Der Tod lauert im Internet. Jutta Pietryga
Chancen. Sie genießt es, wenn die Männer ihr hinterherschauen. Doch eine dauerhafte Beziehung will, braucht sie nicht. Ab und zu Sex, falls es sich ergibt. Sex bei Bedarf. Bitte beachten Sie den Beipackzettel. Bei Nebenwirkungen und Risiken wenden Sie sich an Ihren Arzt oder Apotheker. Genau so! Denkt sie grinsend. Das genügt, mehr an Mann ist nicht nötig!
Über ihre Grübelei ereicht sie ihr Ziel, Altwarmbüchen. Sie biegt in die Zufahrtsstraße ein, die zum Elternhaus führt. Weithin sichtbar blinkt das Blaulicht eines Krankenwagens. Ihr Herz schlägt schneller. Furcht klettert vom Bauch zum Hals, bleibt dort stecken. Das Schlucken fällt ihr schwer. Eine bleierne Schwäche bemächtigt sich ihrer. Am liebsten hätte sie sich verkrochen.
Es erstaunt sie, normal lenken und schalten zu können. Trotz der Furcht vor dem, was auf sie zukommt, parkt sie rasch ein. Sie eilt den Gartenweg hoch hinauf zum Haus. Nach außen stark wie immer wartet ihr Vater vor der Haustür. Lächelt sie an. Doch sie übersieht nicht die Angst in seinen Augen. Sie will ihn umarmen, traut sich nicht, weil sie fürchtet, dann in Tränen auszubrechen.
„Papa, was ist los?! Was ist passiert?“
„Deiner Mutter geht es schlecht, hat sich ständig übergeben. Sie behielt gar nichts mehr bei sich. Ich habe dann den Notarzt gerufen, der sie ins Krankenhaus eingewiesen hat. Ich fahre im Krankenwagen mit. Am besten du fährst hinterher.“
Seine Stimme bebt. Es erschreckt Angela zu wissen, dass er die gleichen Ängste hat wie sie. Sie will die Furcht in seinen Augen nicht sehen. Wahrscheinlich bilde ich mir das alles nur ein. Vorahnungen – so ein Quatsch. Alles wird gut!
Kapitel 8 Linda und Jenny
Gemächlich schlendern Linda Karstens und ihre Tochter Jenny durch den Welfenpark Richtung Leibnitz Universität. Jenny plant, Jura zu studieren, und hat diese Uni in die engere Wahl gezogen. Sie genießen die Kühle der schattenspendenden Bäume, gehen betont langsam, um diesen Genuss möglichst lange ausdehnen,
„Wusstest du Mama, dass die Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität die zweitgrößte Hochschule Niedersachsens ist? Und wusstest du auch, dass das Hauptgebäude der Uni, das ehemalige Welfenschloss, ursprünglich für die königliche Familie als neue Residenz gebaut wurde?“
Linda lacht. „Nein, das wusste ich nicht! Aber jetzt.“
Jenny setzt ihren Vortrag fort.
„Leider konnte es die königliche Familie nicht mehr beziehen, da die Preußen das Königreich Hannover vor Vollendung des Baus annektierten.“
„Was du alles weisst.“ Linda bleibt stehen und schaut stolz auf ihre Tochter. „Ist das nicht schön hier?“
Zusammen bewundern sie die eindrucksvolle Umgebung. Ein riesiges Parkgelände umschließt das aus weißem Deistersandstein erbaute Gebäude. Direkt vor dem Haupteingang prunkt das Sachsenross, Niedersachsens Wahrzeichen.
Längst haben die Studenten den Park als den ihren annektiert. Doch nicht nur sie nutzen und lieben diese Grünanlage mit dem uralten Baumbestand, Teichen und seiner historischen Brücke. Überall liegen oder hocken, vereinzelt, meist jedoch in Gruppen, junge aber auch ältere Menschen. Sie schwatzen, essen, lesen oder genießen auch einfach nur die Umgebung und das Faulsein.
Vor den beiden flanieren ein paar kichernde Frauen. Linda amüsiert sich. Wie unbeschwert, wie glücklich, sie sind. Neid wallt in ihr auf. Gefolgt von Trauer um eine Kindheit, eine Jugend, die sie nie sorglos erleben durfte. Tränen brennen hinter ihren Lidern. Warum ist sie nur immer so rührselig. Ihre Tochter reisst sie aus den deprimierenden Gedanken. „Wollen wir uns nicht auf eine der Bänke setzen? Es ist so schön hier.“ „Gute Idee, Jenny.“ Behaglich strecken sie ihre Beine aus. Mit geschlossenen die Augen genießen sie den wohltuenden Schatten. Nach einer Weile kramt Linda in ihrer Tasche, fördert aus deren unendliche Tiefe eine Flasche Mineralwasser zutage. Gierig trinkt sie die ersten Schlucke, gibt dann das Wasser an ihre Tochter weiter, die ebenso durstig über das Nass herfällt. Ihre Mutter schließt abermals die Augen. Lehnt sich gegen die Banklehne. Hinter ihren Lidern huschen Bilder der Vergangenheit anvorüber: Ihre Kindheit war weder heiter noch behütet. Das besserte sich auch nicht, als sie älter wurde. Im Gegenteil! Sie sieht den Vater, ein Bulle von Kerl, der oft und viel trank. Dann tobte er, brüllte und verprügelte seine Frau. Deutlich hört sie ihn schreien, riecht angeekelt die Alkoholfahne, weiß, was gleich passieren wird. Seine bösen Augen funkeln ihre Mutter an. Er hebt die Hand, schlägt zu, immer wieder. Eines Tages ist sie nicht mehr da. Ein Unfall sagt er. Von da an gilt seine geballte Aufmerksamkeit ihr. Mit fünfzehn läuft sie fort. Wird aufgegriffen. Man steckte sie in ein Heim. Linda war erleichtert. Entschieden schüttelt sie die bedrückenden Erinnerungen ab, richtet sich auf und schaut umher. Zwei Bänke weiter vorn, unter einer ausladenden Linde, fällt ihr ein Mann auf, eine aufgeschlagene Tageszeitung auf dem Schoß. Verstohlen betrachtet sie ihn. Der Typ irritiert sie. Wie er die Mädchen mit den Blicken verfolgt, sie nicht aus den Augen lässt. Ziemlich dubios! Seine heruntergezogenen Mundwinkel schmunzeln. Es ist kein positives Lächeln. Angst greift mit Klauen nach ihr. Irgendetwas Ungutes strahlt von dem Mann aus. Trotz der enormen Hitze schaudert sie. Voller Missbehagen ergreift sie die Hand ihrer Tochter. Das hat sie seit Jahren nicht mehr getan. Erstaunt, fast schon entsetzt, schaut Jenny sie an und will die Hand wegziehen, sie ist doch kein Kleinkind mehr. Aber Linda umklammert sie vehement, zieht ihre Tochter von der Bank und treibt sie weiter. Der animalische Instinkt eines Muttertieres warnt sie vor Gefahr, rät zur Flucht!
Kapitel 9 Nele
Hedwig Schumann ist heute früher auf als sonst. Lange schlafen klappt nicht mehr so recht. Sie leide unter der sogenannten senilen Bettflucht, spottet so mancher, wenn sie über ihre Schlaflosigkeit klagt. Das hört sie nicht gern. Als sklerotisch betrachtet sie sich nun wirklich nicht! Alt ja, aber nicht vergreist!
Die letzte Nacht war mal wieder schlimm. Ihre Knochen schmerzten. Sie wusste nicht, wie sie sich hinlegen sollte. Mal zwickte die Hüfte, dann der Arm und manchmal lag ihr Rücken nicht richtig. Seit fast drei Uhr wälzte sie sich von einer Seite auf die andere. Die unerträgliche Hitze im Schlafzimmer tat ein Übriges.
Um 5.30 Uhr beschließt Hedwig, dass es spät genug ist und sie aufstehen darf. Sofort hebt ihr Langhaardackel Lasse den Kopf. Der Hund liegt in seinem Körbchen am Fußende des Bettes. Er springt auf, als hätte er nur darauf gewartet, bis sein Frauchen endlich das Bett verlässt. Als Morgengruß wedelt er freudig mit dem Schwanz. Auch er leidet unter den extremen Temperaturen. Pflichtschuldig krault Hedwig kurz seinen Bauch. Lasse wiept unglücklich, weil sie zu schnell damit aufhört. Aber Hedwig muss erst einem dringenden, morgendlichen Geschäft nachgehen.
Ergeben trottelt der Hund in die Küche. Auffordernd hockt er neben seinen Fressnapf. Wieder enttäuscht ihn sein Frauchen. Hedwig unterzieht sich rasch einer Katzenwäsche. Bewaffnet sich anschließend mit der Hundeleine und schließt die Korridortür auf.
An der Haustür, fällt ihr ein, den Küchenmüll mitzunehmen. Sie versucht, nach Möglichkeit mehrere Sachen gleichzeitig auf einem Gang zu erledigen. Für Ende siebzig ist sie zwar sehr rüstig, jedoch bestrebt, zusätzliche Wege zu vermeiden. Die Knie wollen nicht mehr so, wie sie möchte.
In der einen Hand das Halsband, in der anderen die Mülltüte startet sie einen erneuten Versuch Richtung Wohnungstür. Wieder wird sie aufgehalten. Ihr Blick fällt in den Flurspiegel. Natürlich muss sie hineinschauen. Hmm,hmm, brummelt sie, zieht den Kopf Richtung Kinn. Kritisch begutachtet sie ihren Haarscheitel. Muss dringend nachgefärbt werden! Hedwig färbt ihr Haar stets kastanienbraun, obwohl sie längst in dem Alter ist, grau tragen zu dürfen. Ein letztes Mal schaut sie in den Spiegel, nimmt das zittrige Wackeln des Kopfes zur Kenntnis, ebenfalls ein Ergebnis ihrer Jahre. Schließlich schlappt sie die Treppe hinunter. Lasse immer drei Stufen voraus. Ein penetranter Geruch von Fäulnis, nach Vergammelten lässt Hedwig angewidert die Nase kräuseln und die Mundwinkel herabziehen. Sie schluckt. Aus der Mülltüte riecht es schon sehr unangenehm. Die Haustür ist abgeschlossen. Dies ist nämlich ein ordentliches Haus, wo um 22.00 Uhr die Haustür zugeriegelt wird. Bis 6.00 Uhr soll sie geschlossen sein. Auch das ist stets