Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks. Michael Schenk
anderes Rundohr spähte über seine Deckung. »Blauauge will aber
nicht, dass die Menschlinge uns sehen. Wir werden warten müssen, bis der
Menschling fort ist. Dann können wir uns ein Wolltier mit der Kralle holen.«
Bluthand starrte auf die eiserne Kralle, die er über seiner Hand trug und die
der Tatze einer Raubkralle nachempfunden war, um mit ihr die gleichen
Wunden zu verursachen, wie sie auch ein solcher Räuber hervorrief. Schon
einige Male hatte Bluthand mit ihr ein Wolltier erlegt, damit sich der Trupp
von ihm ernähren konnte. Bluthand war geschickt darin, sich anzuschleichen,
und er hatte immer darauf geachtet, dass der Wind seinen Geruch nicht an
sein Opfer herangetragen hatte, bevor er zugeschlagen hatte. So waren sie
immer ahnungslos geblieben, bis es zu spät gewesen war.
»Wir hätten den Menschling fressen sollen, nachdem wir ihn am Pass
getötet haben«, murrte Bluthand. »Menschenfleisch schmeckt besser als
widerliches Wolltierfleisch.«
»Du weißt genau, dass Blauauge das nicht gewollt hätte.«
»Blauauge kann mich mal«, brüllte Bluthand.
Die Gruppe fuhr erschrocken zusammen und duckte sich nochmals tiefer
in den Schutz der Steine. Bluthands Gesichtsfarbe wurde ein wenig dunkler,
als ihm bewusst wurde, dass er die Gruppe durch sein Geschrei
möglicherweise verraten hatte.
»Blauauge wird dir die Zunge herausreißen und sie einem Reitbiest
vorwerfen«, zischte das Spitzohr neben Bluthand.
Blitzschnell schloss Bluthand eine Hand um den Hals des anderen Orks.
Das Spitzohr stieß ein leises Quieken aus, und seine roten Augen schienen
ihm aus den Höhlen zu quellen. Seine langen spitzen Ohren begannen zu
zucken, bis sie schließlich, in einer Geste der Unterwerfung, nach unten
knickten. Bluthand ließ den anderen jedoch noch eine Weile zappeln, bevor er
seinen Griff wieder löste. Das Spitzohr sackte keuchend an den Felsen und
rang nach Luft.
»Der Menschling kommt herüber«, flüsterte ein anderes Spitzohr.
»Gut, dann wird es bald richtiges Fleisch geben.« Bluthand wandte sich
wieder dem Spitzohr zu, das sich erst mühsam von seinem Würgegriff
erholte. »Und wenn du deine Zunge nicht im Gebiss hältst, dann wird es dich
danach noch als Dreingabe geben, du Made.«
Das Spitzohr sah ihn angstvoll an und nickte, und die anderen der Gruppe
wagten nicht mehr, ihrem Führer zu widersprechen. Zwar hatte Blauauge
verlangt, dass keiner der Menschlinge zu Schaden kommen durfte, um so die
anderen nicht vorzeitig zu warnen, aber Blauauge war nicht hier, und
Bluthand war ebenso skrupellos wie stark. Sollten die beiden Führer doch
später selbst untereinander ausmachen, wer hier das letzte Sagen hatte.
Der Mensch unten im Tal hatte sein Pferd gesattelt und war bei dem
wütenden Aufschrei Bluthands erschrocken aufgefahren. Misstrauisch hatte er
über die Kruppe des Pferdes hinweg zum Hang hinübergesehen, wo die neun
Orks des Spähtrupps in Deckung kauerten.
»Ist ein Brauner«, nuschelte ein Rundohr. »Kein Grüner.«
Tatsächlich trug der Mann nicht den Umhang eines Pferdelords. Er mochte
also ein passabler Jäger und guter Wolltierhirte sein, aber sicher kein
gefährlicher Kämpfer. Doch Bluthand wusste nicht, wer sich sonst noch in
dem Haus befand. Es war besser, kein Risiko einzugehen und den Menschling
rasch und lautlos zu töten.
»Pfeile«, knurrte er nach rechts und links.
Die vier Spitzohren der Gruppe legten daraufhin ihre dunkel gefiederten
Pfeile auf die Sehnen der Bögen und warteten auf das Zeichen von Bluthand,
der vorsichtig über seine Deckung spähte. Im selben Moment sah Bluthand,
wie der Mensch zusammenzuckte, und wusste, dass der Mann etwas gesehen
haben musste, was ihn misstrauisch machte. »Schießt«, brüllte Bluthand auf.
»Tötet ihn.«
Die Spitzohren richteten sich auf und ließen ihre Pfeile von den Sehnen
schnellen, während Bluthand und die anderen Rundohren sich hinter ihren
Deckungen erhoben und laut aufbrüllend ins Tal hinunterstürmten. Bluthand
hatte den Menschling zunächst lautlos töten wollen, aber nun riss sein
Jagdeifer ihn und die anderen einfach mit.
Der Mensch duckte sich hinter sein Pferd, und keiner der Pfeile traf ihn.
Dafür wurde jedoch das Pferd von zwei der Geschosse getroffen und stieg
schrill wiehernd auf die Hinterhand, bevor es zusammenbrach. Der Mann
konnte sich gerade noch vor den auskeilenden Hufen in Sicherheit bringen
und sich dann hinter den Pferdekadaver werfen, als schon die nächsten Pfeile
in der Luft waren. Einer von ihnen traf das Bein des Mannes, und er schrie
auf. Bluthand sah das angstverzerrte Gesicht des Menschlings und schrie
triumphierend auf, während der Mann, umschwirrt von weiteren Pfeilen der
Spitzohren, nun den kurzen Jagdbogen und den Pfeilköcher vom Sattel des
Pferdes zerrte.
»Geht näher heran, ihr feigen Maden«, brüllte Bluthand zu den Spitzohren
zurück, während er weiterrannte, was ihm gleichermaßen zum Verhängnis
wie zum Glücksfall wurde, denn er knallte in vollem Lauf gegen einen
Felsen, brüllte schmerzerfüllt auf und wurde dadurch aus der Bahn geworfen,
was ihm jedoch das Leben rettete, denn im gleichen Moment zischte der erste
Pfeil des Menschen bedenklich nahe an ihm vorbei. Bluthand verstärkte seine
Bemühungen, um den Mann nochmals schneller zu erreichen. »Schlachtet
ihn«, schrie er auffordernd. »Tötet den Menschling.«
Die Spitzohren hatten aus einer zu großen Entfernung geschossen, um
wirklich zielsicher treffen zu können. Auf Bluthands wütenden Schrei hin
verließen sie nun ihre Deckung und hasteten tiefer ins Tal. Die dadurch
eintretende Schießpause gab dem verletzten Mann hinter