Die Pferdelords 01 - Der Sturm der Orks. Michael Schenk
Der Pferdelord und Wolltierzüchter schüttelte den Kopf. »Ich nehme
den Weg über die Berge. Ich kenne Pfade, auf denen ich schneller bin, als wenn
ich durch den Talgrund reite. Nehmt Ihr nur Euer Pferd, Kormund. Ich werde
die Höfe warnen und dann mit den Meinen nach Eternas kommen, denn
Garodem wird nun wohl die Pferdelords einberufen.«
Kormund nickte. »Ja, das wird er. Die Orks sind auf Blut aus, und Blut
werden wir ihnen geben.«
Der Scharführer schob sein Schwert in die Scheide zurück, nahm die
Lanze mit dem Wimpel auf und ergriff die Zügel seines Pferdes. »Gebt auf
Euch acht, Balwin, Windemirs Sohn.«
»Schneller Ritt und scharfer Tod«, erwiderte dieser und lächelte kurz.
Der rasche Lauf, mit dem Balwin sich entfernte, erinnerte Kormund an den
ausdauernden Trab der Orks. Dann blickte er erneut in die Schlucht zurück,
die nun vollkommen von Dunkelheit erfüllt war. Aber es gab keine
Alternative, und er konnte hier nicht länger verweilen. So begann er sein
erschöpftes Reittier am Zügel aus dem Pass hinaus- und in das Land der
Hochmark hineinzuführen, und er wusste, dass ihm die Orks bald folgen
würden.
Kapitel 8
Das Haus Elodarion zählte zu den ältesten des Elfenvolkes, und man
behauptete sogar, dass es seine Linie bis ganz zu den Anfängen elfischen
Lebens zurückverfolgen konnte. Von Anbeginn an hatte es die Geschichte des
Menschenvolkes begleitet. Manchmal kritisch und skeptisch, manchmal
amüsiert und hoffnungsvoll hatte es das wachsende Geschick der
Menschenwesen beobachtet.
Die Menschenwesen wuchsen unglaublich rasch heran, und ebenso
vermehrten sie sich auf unvorstellbare Weise. Doch zugleich waren sie
schrecklich vergänglich. Elodarion selbst hatte ungezählte Generationen von
Menschenwesen erblühen und vergehen sehen. Manche Menschen hatten
dabei sein besonderes Interesse erweckt, und er hatte ihren Weg so lange
begleitet, bis sie verwelkt waren. Er hatte dies meist aus der Ferne getan, denn
das elfische Volk mied die Nähe der Menschenwesen – nicht aus
Überheblichkeit, sondern aus Trauer darüber, wie rasch ein Lebewesen
verging, das man schätzte. Der Verlust eines Lebens war für das elfische Volk
stets mit tiefer Trauer verbunden, denn alles Leben war ihnen unendlich
kostbar.
Das elfische Volk selbst war unsterblich und unvergänglich, es sammelte
Wissen, widmete sich den geistigen Fähigkeiten und hatte ein tiefes
Empfinden für Harmonie und Schönheit entwickelt. Seine Fertigkeiten in
allen Künsten waren legendär, wenn auch nur wenige Menschenwesen jemals
ihre Werke zu Gesicht bekommen hatten. Denn jene Menschenwesen, mit
denen die Elfen Freundschaft schlossen, empfanden in der Nähe ihres eigenen
Todes Neid angesichts der Unsterblichkeit des Elfenvolkes. Sie begehrten das
ewige Leben, ohne zu wissen, welcher Fluch damit verbunden war.
Die Unsterblichkeit war für die Elfen mit zwei Flüchen belegt, die ihnen
ein hoher Preis für ihr ewiges Leben zu sein schienen: die geringe
Geburtenzahl ihres Volkes und die Erinnerungen, die mit einem unendlichen
Leben verbunden waren.
Nichts wurde wirklich vergessen. Weder die Freuden von Tausenden von
Jahren noch das Leid, das sich während dieser Zeit angesammelt hatte. Ihre
Erinnerungen hätten die Elfen erdrückt, hätten sie im Laufe der Zeit nicht die
Fähigkeit der Schröpfung entwickelt. Denn so hoch die Fähigkeiten eines
elfischen Gehirns auch entwickelt sein mochten, waren seinen Möglichkeiten
dennoch Grenzen gesetzt. In der Zeit seiner Schröpfung brachte ein Elf all
seine Erinnerungen zu Papier, damit nichts Wesentliches verloren ging, und
die fein gebundenen und gemalten Bücher des Elfenvolkes füllten zahllose
Längen von Regalen und Schränken. Eine Schröpfung währte viele
Vollmonde, und sie wurde von anderen Elfen begleitet, damit jede Gefahr
ausgeschlossen war, dass ein schröpfender Elf all sein Wissen einbüßte. Denn
hatte er erst einmal sein Wissen zu Papier gebracht, wurde er erneuert und das
bisherige Wissen zu wesentlichen Teilen aus seinem Gehirn gelöscht. Aus
diesem Grund wusste ein einzelner Elf niemals alles, doch das Volk der Elfen
insgesamt verfügte über das Wissen von Jahrtausenden.
Die Geburt eines elfischen Kindes war ein Geschenk an das ganze Volk,
welches dieses Glücksgefühl jedoch nur selten empfinden konnte, weshalb
ihm auch das Leben jedes Einzelnen so wertvoll war. Trotz des ewigen
Lebens war der Tod eines Elfen etwas Unwiderrufliches, und der Tod konnte
einen Elfen auf vielfache Weise ereilen. Das Volk kannte Unfälle und
Krankheiten wie auch den gewaltsamen Tod im Kampf. Denn die Elfen
waren ein wehrhaftes Volk, auch wenn sie sich scheuten, eigenes oder
fremdes Blut zu vergießen.
Schon oft hatten sie ihre Gründe gegen Feinde schützen müssen, und die
elfischen Männer waren geübt im Umgang mit der blanken Klinge und dem
Bogen, der in Verbindung mit den schnellen Reflexen und guten Augen eines
Elfen zu einer unübertrefflichen Waffe wurde. Es gab kein Wesen, das weiter,
schneller und treffsicherer schoss als ein Elf, und der Ruf der Elfenmänner als
Krieger war legendär. Ja, das Leben eines Elfen war kostbar, doch war das
gesamte Volk bedroht, setzten die Elfen ihr Leben rücksichtslos ein, um das
Überleben ihrer Häuser zu sichern. Der Kampf war die Domäne der elfischen
Männer, während es die Aufgabe der elfischen Frauen war, Leben zu
schenken und zu bewahren.
All diese Tugenden und Fertigkeiten vereinten Lotaras und Leoryn, Bruder
und Schwester aus dem Hause Elodarions, auf vollkommene Art und Weise,
und so waren sie mit einer Botschaft ins Land der Menschenwesen entsandt