Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks. Michael Schenk
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Je näher der junge Parem mit seinem Pferd dem Tal von Eternas kam, desto
mehr schwand seine Furcht, doch noch von den grauenerregenden Bestien
eingeholt zu werden. Gleichzeitig nahm seine Scham zu, die anderen Männer
seiner Schar im Stich gelassen zu haben. Aber der überraschende Angriff und
der Anblick der dunklen Bestien hatten ihn vollkommen überwältigt. Er
verstand nicht, wie Kormund und die anderen mit Todesverachtung gegen
diese Übermacht hatten anreiten können. Nein, er glaubte nicht, dass außer
ihm noch jemand von der kleinen Schar überlebt hatte, und schließlich wurde
aus seiner instinktiven Flucht und Scham der feste Glaube und wohlüberlegte
Gedanke, dem Pferdefürsten Garodem über die Bedrohung durch die Orks
berichten zu müssen. Letztlich würde die Hochmark es ihm, Parem, zu
verdanken haben, dass ihre Bewohner rechtzeitig gewarnt worden waren.
Doch würde die Mark den Bestien standhalten können? Bislang hatte sich
Parem einen solch wilden Ansturm niemals vorstellen können. Wenn er
früher den Schilderungen älterer Pferdelords über die Kämpfe gegen die Orks
gelauscht hatte, so hatte er das meiste davon schlicht für die Übertreibung
alter Männer gehalten. Doch nun, nachdem er die Bestien gesehen und ihren
Ansturm selbst erlebt hatte, bekamen die Schilderungen ein anderes Gewicht.
Parem trieb sein Pferd über den letzten Hügel und konnte endlich das Tal
mit der Stadt und der Burg Eternas unter sich liegen sehen. Es war früher
Morgen, und die Sonne tauchte das Tal in einen sanften goldenen Schimmer.
Aus den Öffnungen in den Dächern der Häuser stieg Rauch von den
Fladenfeuern auf, und die ahnungslosen Bewohner der Stadt bereiteten sich
auf ihr Tagwerk vor. Parem trabte den Hang hinunter, erreichte die Felder,
deren Ähren in sattem Goldgelb strahlten, und ritt eilig die Hauptstraße
entlang. Noch waren nur wenige Menschen auf den Straßen zu sehen, und
Parem ignorierte ihre verwunderten Blicke, als er sein Pferd an ihnen
vorbeihetzte, um die Burg so schnell wie möglich zu erreichen.
Da die Nacht noch nicht lange vorbei war, standen noch zwei
Schwertmänner der Wache am Tor, die den abgehetzten Reiter und sein
schweißnasses Pferd neugierig musterten. Parem trabte unter dem großen
Torbogen hindurch und in den Innenhof der Vorburg. Die Hufeisen
klapperten über das Pflaster mit dem eingelegten Wappen der Hochmark und
verstummten, als Parem sein Pferd vor dem Haupthaus zügelte. Erschöpft
rutschte er aus dem Sattel, und ein gewisser Stolz erfüllte ihn, als er eine der
Wachen des Pferdefürsten näher treten sah. Der Mann musterte Pferd und
Reiter.
»Ihr gehört doch zu Kormunds Schar, nicht wahr?« Der Mann wischte mit
der Hand über die schweißbedeckte Flanke des Pferdes. »Das Pferd ist scharf
geritten worden. Welche Nachricht schickt uns Euer Scharführer?«
Parem straffte sich, ganz der Bedeutung seiner Botschaft bewusst.
»Kormund ist tot und mit ihm die ganze Schar.« Er sah, wie sich die Augen
des Schwertmannes weiteten. »Ich bin der einzige Überlebende. Orks sind in
die Hochmark eingedrungen. Ich muss sofort zu Garodem.«
»Orks?« Der Schwertmann zuckte zusammen. »Seid Ihr sicher, dass es
Bestien waren? Keine Ausgestoßenen oder Barbaren?« Doch als Parem ihn
auf diese Frage hin nur stumm anschaute, meinte er: »Geht hinauf. Der Herr
wird schon wach sein. Ich gebe einstweilen dem Ersten Schwertmann
Tasmund Nachricht.«
Parem schlang die Zügel seines Pferdes in einen der Eisenringe am
Gebäude und betrat wenig später das Amtszimmer des Pferdefürsten.
Garodem stand mit seiner Gemahlin Larwyn an einem der Fensterbögen
und blickte zu den Nordhängen des großen Tals, das nun in die Strahlen der
Morgensonne getaucht wurde, deren Licht goldene Reflexe auf Larwyns
blonde Locken warf. Larwyn wirkte in diesem Augenblick wie ein kleines
Mädchen, und nur die leichte Rundung ihres Leibes verriet, dass sie Garodem
schon bald einen Nachkommen schenken würde. Sie trug ein langes Gewand
in den grünen Farben der Pferdelords, dessen Säume ebenso reich bestickt
waren wie der schmale Gürtel, den sie trug, und ihr goldener Stirnreif zeigte
die zwei Pferdeköpfe des Landes der Pferdelords. Garodem hatte ihr einst
einen anderen Schmuck mit dem Zeichen der Hochmark schenken wollen,
doch Larwyn hatte darauf bestanden, weiterhin den alten Reif zu tragen. Sie
wusste, dass sein Anblick ihren Gemahl stets an seinen Bruder und das
Königshaus erinnern würde, und trug ihn deshalb mit Absicht, denn sie hielt
den alten Streit für sinnlos. Sie war die Einzige in der Hochmark, die
Garodem immer wieder aufforderte, den alten Zwist zu begraben, doch so
beharrlich sie auch war, an der Sturheit ihres Gemahls war sie bislang
gescheitert. Doch die Tatsache, dass Garodem ihre Kritik an seinen
Isolationsbestrebungen hinnahm, machte allen deutlich, wie sehr er Larwyn in
Liebe verbunden war.
Sie beide hatten Parems Schritte auf der Treppe gehört und wandten sich
ihm zu, als er nun atemlos den Raum betrat. »Sie sind tot«, keuchte der junge
Pferdelord. »Sie sind alle tot.«
Garodem kniff die Augen zusammen. »Wer ist tot? Berichtet mir, was
geschehen ist.« Er wandte sich Larwyn zu. »Du solltest nun besser gehen,
mein Liebes.«
Aber Larwyn lächelte nur und schüttelte den Kopf. »Wir zwei sind eins,
und so schlechte Botschaft kommt, so trifft sie uns beide.«
Garodem nickte zögernd. »Nun gut, Pferdelord, berichte.«
Da schilderte Parem hastig, was sich am Pass zugetragen hatte, und
Garodem unterbrach ihn nicht dabei, sondern hörte ihm aufmerksam zu. Nur
als der junge Reiter die Orks erwähnte, zuckte der Pferdefürst einmal kurz
zusammen und warf einen raschen Blick auf seine erblassende Frau. Mit
wachsendem