Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II. Hymer Georgy

Geheimauftrag für SAX (4): SPECTATOR II - Hymer Georgy


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zum letzten Mal durch die Omega-Kurve drängten, sagte Ernö doch noch etwas:

      „Ich weiß aber, dass er ein Mädchen hier hatte!“

      *

      Günter Freysing ließ sich von einem Taxi zur Kollárova bringen, die ihm Ernö Kicsi als Adresse des Mädchens genannt hatte. Der Fahrer, ein Student, der das noch aus Ostblockzeiten stammende Vehikel steuerte, war glücklicherweise einer der wortkargeren Sorte. Er chauffierte ihn unmittelbar nach dem Ausgang des Rennens in einer guten halben Stunde zügig und schweigsam über den neugebauten innerstädtischen Autobahnring mit dem Pisárky- und Königsfelder Tunnel in das eng bebaute Gelände nordöstlich des Stadtzentrums. Im Radio spielten sie etwas Älteres von Katka Koščová, einer eher national bekannten Popsängerin.

      Dass Marius Holler eine romantische Beziehung in Brno hatte, war in dessen BND-Dossier nicht vermerkt und auch der Botschaft in Prag offiziell unbekannt. Andererseits war es auch nichts Weltbewegendes – Holler war weder verheiratet noch sonst wie anderweitig fest liiert, sodass er diesbezüglich eigentlich tun und lassen konnte, was er wollte. Solange es keine geheimdienstliche Relevanz besaß! Der Häuserblock, in dem sich die Appartementwohnung der Frau namens Irina Nohydlouhý befand, die Herbst bestieg (wie Kisci sich unfein ausdrückte) lag beinahe direkt an der den hiesigen Ortsteil durchziehenden und auch am Wochenende gut befahrenen Verkehrsader Palackého třída - in unmittelbarer Nähe der technischen Universität. Hier hoffte Freysing die Antwort auf ein paar Fragen zu finden.

      Ernö hatte ihm nicht viel über die Frau erzählen können, lediglich deren Namen, dass sie sehr hübsch sei und mit Marius Holler wohl schon eine ganze Weile zusammen. Vor einem halben Jahr etwa habe er einmal nach einem Treffen mit Herbst ein Stück desselben Weges gehabt und sei ihm dabei eher zufällig gefolgt, bis ihm die gutaussehende, dunkelhaarige Frau mit den langen Beinen aufgefallen war, die zu diesem in der Altstadt in den Wagen einstieg. Daraufhin habe er die beiden in einem von ihm angehaltenen Taxi weiter verfolgt, nur so zum Spaß, wie er behauptete. Sie waren nach Kralovo Pole hinausgefahren und dort gemeinsam in einem Wohnblock verschwunden. Erst sehr viel später habe er einmal versucht, herauszufinden, wer sie sei, und schließlich tatsächlich ihren Namen herausbekommen können.

      Freysing erahnte, dass Ernö den beiden bestimmt nicht nur so zum Spaß gefolgt war, sondern um vielleicht ein wenig mehr über den Deutschen zu erfahren, der ihm seine Informationen abkaufte, und um im Falle eines Falles sich mit diesem Wissen freikaufen zu können. Falls man ihn einmal bei seiner Arbeit erwischte. Er beschloss, Ernö Kicsi in der Zentrale als Sicherheitsrisiko einstufen zu lassen, damit vielleicht nachfolgende Führungsagenten gewarnt seien. Hatte der Informant mit dem Verschwinden zu tun? Und war Holler zu vertrauensselig gewesen?

      Nachdem er den Taxifahrer entlohnt hatte, verharrte Freysing vor dem alten Gebäude in der baumbestandenen Einbahnstraße und betrachtete die vierstöckige alte Fassade, aus der zahllose Fenster mit Scheibengardinen auf die Straße hinunter zu starren schienen. Viele davon standen in Anbetracht der warmen Wetterlage gekippt, bei manchen drang Musik in einer Kakophonie unterschiedlicher Stilrichtungen heraus. Sax trat zum Hauseingang heran und besah sich die etwa dreißig fast ausnahmslos tschechischen für Fremde schier unaussprechlichen Namen der Bewohner an einer oftmals korrigierten Klingelschildgruppierung. Er erblickte den gesuchten nach einem kurzen überfliegen und drückte einmal kurz und einmal lang auf den Knopf. Es handelte sich nicht etwa um ein besonderes Klingelzeichen, sondern stellte nur sicher, dass sowohl eine Dauerklingel als auch ein Türgong ordentlich anschlagen würden. Nach zehn Sekunden wiederholte er den Vorgang und sah zu den Fenstern hinauf. Anhand der Position des Klingelknopfes in der Leiste konnte er nicht abschätzen, ob Irina Nohydlouhý nach vorn heraus zur Straße wohnte, oder nicht.

      Zwei Minuten verstrichen, in denen er den mäßigen Verkehr auf der ein Stück weiter hinunter vorbeilaufenden Hauptstraße beobachten konnte. Heute, am Sonntag, waren dort lediglich Personenwagen unterwegs; an Werktagen mussten wohl die LKW und Lieferwagen dicht an dicht folgen. In der schmalen, abschüssigen Seitenstraße gab es lediglich parkende Fahrzeuge. Gerade, als er sich entschloss, einfach bei ein paar anderen Mietern zu läuten, um sich zunächst Zutritt zum Hausflur verschaffen, meldete sich eine etwas verschlafene weibliche Stimme aus der altbackenen, analogen Gegensprechanlage. Es waren nicht viele Worte, nur so etwas wie ein landesübliches „Wer ist da?“ in einer Stimmlage, die zwar melodisch klang, jedoch eine deutliche Gereiztheit nicht vermissen ließ.

      „Mein Name ist Günter. Ich bin ein Freund von Marius!“, antwortete Sax in fließendem und kaum hörbar akzentuiertem tschechisch. Es war nicht schwer für ihn gewesen, in den frühen neunziger Jahren diese Sprache zu erlernen und später zu verbessern; russisch konnte er da bereits ohnehin seit Schulzeiten nahezu perfekt sprechen.

      Einen Moment lang herrschte Schweigen. Dann meldete sich die Frau erneut. „Kommen Sie rauf. Dritter Stock links“, sagte die Stimme am anderen Ende und schien auf einmal hellwach zu sein. Freysing entging der Unterton nicht, er war jetzt sehr gespannt. Der Türsummer ertönte, und er trat ein. Es gab keinen Aufzug in dem vierstöckigen Gebäude, so nutzte Sax das gepflegt wirkende Treppenhaus nach oben. Im Gegensatz zum äußeren Anschein schien es sich um eine passable Wohnadresse zu handeln. Die großen Fenster waren hier sämtlich schallisoliert und ließen den Verkehrslärm draußen. Freysing hörte irgendwo im Haus eine Tür schlagen, etwas Kindergeschrei, gefolgt von etwas, das sich anhörte wie zwei Ohrfeigen, und einem Weinen. Dann war es plötzlich recht Still. Niemand begegnete ihm auf dem Weg nach oben. Die Menschen waren mit ihren persönlichen Sonntagabendprogrammen beschäftigt, aber womöglich gab es hinter dem einen oder anderen dunklen Türspion einen Rentner, welcher ein aufmerksames Auge in den Außenflur warf. Schemel mit kleinen Pflanzentöpfen zierten hier und dort den Gang und mochten von älteren weiblichen Bewohnern des Blocks liebevoll gepflegt werden.

      Die Nohydlouhý betrachtete den Ankömmling scheinbar etwas aufgeregt von der halb offenstehenden Wohnungstür aus, als er vom Treppenabsatz in den kurzen Seitengang hinein einbog, und er wurde sich bewusst, dass er mit seiner Sommer-kleidung, dem Strohhut und dem Fernglas, das er immer noch umhängen hatte, im Halbschatten ein recht merkwürdiges Bild abgeben musste. Die Frau entsprach der kurzen Beschreibung, die Kisci geliefert hatte. Sie war jung, vielleicht Mitte oder Ende Zwanzig, hochgewachsen, dunkelhaarig mit einem hübschen, modischen Kurzhaarschnitt, und besaß markante slawische Gesichtszüge. Sie trug eine Kombination aus dreiviertellanger enger Blue-Jeans im „used-look“, lockerem gelben T-Shirt mit dem Emblem von Pussy Riot und sichtlich nichts darunter, sowie Sandaletten, das alles sie sämtlich offenbar in großer Eile übergezogen hatte. Ihre außergewöhnlich langen nicht bestrumpften Beine waren in der Tat eine Augenweide, und nicht nur diese. Sie hielt den Kopf etwas schräg gelegt und sah insgesamt sehr verführerisch aus, obwohl sie genau diesen Eindruck bei ihrem überraschenden Besuch ganz bestimmt nicht absichtlich erwecken wollte.

      Freysing konnte gut verstehen, dass sich ein Mann schnell in sie verknallen mochte. Sie hätte problemlos mit den Models in Zeitschriften wie der Elle oder dem Bazaar mithalten können. Ob sie auch wirklich liebenswert war, konnte im Augenblick allerdings wohl nur Holler wissen. Ein Kind von Traurigkeit schien sie aber kaum zu sein. Jedenfalls sagten ihm das die halb leere Flasche Wodka und ein einzelnes hohes Glas mit Lippenstift daran auf dem Tisch, welche er an ihr vorbei durch den kurzen Flur in der Wohnung erblickte. Dabei wirkte sie nicht im Geringsten betrunken.

      „Wissen Sie etwas von Marius? Wo ist er denn?“, platzte sie bereits heraus, als er sich ihr näherte. Dann fügte sie hinzu: „Aber vielleicht sollte ich sie doch erst einmal hereinbitten.“

      Sie sprach sehr schnell, beinahe ohne Punkt und Komma – fast wie damals seine Jugendliebe Sieglinde Stern, wie er sich da spontan erinnerte. Er folgte ihr, die Tür nach dem Eintreten hinter sich sanft schließend, in das einzige Zimmer der kleinen Wohnung und suchte Platz zu schaffen auf demjenigen der drei Stühle, der nicht allzu sehr von Kleidungsstücken oder Zeitschriften belegt war. Der Raum hatte etwas organisiert-unaufgeräumtes an sich. Auf jeden Betrachter mochte es wie ein heilloses Chaos wirken, während die Besitzerin sicher alles, was sie eventuell suchte, binnen Sekunden ohne langes Nachdenken fand. Irina machte es sich selbst sofort auf dem offenen Bettsofa


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