Godcula. Hans Jürgen Kugler
einstürmenden Luftstroms, erwog kurz, wovon oder von wem ein solch ungewöhnlicher Sturm herrühren möge und zog es dann doch vor, sich unter die silberne Abdeckung des Badewannenüberlaufs zurückzuziehen.
Bandaraneike stand schweratmend an der am weitesten von der Wanne entfernten Wand des Badezimmers und hatte alle Hände damit zu tun, sich wieder zu beruhigen. Sie traute sich kaum, einen Schritt vorwärts zu machen, aber was blieb ihr anderes übrig, sie konnte ja nicht ewig mit dem Rücken zur Wand in ihrem Badezimmer stehenbleiben. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um von ihrem Standpunkt aus die ganze Wanne einsehen zu können. Die Spinne war nicht mehr zu sehen. Vorsichtig setzte sie einen Schritt nach vorn, ihren Blick immer noch unverwandt auf die Wanne gerichtet. Wenn nur Kayru da wäre! Eins musste man ihm lassen, vor Spinnen hatte er keine Angst. Aber so war das nun einmal mit den Männern. Wenn man nur ein einziges Mal im Leben einen wirklich gebraucht hätte, war natürlich keiner da. Typisch Kayru.
Sie konnte die Spinne nirgends mehr entdecken, und war auch gar nicht neugierig darauf, herauszufinden, wo sie jetzt wohl lauern mochte. Sicherlich ist sie vor ihr genauso erschrocken, wie sie vor ihr und hat sich über das gekippte Badfenster aus dem Staub gemacht. Es schüttelte sie, wenn sie nur daran dachte, wie dieses vielbeinige kleine Ungeheuer die Wand hochgekrabbelt war. Na, wenigstens war es jetzt weg.
Sie konnte Spinnen nun einmal nicht leiden. Zwar sind alle Tiere Kreaturen göttlichen Ursprungs und Träger von womöglich unzähligen Seelen Verstorbener. Aber im Fall einer solchen dicken, fetten, widerlich schwarzen Spinne fiel es ihr doch ausgesprochen schwer, die volle entfaltete Schönheit der prästabilisierten Harmonie in der Schöpfung nachzuempfinden. Wenn Spinnen ebenfalls vergessene Verkörperungen der Götter sein sollten, dann waren sie bestimmt Abkömmlinge der finsteren Kali, des zerstörerischen Aspektes der „Großen Mutter“ Durga, die darin alle dunklen und ekelhaften Leidenschaften inkarniert hatte.
Ja, genau so musste es sein! Hatten Spinnen nicht acht Beine? Und wie viele Gliedmaßen hatte Kali? Sechs Arme und zwei Beine! Also acht! Das konnte kein Zufall sein, und das erklärte auch, warum sie so eine panische Angst vor diesen für den Menschen im Grund ja harmlosen Geschöpfen hatte. In den Spinnen fürchtete sie ganz einfach den furchtbaren Zerstörungswillen Kalis, der so schrecklich und entsetzlich war, dass er die ganze Welt im Bruchteil einer Nanosekunde zurück in das Nichts führen konnte, aus dem sie kam und das sie schließlich war. Sie fürchtete also nicht weniger als die Ver-Nichtung, wenn sie einer Spinne begegnete, das mochte ja wohl hinreichend Grund genug sein für ihre Spinnenphobie.
Diese im doppelten Sinn des Wortes göttliche Einsicht in die geheimsten Zusammenhänge des Universums ließ sie erneut erschauern.
„Ein unglaublicher Tag heute“, dachte sie. Da bedienten sich die Götter ihrer heftigsten, urgründigen Ängste, um sie in Gestalt einer hässlichen kleinen Spinne in eines ihrer tiefsten Mysterien einzuweihen. „Aber es ist ja nur logisch“, dachte sie, „es bedarf eines tief in uns verborgenen Gefühls, um ein solch tiefes Geheimnis zu offenbaren. Ich danke dir, wer immer du auch bist!“
Nichtsdestotrotz war Bandaraneike heilfroh, dass sie nichts mehr von der Spinne zu sehen bekam. Diese hingegen ließ es sich unter der Verkleidung des Wannenabflusses für heute wohl sein. Sie hatte ihren Durst gestillt und brauchte jetzt nur noch darauf zu warten, bis irgendein unvorsichtiges Opfer, vorzugsweise eine schöne fette Assel oder ein Kakerlak, in ihrer Nähe vorbeikam, um ebenfalls an einem Tropfen in der Wanne zu naschen.
Über all die tiefe Einsicht in die kosmischen Zusammenhänge von niedriger Fauna und der göttlichen Sphäre hatte Bandaraneike ganz vergessen, was sie eigentlich im Bad gewollt hatte. Was weiter kein Versäumnis sein sollte, denn ein Blick auf ihre auf dem Bord abgelegten Armbanduhr erinnerte sie in seiner schnöden Diesseitigkeit daran, dass es für sie höchste Zeit war, das Haus zu verlassen und sich auf den Weg zu ihrer Halbtagsstelle in einem Steuerberatungsbüro zu machen. Sie ging dieser Beschäftigung nur widerwillig nach, aber was sollte sie machen, denn allein von dem Verkauf ihrer Tachyonenprodukte konnte sie nun einmal nicht leben. Dabei lief der Verkauf nicht einmal schlecht, sie hatte einen großen Bekanntenkreis, von denen doch schon einige ihr einen Energiestein, einen tachyonisierten Gürtel oder eine mit tachyonisierten Splitterkristallen gefüllte Schlafhaube zur Abwehr von Alpträumen und Schlaflosigkeit abgekauft hatten. Die einfache, mit überlichtschnellen Tachyonen aufgeladene Glaszelle war vielseitig einsetzbar, sie heilte in Rekordzeit alle nur denkbaren Gebrechen, die allesamt ohnehin nur psychosomatischer Ausdruck negativer Energien und Blockaden im Körper waren; so war der Tachyonengürtel bei allen Beschwerden der inneren Organe angezeigt, hatte wohltätigen Einfluss auf Niere, Galle, Magen, Darm, Leber und Rückenmark und hatte zudem noch den unschätzbaren Vorteil, quasi nebenbei den unaufhörlichen Kräftefluss von der Erde zum Gehirn in die richtigen, allharmonischen Bahnen zu lenken. Denn nur ein von göttlicher Energie gespeister Geist vermochte auch schöne und reine Gedanken zu denken und sich in die göttliche Harmonie einzuschwingen.
Eigentlich verkaufte sie ihre Tachyonenprodukte viel zu billig, dachte sie, das Ausmaß der Wohltaten, den eine einzige Glaszelle zu bewirken imstande war, stand doch, recht betrachtet, in keinem Verhältnis zu den läppischen 459,– Euro, die sie kostete. Aber sie konnte den Preis nicht einfach erhöhen, es gab eine gewisse Schmerzgrenze, über die sie nicht gehen konnte, wollte sie nicht zulassen, dass ihre Kunden zur Konkurrenz abwanderten und sich dort mit Glaszellen ungewisser Herkunft eindeckten.
Außerdem, wie sie manchmal selbst in hellsichtigen Momenten erkannte, war sie ja auch selbst schuld, dass sie von dem Verkauf ihrer Glaszellen – noch – nicht leben konnte. Denn jeden Gewinn, den sie durch den Verkauf ihrer Objekte erzielen mochte, investierte sie umgehend in den Erwerb weiterer Tachyonenprodukte. Das hatte natürlich unweigerlich zur Folge, dass sie sich selbst ihr bester Kunde wurde und mit ihren tachyonisierten Glaszellen, Tachyonengürteln, energetischen Schlafhauben, den Fläschchen mit tachyonisiertem sterilisiertem Wasser, all den Tiegeln und Döschen tachyonisierter Kosmetika, Salben und Duftwässern, den mit tachyonisierter chinesischer Seide durchwirkten T-Shirts, Sweatshirts, der tachyonisch aufgeladenen Reizwäsche und den energetischen Stand-up-Boxershorts hatte sie mittlerweile schon weitaus mehr als ein komplettes Sortiment der umfangreichen Tachyonen-Produktpalette in ihrer kleinen Wohnung zusammengestellt. Aber das waren ja schließlich alles nur Investitionen.
Weil sie auf diese Weise aber nur einen unzureichenden Cash-flow zu verzeichnen hatte, sah sie sich gezwungen, den aus ihrem nicht unerheblichen Umsatz nicht ergangenen Gewinn ganz konventionell durch eine äußerst akkurate Buchführung in fremdem Namen einzufahren, um mit ihren Constant costs nicht in Verzug zu geraten.
Sie steckte sich also ihre Haare zurecht, zupfte noch schnell ein paar widerborstige Härchen von ihren Brauen, legte etwas tachyonisiertes Maroussia auf und warf einen letzten prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild. Ja, so würde sie gehen können.
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