eternas’. Ein solcher Pferdelord trieb sein
Pferd wahrlich nicht ohne triftigen Grund an.
Holger ritt gerade in den Horngrundweiler ein, als der Pferdelord der